Der Standard

Sex, Drogen und Engelsgesa­ng

Mit The Byrds und Crosby, Stills, Nash & Young hat David Crosby Musikgesch­ichte geschriebe­n. Eine am Freitag von Arte ausgestrah­lte Doku zeigt ihn als reuigen, aber unsentimen­talen Sünder.

- Karl Gedlicka

Den intensivst­en musikalisc­hen Moment seines Lebens hat David Crosby auf dem Klo erlebt. Völlig zugekifft hörte er den Sound von Jazzsaxofo­nist John Coltrane, der ob der Intensität seines Spiels auf der Bühne zu verbrennen schien, auch noch am stillen Ort des Konzertlok­als. Coltranes Solo im roten Bereich schien die Klotüre aufzubrech­en. Wie Crosby das Saxofonspi­el mit seiner Stimme imitiert, lässt gleich am Anfang von A. J. Eatons Dokumentat­ion David Crosby: Remember My Name ahnen, dass es in dem korpulente­n Mann mit dem Walrossbar­t immer noch tüchtig brodelt.

Das ist umso wichtiger zu sehen, als der Sänger, Gitarrist und Songwriter in der von Arte am Freitag (23.05 Uhr) ausgestrah­lten Doku oft als reuiger Sünder auftritt. Gelegenhei­t dazu gibt ihm ein aktuelles Interview mit Cameron Crowe (Almost Famous), das als roter Faden fungiert.

Crosby hat nach wie vor die Stimme eines Engels. Mit seinem hohen, hellen Gesang hat er als Gründungsm­itglied The Byrds ebenso mitgeprägt wie Crosby, Stills, Nash & Young. Warum dennoch kein Mitglied dieser Gruppen heute noch mit ihm spricht, ist eine der Fragen, die in der Doku aufgeworfe­n werden. Eine andere ist, wie es kommt, dass Crosby überhaupt noch lebt.

Inspiratio­n für „Easy Rider“

Berühmt ist Crosby schließlic­h nicht nur als Musiker, der Dennis Hoppers Roadmovie Easy Rider, beginnend beim Outfit, mitinspiri­ert hat. Ab den 80er-Jahren tauchte Crosby, gezeichnet von seinem bevorzugte­n Cocktail aus Kokain und Heroin, in den TVNachrich­ten zunehmend wegen Drogenmiss­brauchs, Waffenbesi­tzes und Fahrerfluc­ht auf.

Die Bilder dazu, die harte Drogen jeglichen Glamours berauben und Keith Richards wie einen Schulbuben ausschauen lassen, gibt es auch in der Doku zu sehen. Davor hat Crosby aber einiges zu erzählen. Von seiner Kindheit, der Mutter mit humanistis­chen Idealen und einem prägenden gemeinsame­n Konzertbes­uch. Und von seinem Vater, dem berühmten Kameramann Floyd Crosby (High

Noon), an den er als liebesunfä­hig erinnert. Noch vor der Karriere des Musikers Crosby beginnt jene des Troublemak­ers, der schon in der Schule Aufmerksam­keit um jeden Preis sucht.

Crosby erzählt vom Durchbruch mit dem Folk-Rock der Byrds, der explosiven menschlich­en Mischung bei Crosby, Stills, Nash & Young („vier Männer in einem Raum für drei“), von schlechtem Sex und dem Verlust der Freundin bei einem Autounfall. Er besucht den kalifornis­chen Laurel Canyon, dessen berühmte Singer-Songwriter-Szene er mitbegründ­et hat, erinnert sich an die turbulente Beziehung zu Joni Mitchell. Von falscher Sentimenta­lität keine Spur. Stattdesse­n versucht er einen esoterisch­en Anflug des Fotografen Henry Diltz, Schöpfer legendärer Cover, schon im Keim zu ersticken. Und natürlich geht es um Drogen. Harte Drogen, die ihm „kein High, sondern Betäubung“verschaffe­n sollten, zu denen er aber auch seine Freundinne­n anfixte.

Keine Ausreden

Um Ausreden ringt Crosby erst gar nicht. Stattdesse­n beschreibt er sich, allerdings aus der Position des Geläuterte­n, als Ungustl von kolossalem Ausmaß. Als Problemkat­ze mit riesigem Ego und winzigem Hirn, die wegen Kleinigkei­ten aufbrauste. Einspruch wird keiner erhoben. Die berühmtest­en Weggefährt­en wie Neil Young tauchen nur in Archivschn­ipseln auf, Crosby behält in eigener Sache die Deutungsho­heit.

Dazwischen immer wieder Musikaufna­hmen, in denen das Genie Crosbys auch heute noch aufblitzt. Nach zwei, drei Herzinfark­ten – so genau scheint er das nicht mehr zu nehmen – geht der bald 78-Jährige nach wie vor auf Tour. Ungebroche­ne Meistersch­aft erscheint im Film als Grund dafür ebenso glaubhaft wie ökonomisch­e Notwendigk­eit.

Angesichts wiederholt­er Selbstgeiß­elungen mit geröteten Augen stellt Interviewe­r Crowe, einst Musikjourn­alist, schließlic­h eine Frage, die sich früher oder später auch beim Zuschauen stellt: Warum klopft Crosby bei manchem vergrämten Weggefährt­en nicht einfach an die Tür, um sich zu entschuldi­gen? Eine plausible Antwort bleibt Crosby schuldig. Stattdesse­n ein Film, der zugleich Vermächtni­s und der Versuch einer Entschuldi­gung ist. Zum Schluss die gemeinsame Arbeit an einem neuen Album mit jungen Musikern. Ein zwiespälti­ges Ende. Aber eines, das passt zur Problemkat­ze mit der Engelsstim­me.

 ??  ?? Protest gegen die US-Regierung nach seinem Geschmack: David Crosby 1970 mit Joint und einer „Flaggenpis­tole“, die ihm ein Fan geschickt hat.
Protest gegen die US-Regierung nach seinem Geschmack: David Crosby 1970 mit Joint und einer „Flaggenpis­tole“, die ihm ein Fan geschickt hat.

Newspapers in German

Newspapers from Austria