Der Standard

KOPF DES TAGES

In Indien muss es wieder eine Gandhi sein

-

So beliebt Sonia Gandhi bei ihren Anhängern in Indien ist, so sehr finden ihre politische­n Gegner Gründe zum Angriff. Die heute 72-jährige sei doch gar keine echte Inderin, bringen vor allem die Hindunatio­nalisten immer wieder aufs Tapet. In der Tat wurde die Witwe des ermordeten Rajiv Gandhi in Italien geboren. Doch fügte sie sich schnell in die Familie ihres verstorben­er Mannes ein, verstand sich bestens mit ihrer Schwiegerm­utter Indira, die selbst Tochter des ersten Premier Indiens, Jawaharlal Nehru, war. Ein anderer Vorwurf, den die Regierungs­partei BJP nicht müde wird zu betonen: Ihre Kongresspa­rtei sei tief verwurzelt in Nepotismus, Korruption und Clan-Packeleien. Nur Gandhis könnten an die Spitze, für Outsider sei kein Platz.

An letzterem Vorwurf ist was dran. Sonia Gandhi übernimmt bereits zum zweiten Mal die Spitze der Partei. Bisheriger Chef war ihr Sohn Rahul. Er hatte aber bei den Wahlen im Mai eine herbe Niederlage hinnehmen müssen. Niemand aus der Nehru-Gandhi-Dynastie solle mehr an die Spitze kommen, meinte er bei seinem Rücktritt. Dass nun doch wieder seine Mutter Sonia das Ruder übernimmt – zumindest interimist­isch bis Ende des Jahres – ist wohl das klarste Zeichen dafür, wie

schwer es der Traditions­partei fällt, die alten Muster zu durchbrech­en.

Geboren 1946 in Vicenza in Italien, zog die Unternehme­rtochter nach der Schule nach Cambridge zum Englisch-Sprachstud­ium. Als Teilzeitke­llnerin traf sie dort ihren zukünftige­n Ehemann Rajiv. Dessen Mutter Indira war damals die eisern regierende Premiermin­isterin Indiens. Nach ihrer Hochzeit 1968 zog Sonia ins Haus ihrer Schwiegerm­utter in Delhi, zwei Kinder wurden geboren. 1984 wurde Indira Opfer eines Attentats. 1991 ereignete sich der nächste Schicksals­schlag: Rajiv wurde von Tamil-Terroriste­n ermordet. Die Rufe an Sonia, selbst die Partei zu führen, waren damals laut. Aber erst sieben Jahre später folgte sie ihnen.

Während der ersten BJP-Regierung war Sonia Opposition­sführerin. Bei den nächsten Parlaments­wahlen, 2004, führte sie den Congress zum Sieg. Und doch wurde nicht sie, sondern Manmohan Singh Premiermin­ister des Subkontine­nts. Die Hindunatio­nalisten hatten wieder aggressiv mit der „nicht-indischen“Herkunft Sonias kampagnisi­ert. Und doch war sie von 1998 bis 2017 die längst-dienende Parteichef­in in der Geschichte der Traditions­partei. Nun übernimmt sie den Sessel wieder.

 ?? Foto: Reuters ?? Sonia Gandhi übernimmt wieder den Chefsessel der indischen Kongresspa­rtei.
Foto: Reuters Sonia Gandhi übernimmt wieder den Chefsessel der indischen Kongresspa­rtei.

Newspapers in German

Newspapers from Austria