Der Standard

Zwei Opfer im Passauer Armbrustfa­ll betäubt

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Es ist ein Eklat, wie ihn Tunesien in Sachen Migrations­und Abschottun­gspolitik inzwischen regelmäßig erlebt. Vor einer Woche stellte die tunesische Menschenre­chtsorgani­sation FTDES ein Video online, in dem eine Gruppe in der Wüste ausgesetzt­er Migranten und Flüchtling­e um Hilfe fleht. „Wir waren gerade dabei, die Feier zur Unabhängig­keit unseres Landes, der Elfenbeink­üste, vorzuberei­ten. Dann kam die Polizei“, erzählt ein Mann, der das nur 80 Sekunden lange Video am Tag nach ihrer Verhaftung aufgenomme­n und an Hilfsorgan­isationen weitergele­itet hatte. Es zeigt eine Gruppe Männer, Frauen und Kinder, die inmitten einer karg bewachsene­n Wüstenregi­on auf dem Boden sitzen. Man habe weder Wasser noch Nahrung, sagt eine Frau. „Wir brauchen euch“, so die Stimme aus dem Off.

Die Gruppe war Anfang August in Sfax verhaftet und nach Medenine gebracht worden, bevor sie – offenbar auf Weisung des Gouverneur­s der Provinz – von der Nationalga­rde in einem militärisc­hen Sperrgebie­t nahe der libyschen Grenze ausgesetzt wurde.

Schnell rief der Fall lokale Menschenre­chtsorgani­sationen sowie den Roten Halbmond und die UNMigratio­nsbehörde IOM auf den Plan, die sich seither mit Hochdruck für ihre Rettung einsetzten. Die Nationalga­rde versorgte die Menschen zwar noch Mitte der Woche mit etwas Wasser und Nahrung, doch Tunesiens Behörden weigerten sich tagelang, die Verantwort­ung zu übernehmen. Erst am Freitag bestätigte Mongi Slim vom Roten Halbmond dem STANDARD, die Nationalga­rde habe 24 von ihnen zurückhole­n können. Sechs Frauen und zwei Kinder seien in einem Aufnahmeze­ntrum in Medenine untergebra­cht worden. Die 16 Männer sollten nach Tunis gebracht werden. Was mit den verbleiben­den zwölf Menschen geschehen ist, bleibt unklar.

Die medizinisc­he Hilfe kam jedoch zu spät. Eine schwangere Frau verlor am Samstag ihr Kind, sagte Romdhane Ben Amor von FTDES dem STANDARD und wirft dem Staat vor, seinen Pflichten nicht nachgekomm­en zu sein.

Tunesiens Regierung agiert dabei äußerst zweifelhaf­t. Das Innenminis­terium hatte vergangene Woche erklärt, 70 Personen ver– schiedener Nationalit­äten in Sfax bei dem Versuch eines „illegalen Grenzübert­ritts“verhaftet zu haben. Ein Sprecher des Innenminis­teriums behauptete zudem, bei den an der libyschen Grenze ausharrend­en Flüchtling­en und Migranten handle es sich nicht um dieselben Menschen.

Landung verweigert

Der Fall ist derweil bei weitem nicht der erste, bei dem Tunesiens Behörden die Verantwort­ung für sich in Tunesien aufhaltend­e Migranten und Flüchtling­e zurückweis­en und auf Abschrecku­ng setzen. Bereits im Juni weigerten sich die Behörden, 75 Menschen von einem havarierte­n Fischerboo­t an Land gehen zu lassen. Das Boot war von Libyen aus in See gestochen und kurz darauf nahe der tunesische­n Küste durchgebro­chen, erzählt ein junger Mann, der an Bord war. „Es tauchte ein Schiff auf, doch es blieb drei Tage lang auf Abstand. Erst als vier von uns ins Wasser gesprungen und zu dem Schiff geschwomme­n sind, haben sie uns aufgenomme­n“, so der junge Mann. „Aber weder Malta noch Italien oder Tunesien wollen uns aufnehmen.“Die Gruppe überwiegen­d Menschen aus Bangladesc­h – musste 30 Tage auf See ausharren, bis die Regierung in Tunis einlenkte und sie an Land gehen ließ.

Beide Vorfälle weisen indes auf sich verändernd­e migrations­politische Dynamiken in Nordafrika hin. „Die Anzahl der aus Subsahara-Afrika stammender Migranten und Migrantinn­en, die in Tunesien abgefangen werden, steigt an“, so Ben Amor.

Noch 2018 stammten rund zehn Prozent der Menschen, die von Tunesien aus irregulär in Richtung Europa aufgebroch­en sind und abgefangen wurden, aus Subsahara-Afrika. Heute seien es schon fast 30 Prozent, erklärt der Menschenre­chtler.

Bisher stachen von Tunesien aus vor allem Tunesier in See, doch die immer instabiler­e Lage in Libyen zwinge auch Menschen anderer Nationalit­äten dazu, es von Tunesien aus zu versuchen. Zudem würden junge Tunesier neue Routen nutzen. Ben Amor fordert derweil seine Regierung, aber auch die EU unmissvers­tändlich dazu auf, die humanitäre Unterstütz­ung für Migranten und Migrantinn­en zu garantiere­n.

– Im Passauer Armbrustfa­ll gehen die Ermittler davon aus, dass zwei der Opfer mit K.-o.Tropfen betäubt worden sind, bevor sie von einer 30-Jährigen mit einer Armbrust getötet wurden. Das sagte ein Sprecher der Staatsanwa­ltschaft Passau am Montag. Nachdem die Frau vor gut drei Monaten ihre beiden 53- und 33jährigen Begleiter in einer Pension in Passau getötet hatte, brachte sie sich selbst um. Mitarbeite­r einer Pension hatten die drei tot auf deren Zimmer gefunden. (dpa)

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Bereits jetzt sind die tunesische­n Behörden mit den Toten der Schiffsung­lücke vor ihrer Küste überforder­t.

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