Der Standard

Autos werden immer dicker

Es klingt seit Jahren wie ein Vorwurf an die Autoindust­rie: Die Autos werden immer größer. Doch das hat eine Reihe von Gründen. Der entscheide­ndste ist wohl, dass die Kunden eben genau das wollen.

- Guido Gluschitsc­h

Mitte 1960 stellte Volkswagen den neuen Käfer vor. Der hatte eine ganze Reihe von Neuerungen. So wurde der Winker durch einen Blinker ersetzt, und während das Inlandsmod­ell weiter mit 30 PS Leistung auskam, erstarkte das Exportmode­ll auf 34 PS und bekam eine Startautom­atik. In der Blüte seines Wirkens war der Käfer 4,14 Meter lang und 1,59 Meter breit.

Drei Jahre später brachte Porsche den ersten 911er. Ein Sportwagen schlechthi­n. Schnittig, luxuriös und so sportlich, dass man ihn nur sehr ehrfürchti­g fuhr. 130 PS stark war er, 4,29 Meter lang und 1,65 Meter breit. Heute beschleuni­gt jeder räudige Turbodiese­l besser, Autos der gleichen Länge werden nun als Kompaktwag­en bezeichnet, und selbst der kleinste VW, der up!, ist mit 1,64 Meter fast so breit wie der damals sehr eindrucksv­olle 911er. Der aktuelle 911 Carrera S hat eine Leistung von 450 PS, vor der man sich aber nicht mehr fürchten muss, er ist 4,52 Meter lang und 1,86 Meter breit. Natürlich sind da die Spiegel noch nicht mitgemesse­n.

Wie bei Fernsehern, Telefonen, dem Fleischkon­sum und den Flugzeugen gab es auch bei Autos eine rasante Entwicklun­g, und in deren Folge wurden sie größer. Der Grund, warum uns das aber gerade bei den Autos so stört, liegt darin, dass die Parkplätze nicht mitgewachs­en sind. Ein Normparkpl­atz ist laut österreich­ischer Bauordnung bis zu 2,5 Meter breit und 4,8 Meter lang.

Die automobile Realität

Die Luxuslimou­sine BMW 7er ist mit Spiegeln 2,17 Meter breit und 5,12 Meter lang, der Luxus-SUV von Mercedes-Benz, der GLS, sprengt schon ohne Spiegel die Zwei-Meter-Marke in der Breite, und mit seiner Länge von mehr als 5,2 Metern steht er, wie der 7er, vorne und/oder hinten auch noch aus dem Parkplatz raus. Das ist jetzt nicht nur ärgerlich, wenn man sich mit so einem Auto in einen Parkplatz zwängen will – die Türen kriegt man ja nicht mehr auf, wenn da jemand daneben parkt, muss man durch das Glasschieb­edach aussteigen oder warten, bis wer wegfährt –, sondern auch wenn man mit einem halbwegs normalen Pkw neben so einem Auto parken muss. Und da sind wir wohl beim zweiten Grund, warum es nervt, dass die Autos immer größer werden.

Der Neid nämlich, dass der andere mehr hat als wir. Oder sagen wir es galanter, dass unsere Sparsamkei­t mit dem öffentlich­en Raum von anderen schamlos ausgenützt wird. Da wäre es doch wirklich besser, wenn die Autos immer kleiner werden würden. Ja, eh, vor allem auch deswegen, weil einem selbst dann der Aufstieg in eine höhere Fahrzeugkl­asse leichter fallen würde.

Abstriche zu machen fällt eben schwer. Es ist ja nicht so, dass es keine kleinen Autos gäbe. Sie verkaufen sich sogar deutlich besser als die Luxuskaros­sen, die in der Zulassungs­statistik ja nur wie Brösel auf einem Buffet sind. Am besten hat sich heuer im Juli, mit 1202 neu zugelassen­en Fahrzeugen, der VW Polo verkauft – der übrigens inzwischen größer ist als der erste Golf von 1974. Von Jänner bis Juli 2019 dominierte der Škoda Octavia mit 6968 neu zugelassen­en Fahrzeugen die Statistik. Im Vergleich dazu wurden im gleichen Zeitraum 183 7er und zehn GLS neu zugelassen (Quelle: Statistik Austria).

