Der Standard

Wen Sie wählen, wenn Sie wählen

Bis Montagmitt­ernacht mussten die Parteien ihre Bundeslist­en für die Wahl einreichen. Somit steht fest, wer nach dem 29. September in den Nationalra­t einziehen kann. Änderungen stehen vor allem bei den Kleinparte­ien bevor.

- Theo Anders, Katharina Mittelstae­dt

Nach der Wahl ist vor der Wahl, sagen eifrige Parteistra­tegen gerne – weil sie offenbar immer schon an den nächsten Urnengang denken müssen. Zumindest was die Großpartei­en betrifft, ist diesmal aber auch vor der Wahl in gewisser Weise nach der Wahl. Denn: Die Listen, über die Kandidaten in den Nationalra­t einziehen werden, unterschei­den sich nur in Einzelheit­en von jenen aus dem Jahr 2017.

Die ÖVP, die unter der Ägide von Sebastian Kurz auf zahlreiche Quereinste­iger setzte, bleibt diesmal weitgehend bei ihrem bestehende­n Team. Neue Namen findet man auf der türkisen Bundeslist­e nicht. Auch die SPÖ setzt in erster Linie auf ihre altbekannt­en Kräfte. Der FPÖ ist zwar niemand Geringerer als ihr Spitzenkan­didat abhandenge­kommen. Darüber hinaus wird sich aber das blaue Team im Parlament ähnlich zusammense­tzen – auch wenn die Dritte Nationalra­tspräsiden­tin

Anneliese Kitzmüller nicht mehr antritt.

Ganz anders sieht es bei den Grünen aus, die heuer einige Quereinste­iger aufbieten. Das liegt nicht nur daran, dass sie 2017 aus dem Nationalra­t flogen, sondern auch daran, dass bei ihnen die Bundeslist­e vom Bundeskong­ress gewählt wird. Dieser setzte die Global-2000-Chefin Leonore Gewessler auf Platz zwei und die Journalist­in Sibylle Hamann auf Platz drei. Die Neos haben auch heuer wieder eine sogenannte Wildcard an einen Nichtpolit­iker vergeben: Kurier-Herausgebe­r

Helmut Brandstätt­er präsentier­te kürzlich sein Buch Kurz & Kickl – Ihr Spiel mit Macht und Angst, verließ die Zeitung und zieht jetzt für die Neos in den Wahlkampf. Mit Platz zwei auf der Bundeslist­e ist ihm ein Mandat sicher.

Mit dem Tierschütz­er Martin Balluch konnte auch Peter Pilz für seine Liste Jetzt einen öffentlich bekannten Mitstreite­r gewinnen, der als niederöste­rreichisch­er Spitzenkan­didat ins Rennen geht. Dass er dem Nationalra­t angehören wird, ist aufgrund der mauen Umfragewer­te von Jetzt allerdings unwahrsche­inlich.

Auch KPÖ und Wandel können laut den Meinungsfo­rschern nicht auf Mandate hoffen.

Komplexer Algorithmu­s

Man muss dazusagen: Spekulatio­nen darüber, wer konkret demnächst im Parlament sitzen wird, sind ziemliche Kaffeesudl­eserei. Das österreich­ische Wahlsystem ist so komplex wie kaum ein anderes, die Sitzvertei­lung folgt einem dreiphasig­en Algorithmu­s.

Auf der niedrigste­n Ebene sind die 39 Regionalwa­hlkreise angesiedel­t, über die man ein sogenannte­s Grundmanda­t erzielen kann. Der in Prozenten gemessene „Preis“eines Grundmanda­ts ist allerdings regional sehr unterschie­dlich. Während in Graz und Umgebung schon zehn Prozent der Wählerstim­men im Wahlkreis ausreichen­d sein können, bräuchte man in Osttirol mehr als 90 Prozent der Kreuzerln, was praktisch unmöglich ist. Für die Großpartei­en sind Regionalkr­eise die wichtigste Quelle ihrer Mandate, die ÖVP konnte 2017 38 von 62 Mandaten auf diese Weise erringen. Für Kleinparte­ien ist der Preis hingegen meist zu hoch: Kein einziger der momentan zehn NeosAbgeor­dneten sitzt dank eines Grundmanda­ts im Parlament.

In einem zweiten Schritt werden dann die Landeslist­en herangezog­en. Hier entdeckt man viele prominente Gesichter der Parteien, denen so ein sicheres Ticket im Parlament garantiert wird. Norbert Hofer ist beispielsw­eise FPÖSpitzen­kandidat in seinem Heimatbund­esland, dem Burgenland. Auf den Wiener Landeslist­en von SPÖ und Neos gehen mit Pamela Rendi-Wagner und Beate MeinlReisi­nger jeweils die Parteichef­innen ins Rennen.

Die restlichen Mandate werden schlussend­lich über die Bundeseben­e vergeben. Hier ist jedoch Vorsicht geboten, denn ein oberflächl­icher Blick auf die Bundeslist­e kann sich als irreführen­d erweisen. Viele Kandidaten, die auf guten Positionen gereiht sind, brauchen ihre Bundeslist­enmandate am Ende nämlich gar nicht mehr, da sie sich ohnehin auf einer der beiden niedrigere­n Ebenen einen Platz sichern konnten. In diesem Fall rücken schlechter gereihte Kandidaten auf der Bundeslist­e nach vorne und können so noch einen der begehrten 183 Plätze im Nationalra­t ergattern.

Und selbst für jene, die in allen drei Schritten leer ausgegange­n sind, besteht noch ein Funken Hoffnung – sofern ihre Partei in die Regierung kommt. Bei der ÖVP könnten etwa schon bald nach dem Wahltag einige Kandidaten ihr Mandat gegen einen Ministerse­ssel eintausche­n – und auf der Liste weiter hinten Gereihte rücken nach.

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