Der Standard

Tayyip Erdogan legt Grundstein zur ersten türkischen Kirche seit 1923

Wegen des Zustroms syrischer Christen braucht Istanbul ein neues aramäische­s Gotteshaus – eine Seltenheit in der Türkei

- Philipp Mattheis aus Istanbul

Eine christlich­e Kirche ist so ziemlich das Letzte, was einem einfällt, wenn man den Namen des türkischen Präsidente­n Tayyip Erdogan hört. Insofern ist es mehr als eine Meldung wert, dass dieser am Wochenende in Istanbul den Grundstein für den Bau eines syrisch-orthodoxen Gotteshaus­es gelegt hat. Es ist dies nämlich der erste Kirchenneu­bau seit Gründung der Republik 1923.

Der Istanbuler syrisch-orthodoxe Bischof Yusuf Cetin sprach deswegen auch von einem historisch­en Tag. Der Bau steht im Stadtteil Bakirkoy im europäisch­en Teil der Stadt. Es ist die zweite derartige Kirche. Eine ältere syrisch-orthodoxe Kirche steht bereits im Stadtteil Beyoglu. Weil sich aber in Bakirkoy besonders viele syrische Flüchtling­e niedergela­ssen haben, bot sich dieser Standort an.

Denn dass ausgerechn­et diese Glaubensri­chtung dringend Bedarf an einer neuen Kirche hat, liegt an den Flüchtling­en. Rund 3,6 Millionen Syrer halten sich derzeit in der Türkei auf, mehr als 500.000 von ihnen in Istanbul. Auch wenn die Mehrheit von ihnen sunnitisch­en Glaubens ist, sind auch rund 17.000 syrisch-orthodoxe Christen unter ihnen.

Grund gegen eine „Spende“

Der Grundstein­legung ist ein langer Prozess vorausgega­ngen. Für Probleme sorgte die Tatsache, dass sich ein Teil des Geländes auf einem ehemaligen katholisch­en Friedhof befindet, weswegen Vertreter der katholisch­en Kirche auf Herausgabe klagten. Die Aramäer, die zum Teil der syrisch-orthodoxen Kirche angehören, baten daraufhin Bartholomä­us I., Patriarch der griechisch-orthodoxen Kirche und Oberhaupt aller Ostkirchen, um Vermittlun­g. Der wandte sich an seinen Kollegen in Rom, den Papst. Angeblich willigten die Katholiken ein, als ihnen die Aramäer eine Spende versprache­n.

Angesichts all dieser Glaubensri­chtungen und ihrer Zänkereien untereinan­der mag man nun vielleicht an einen Monty-PythonFilm denken. Aber Religionsf­reiheit ist nun einmal eine ernste Sache. Einerseits ist die Republik seit ihrer Gründung 1923 durch (den Atheisten) Kemal Atatürk ein säkularer Staat, in dem jeder Bürger das Recht hat, seine Religion frei auszuüben. Anderersei­ts haben nur wenige Religionen einen echten Minderheit­enstatus, darunter Juden, orthodoxe und armenische Christen; und auch die klagen immer wieder über Probleme in Form von Diskrimini­erung.

1971 wurde zum Beispiel die wichtigste Ausbildung­sstätte für griechisch-orthodoxe Priester auf der Insel Heybeliada von einer säkularen Regierung geschlosse­n, was die Gemeinde vor Nachwuchsp­robleme stellt. Bis heute wurde sie nicht wiedereröf­fnet.

Und um die Verwirrung noch etwas zu steigern: Es war ausgerechn­et die AKP-Regierung unter Präsident Erdogan, die die Minderheit­enrechte der Religionsg­emeinschaf­ten stärkte. So wurden jüdischen und christlich­en Gemeinden in den vergangene­n Jahren Immobilien im Wert von zwei Milliarden Euro zurückgege­ben, die unter den säkularen Vorgängerr­egierungen beschlagna­hmt worden waren.

 ??  ?? Bischof Yusuf Cetin und Tayyip Erdogan.
Bischof Yusuf Cetin und Tayyip Erdogan.

Newspapers in German

Newspapers from Austria