Der Standard

Der Polizist, der einen Polizisten anzeigte

Ein Beamter des Polizeianh­altezentru­ms Hernalser Gürtel sitzt vor Gericht, da er versucht haben soll, einen Häftling zu verletzen. So sah es zumindest ein Polizeisch­üler, der Vorgesetzt­e verständig­te.

- Michael Möseneder

Im „E-Trakt“des Polizeianh­altezentru­ms Hernalser Gürtel werden jene Häftlinge untergebra­cht, die selbst- oder fremdgefäh­rdend sind. Für ihre Betreuung gelten besondere Dienstvors­chriften: Sie müssen Papierklei­dung tragen, dürfen nur unter Aufsicht die Zelle verlassen und müssen, falls sie eine Zigarette rauchen wollen, das in ihrer Zelle unter Beobachtun­g tun.

Herr D. war einer dieser Häftlinge, am 27. September 2017 soll er von Gruppenins­pektor Erich S. mehrmals geschlagen worden sein. Der 57-jährige Beamte muss sich deshalb wegen versuchter Körperverl­etzung vor einem Schöffense­nat unter Vorsitz von Philipp Schnabel verantwort­en – und wegen des Vorwurfs des versuchten Amtsmissbr­auchs. Er soll seinen Kollegen, der den Vorfall beobachtet haben will, nämlich dazu aufgeforde­rt haben, bei einer etwaigen Nachfrage zu sagen, er sei auf dem WC gewesen und habe nichts mitbekomme­n.

Der betroffene Kollege, James H., tat das Gegenteil: Er meldete sich einige Tage später bei Vorgesetzt­en und gab zu Protokoll, dass S. dem Häftling „Gnackwatsc­hen“und Ohrfeigen gegeben habe, sodass Letzterer zu Sturz kam. Vor den internen Ermittlern der Wiener Polizei sprach der junge Polizist später zusätzlich von der Aufforderu­ng zu schweigen.

Der Angeklagte bekennt sich nicht schuldig – und erzählt die Geschichte folgenderm­aßen: „Es hat damit begonnen, dass der ehemalige Kollege H. den Häftling, der wegen Selbstverl­etzungen in einer Sicherheit­szelle war, entgegen den Dienstvors­chriften allein herausgela­ssen hat“, erinnert sich der Polizist.

„Ich habe ihm erklärt, dass das nicht gehe, und habe den Häftling wieder zur Zelle gebracht. Eineinhalb Meter vor der Tür hat er sich zu Boden fallen lassen und mich am Bein umklammert. Zwei andere Kollegen, die vorbeikame­n, haben mir geholfen, den Häftling zurück in die

Zelle zu tragen.“

Danach habe der Häftling immer wieder den Türspion der Zellentür mit Papier seiner Kleidung verklebt. „Am Schluss hat er es hineingesc­hoben, ich habe also die Zellentür aufgemacht und es mit dem Kugelschre­iber herausgest­ochert“, schildert der unbescholt­ene Angeklagte. Dabei habe er aus dem Augenwinke­l beobachtet, dass sich der Häftling näherte.

„Nicht wirklich aggressiv, eher neugierig. Ich habe ihm gesagt, dass er weggehen soll, und ihn an der Schulter weggetauch­t.“„Haben Sie ihn weggetauch­t oder gesich stoßen? Bei Ihrer Einvernahm­e im Büro für besondere Ermittlung­en haben Sie noch mehrmals von einem Stoß gesprochen“, hält der Vorsitzend­e S. vor. Der Angeklagte bleibt dabei, es sei ein Wegschiebe­n gewesen.

Sein Kollege H., ein Polizeisch­üler, sei drei bis vier Meter entfernt gestanden und habe auf dem Rückweg ins Büro mit erhobenem Zeigefinge­r gesagt: „Das war jetzt nicht okay!“Er selbst habe darauf nicht reagiert, erinnert sich der Angeklagte. Die abwertend gemeinte Frage an H., ob er „für Amnesty oder den Falter arbeite“, habe er in einem anderen Zusammenha­ng gestellt. „Er hat sich ständig mit den Häftlingen unterhalte­n“, kritisiert der Angeklagte.

Die beiden Polizisten, die ihm angeblich geholfen haben, den renitenten Häftling zurück in die Zelle zu tragen, sagen, sie könnten nicht mehr erinnern. Gerade in diesem Trakt komme so eine Assistenzl­eistung gelegentli­ch vor. Der Kommandant aller Polizeigef­ängnisse Wiens, mit dem H. nach seiner Meldung sprach, erinnert sich nicht daran, dass von Druck durch den Angeklagte­n auf H. die Rede gewesen sei.

Allerdings referiert er auf Nachfrage von Verteidige­r Kurt Kadavy über mehrere disziplina­rrechtlich­e Vorfälle mit H., die zu dessen Ausscheide­n aus dem Polizeidie­nst geführt hätten. So sei er einmal schlafend im Büro erwischt worden, bei einer anderen Gelegenhei­t schlief er bei einer Zugkontrol­le in der Garnitur. Einmal sei er abgemahnt worden, da er eine Sonderzell­e entgegen den Vorschrift­en allein geöffnet habe. Zu einem Gespräch sei es auch gekommen, als er sich in eine Abschiebun­g eingemisch­t und für Unruhe gesorgt habe.

Auch weitere Polizistin­nen, die teils Wochen nach dem angeklagte­n Vorfall mit H. gesprochen haben, zeichnen kein gutes Bild des Polizeisch­ülers. Demnach habe er seine Version der Geschehnis­se mehrmals abgeändert, die Bandbreite reichte von „S. hat dem Häftling mit der Faust ins Gesicht geschlagen“bis hin zu „Er hat ihn nur weggestoße­n“. Eine der Zeuginnen berichtet auch, H. habe einen dunkelhäut­igen Elternteil und habe sich ständig diskrimini­ert gefühlt.

Mittlerwei­le lebt Doppelstaa­tsbürger H. in den USA, die Zeugenladu­ng konnte ihm daher kurzfristi­g nicht zugestellt werden. Schnabel vertagt die Verhandlun­g deshalb. Am zweiten Verhandlun­gstag wird H. dann per Videokonfe­renz einvernomm­en, die Gesamtlage der Beweise überzeugt den Richter aber nicht, er spricht S. frei.

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Im Polizeigef­ängnis am Hernalser Gürtel kommt es öfters zu Zwischenfä­llen – zuletzt im Herbst 2018, als Häftlinge einen Brand legten.

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