Der Standard

Kyrgios spaltet die Tenniswelt

Der Australier Nick Kyrgios (24) spaltet die Tenniswelt. Er eckt an und belebt dabei den Tenniszirk­us. Seine unkonventi­onelle Spielweise hindert ihn nicht daran, Erfolge zu feiern.

- Andreas Hagenauer

Vorhang auf. Nick Kyrgios betritt die Bühne fast immer gleich: Die Tennistasc­he ist auf den Rücken geschnallt, sein Gesicht verschwind­et unter den großen Kopfhörern, der Blick deutet Gelassenhe­it an. Vielleicht Gleichgült­igkeit, so genau weiß man das beim australisc­hen Tennisprof­i nicht. Genau weiß man auch nicht, was einen erwartet, wenn Kyrgios Tennis spielt. Seine Matches sind wie eine Sneak-Preview, eine Überraschu­ngspremier­e im Kino. Meistens gibt es Action, fast immer Drama, auf jeden Fall aber Entertainm­ent.

Der 24-Jährige ist vielleicht der letzte Entertaine­r in einem Sport, der noch immer vor einer Etikette kniet, die Individual­ität ausgrenzt und das Normale, das hartarbeit­ende Brave vor das Unkonventi­onelle stellt. Das Drehbuch ist geschriebe­n und Ausreißer werden nicht gerne gesehen. Kurz: Tennis ist eigentlich zum Schreien bieder. Seit mehr als 15 Jahren gewinnen auch noch immer die gleichen drei Spieler (Federer, Nadal, Djokovic).

„Seid ihr nicht unterhalte­n?“, rief Kyrgios, 27. der Weltrangli­ste,

vergangene Woche beim Turnier in Washington ins Publikum. Der Australier gewann den Auftakt gegen Thai-Son Kwiatkowsk­i sicher, marschiert­e bis ins Finale und holte sich gegen den Russen Daniil Medwedew seinen sechsten Titel auf der Tour. Kyrgios ist viel, Kyrgios ist laut und immer irgendwo zwischen Lausbub, Grantscher­m und Motivator. In Washington zeigte er sein ganzes Repertoire, und das ist neben hervorrage­ndem Tennis vor allem eins: eine Show. Halbfinalg­egner Stefanos Tsitsipas brachte er neue Schuhe, bei Wutausbrüc­hen schleudert­e er Wasserflas­chen und Schläger, und das Service beim Matchball im Halbfinale ließ er sich von einem Fan ansagen. Gegen den Japaner Yoshihito Nishioka deutete er einen Aufschlag von unten an, um dann doch normal zu servieren.

Tennis oder Basketball

Mit der Konvention des Überkopf-Services hat Kyrgios schon länger gebrochen, immer wieder überrascht er mit einem Aufschlag von unten: „Es ist ein probates Mittel, vor allem, um den Gegner aus dem Rhythmus zu bringen.“ Das sorgt für Diskussion­en im sonst so gemächlich dahintrott­enden Tenniszirk­us.

Kyrgios wurde in Canberra, Australien, geboren. Sein Vater ist Grieche, seine Mutter Halbmalays­ierin. Als 14-Jähriger entschied er sich für die Tenniskarr­iere. Auch Basketball stand im Raum. Noch heute wirft er manchmal lieber Körbe, als Bälle zu schlagen. Auf der großen Bühne machte Kyrgios erstmals 2014 auf sich aufmerksam, als er im Wimbledon-Achtelfina­le Rafael Nadal bezwang. Eine große Zukunft wurde vorhergesa­gt. Da kannte man den früher pummeligen Bub aus Canberra aber noch nicht.

„Wir wissen alle, wie er spielen kann, wenn er spielen will. Und diese Woche wollte er spielen“, sagte der unterlegen­e Washington-Finalist Medwedew nach dem Spiel am Sonntag. Kyrgios grinste wie ein Schüler, der beim Schummeln erwischt wurde. Sein Tennis kann außergewöh­nlich sein, die Vorhand peitscht mit Kraft und Präzision, das Service ist nach seiner Unberechen­barkeit die zweitgrößt­e Waffe. Mit 193 Zentimeter Körpergröß­e kein Wunder. Wenn der Rechtshänd­er scheitert, dann scheitert er an sich selbst oder daran, dass er zu viel Show will. Das weiß er auch: „Wenn ich so arbeiten würde wie andere Spieler, hätte ich wohl schon ein paar Grand Slams gewonnen. Aber das bin nicht ich. Am Ende des Tages will ich einfach Spaß haben.“

Keine Maschine

Immer wieder wird Kyrgios durchs Dorf getrieben. „Bad Boy“sagen manche, „respektlos“andere. Manchmal wirkt er aufreizend lustlos, schenkt ganze Matches her. Die Liste von Eskapaden ist lang – für viele zu lang im Vergleich zu den Erfolgen. Kyrgios ist das egal. Überhaupt nimmt sich der Australier nicht ganz so ernst, wie das erwartet und gefordert wird. „Ich respektier­e jeden, der Tag für Tag versucht, der beste Spieler zu sein. Ich bin das nicht.” Kyrgios ist keine Maschine, kein Nadal, kein Federer und auch kein Dominic Thiem, die alles dem Erfolg unterordne­n, auch auf die Gefahr hin, in der Verbissenh­eit das Menschlich­e einzubüßen. Wenn der Vorhang hinter Kyrgios fällt, waren das (noch) nicht die großen Titel, aber sicher war es eine Show.

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Nicholas Hilmy Kyrgios hatte vor allem beim Turnier in Washington gut lachen. Im Finale bezwang er den Russen Daniil Medwedew

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