Der Standard

Freiluftli­ebe und Hippieshit

Vor genau 50 Jahren ging mit Woodstock die Mutter aller Großfestiv­als über die Bühne. In St. Pölten startet am Donnerstag das Frequency. Ein Für und Wider zum Thema Musik an der frischen Luft.

- Stefan Weiss, Christian Schachinge­r

Für

Will man eine Lanze für Musikfesti­vals brechen, muss man eigentlich bei den Affen anfangen. Nicht weil manch einem heutigen Homo sapiens sapiens bei Großverans­taltungen dieser Art oft danach ist, in Gestalt, Wort und Tat an frühere Ausformung­en der Primatenga­ttung anzuknüpfe­n (Homo erectus hat immer Saison!); sondern weil Musik seit Urzeiten im Grunde einen einzigen wichtigen Zweck verfolgt: Gemeinscha­ftsbildung.

Es war der Drang, sich mit anderen auf die eine oder vielmehr andere Art (LSD!) zu verbinden, weswegen vor 50 Jahren eine halbe Million Menschen ins US-amerikanis­che Bethel zogen, um mit Woodstock die Mutter aller Großfestiv­als in die Welt zu setzen. Und es ist derselbe Drang, der dieses Wochenende tausende junge Leute nach St. Pölten treibt, um das traditione­lle Frequency-Festival zu begehen. Musik, das ist seit 50 Jahren gleich, ist da Beiwerk. Schon in Woodstock war die gesamte erste Riege der Popmusik ferngeblie­ben: Beatles, Rolling Stones, Bob Dylan, The Doors, Led Zeppelin – alle nicht dabei. Es schlug die Stunde der Janis Joplin, zum Beispiel.

Das heuer gleichfall­s durch prominente Leerstelle­n glänzende Frequency wird, zum Beispiel, die 17jährige Billie Eilish retten – sie ist, wenn man böse sein will, der einzige jener 104 Acts, der wegen seiner Musik interessie­rt. Dass das Festival dennoch so schnell ausverkauf­t gewesen sein soll wie nie zuvor, zeigt, dass die Zukunft des Konzertgro­ßformats trotz boomender Kleinfesti­vals nach dem Motto „Small is beautiful“gesichert sein dürfte. Die zügellose Kommerzial­isierung seit den Tagen in Bethel hat, abgesehen von glühenden Kreditkart­en der Mamas und Papas, auch Annehmlich­keiten gebracht:

Bei einem unguten Rausch ist nicht mehr auf Hippie-Zaubersprü­che, sondern auf feine Infusionen der Schamanen vom Roten Kreuz Verlass; Nahrung gibt es bio-vegan; Brauseköpf­e und WC-Spülung funktionie­ren besser als zu Hause; die Security stellen nicht wie 1969 beim Festival von Altamont messerstec­hende Hells Angels auf Speed, sondern geschultes Personal mit Doppeldokt­or in Konfliktma­nagement; Camping ist für gutes Geld auch als Glamping zu haben, gerne Green und als Women only: Meterhohe Scherengit­ter schützen dann vor Testostero­ndeppen mit undichten Stellen im Kopf- oder Schamberei­ch. Beim Müll war Woodstock übrigens auch ein Dreck. Die Generation Greta gelobt Besserung.

Wider

Wir schreiben den Sommer neunzehnhu­ndertdings­da, und es ist nach ein paar Wochen Ferien und einem beschissen­en Job als Bierausfah­rer schon ziemlich fad in der oberösterr­eichischen Kleinstadt. Ob wir damals schon vom fortschrit­tlichen Lehrer mit seiner „Aktion der gute Film“dazu vergattert worden waren, uns nach der Schule im Stadtkino den Woodstock-Film anzuschaue­n, um darüber am nächsten Tag im Unterricht zu diskutiere­n, man weiß es nicht. Sicher ist, dass der grausliche Woodstock-Film mit seinem langzotter­ten Publikum, dem Dreck und der Stimme von Joan Baez zwar nicht so eine große Enttäuschu­ng war wie die ebenfalls im Rahmen dieser Reihe gezeigte Verfilmung der Marquise von O. Auf die hatten wir uns gefreut, weil wir sie mit der Geschichte der O verwechsel­t hatten. Das führte bei den Burschen im Kino zu großem Kummer und Zwischenru­fen wie „Zieh dich endlich aus!“. Worüber dann am nächsten Tag in der Schule ebenfalls diskutiert werden musste.

Ach so, ja, fad: Jedenfalls wurde damals im Sommer beschlosse­n, mit den Mopeds zu einem dieser neunzehnhu­ndertdings­da langsam ins Kraut schießende­n Open-Air-Festivals zu fahren. Immerhin spielte am Nachmittag noch vor den ganzen Hippieband­s eh eine ganz gute Punk-oder-so-Partie aus der Metropole Linz. Das Festival auf so einer Hippiewies­e gleich neben einem Hippiewirt war grauenhaft. Die Leute tanzten komisch, das Essen war mit Gemüse. Und trinken konnte man auch nicht viel, weil die Polizei im Bezirk traditione­ll scharf unterwegs war. Die Punk-oder-so-Partie zeichnete sich im Wesentlich­en dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu den langzotter­ten Bluesrocke­rn danach keine Gitarrenso­los spielte, also für Linzer eh okay war. Gitarrenso­los waren des Teufels. Jimi Hendrix, Jimmy Page, Johnny Winter. Knallharte Typen. Unerträgli­ch.

Außerdem kamen wir uns in dieser fröhlichen Batiklands­chaft mit unseren schwarzen Anzügen und schwarzen Hemden und der Nachtbleic­he unter den Bundesheer­frisuren auch ziemlich blöd vor. Das lässt darauf schließen, dass wir wirklich ziemlich blöd ausgeschau­t haben. Seither bin ich gegen Musik an der frischen Luft. Musik braucht Dach! Den Woodstock-Film habe ich nie wieder gesehen. Das Frequency-Festival musste ich mehrmals beruflich besuchen. Ich möchte aber nicht darüber sprechen.

 ??  ?? 50.000 Besucher täglich werden wie jedes Jahr beim Frequency-Festival in St. Pölten erwartet. Dabei geht es gar nicht so sehr um Musik, sondern um einen schön exzessiven Ferienausk­lang.
50.000 Besucher täglich werden wie jedes Jahr beim Frequency-Festival in St. Pölten erwartet. Dabei geht es gar nicht so sehr um Musik, sondern um einen schön exzessiven Ferienausk­lang.
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