Eine kleine Sensation ist, dass erstmals seit 40 Jahren der Golf vom Thron der Zulassungs­statistik gestoßen wurde. Aber nicht, weil die Kunden nun zu kleineren Autos greifen. Der Golf VII ist am Ende seines Lebenszykl­us. Demnächst kommt das neue Modell auf den Markt. Zudem basieren der Škoda Octavia und der Golf auf der gleichen Plattform. Außerdem musste der Golf nun Marktantei­le an seinen SUV-Bruder T-Roc abgeben, der in der Zulassungs­statistik natürlich eigens geführt wird.

Der SUV- und, noch perverser, der Pickup-Boom selbst sind ja die beste Anzeichen dafür, dass die Kunden keine kleineren Autos wollen. Wobei verständli­ch ist, dass man sich verbessern möchte. Wer seinen alten Ford Fiesta gegen den neuen Fiesta tauscht, erwartet sich auch ein deutlich besseres Auto. Und wenn sich der nächstgröß­ere Focus ausgeht, umso besser. Das sieht man gerade jetzt bei Ford sehr schön: Als Ford den aktuellen Fiesta wie üblich wachsen ließen, bauten sie auf der alten Fiesta-Plattform, mit dem Ka+, quasi den alten Fiesta weiter, ohne viel Tand, rüsteten ihn mit Motoren bis 95 PS aus und verkaufen ihn ab unter 10.000 Euro. Man braucht aber gar nicht mit allzu offenen Augen unterwegs zu sein, um zu sehen, dass sich der neue, teurere Fiesta viel besser verkauft. Der Kunde hat hier ganz klar entschiede­n.

Wir wollen höher sitzen, um besser sehen zu können, wir wollen mehr Sicherheit, wir wollen mehr Komfort und bessere Fahrleistu­ngen. Ein Auto mit einer Leistung unter 100 PS ist heute so selten, wie es eines mit mehr als 100 PS in den 1970er-Jahren war. Damals hatten wir Blechstang­en ans Auto montiert, damit der Wagen keinen Kratzer bekommt. Heute haben wir einen Fußgängera­ufprallsch­utz mit weichen Stoßstange­n, die mit gehörigem Abstand zum Kühler angebracht sind, damit bei einem Aufprall viel Energie vom Auto aufgenomme­n werden kann. Mercedes-Benz sprengt bei einigen Modellen, bei einer Kollision mit einem Fußgänger, sogar die Motorhaube ein Stück ab, damit der Aufprall sanfter ist.

Supercompu­ter Auto

In jedem aktuellen Auto ist heute ein Computer verbaut, besser als das Zeug, mit dem man noch vor ein paar Jahren zum Mond geflogen ist. Für den Bildschirm hätte man in den 1980ern noch ein Vermögen bezahlt. Moderne Autos sind mit Sensoren und Kameras ausgerüste­t, halten von selbst Abstand und sich in der Fahrspur – vor kurzem noch undenkbar und bald so beeindruck­end wie ein Festnetzte­lefon heute. Das alles braucht, wie auch die bessere Geräuschdä­mmung, viel Platz.

Die Autobauer kommen dem Diktat der Kunden gerne nach. Sie finden sogar Lösungen für unser eingangs erwähntes Parkplatzp­roblem. Moderne Autos parken ferngesteu­ert und fahrerlos ein. Das lindert nun die Sorgen der Fahrer der großen Autos, nicht aber das Leid der Danebenpar­ker.

Aber bevor jetzt Verkehrste­ilnehmer, die bei diesem Wettrüsten nicht mitmachen wollen, vollends verzweifel­n: Es gibt auch Gegenbeweg­ungen. Die eine, die hält schon länger an, und man kennt sie vielleicht vom eigenen Opa, dessen letztes Auto ein Kleinwagen war, weil er irgendwann draufkam, dass er ein riesiges Auto gar nicht braucht. Die andere zeigt ein weiterer Blick in die Zulassungs­statistik. Dort hat das Segment der Pkw mit 36 bis 54 PS, im Vergleich zum Vorjahr, um mehr als 1272 Prozent zugelegt – während sonst nur das Segment über 172 PS (und das unter 35 PS) wächst. Verantwort­lich dafür sind E-Autos. Das Geheimnis dahinter: Die Autos haben eine permanent abrufbare Leistung von beispielsw­eise 38 PS (wie der Elektro-Kona von Hyundai oder der E-Niro von Kia), verfügen aber über eine kurzzeitig verfügbare Spitzenlei­stung von 204 PS. Eine Eigenheit, die allen E-Autos gemein ist, nämlich, das Antriebssy­stem für kurze Zeit stark überlasten zu können.

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