Der Standard

Models spielen mit Geschlecht­errollen

Das Schweizer Model Tamy Glauser stellt Geschlecht­errollen in der Mode infrage – und beweist, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss. Ein Gespräch über die Herausford­erungen des Modelbusin­ess.

- INTERVIEW • KARIN CERNY

RONDO

Tamy Glauser (34) war das Gesicht der Kampagnen von Jean Paul Gaultier, Vivienne Westwood, Givenchy und Louis Vuitton. Die Schweizeri­n ließ Geschlecht­eruntersch­iede verschwimm­en, lief auf Schauen für Frauen und Männer. In ihrem Buch Das, was ich bin, kannte ich nicht erzählt sie davon, wie sie als Pflegekind in einer reichen Familie aufgewachs­en ist, die später ihr Vermögen verlor, wie sie Juniorenme­isterin im Schwimmen wurde, nach New York zog, dort als Drogendeal­erin arbeitete und häusliche Gewalt erlebte. Auch wenn es um Mode geht, nimmt sich Glauser kein Blatt vor den Mund: Sie thematisie­rt offen, wie junge Models ausgebeute­t werden.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Model zu werden? Haben Sie TV-Formate wie „Germany's Next Topmodel“geschaut? Das hat mich nie interessie­rt. Meine leibliche Mutter, die halb Schweizeri­n, halb Nigerianer­in ist, war das erste farbige Model, das von der Agentur Elite unter Vertrag genommen wurde. Deshalb hat mich das als Kind schon beschäftig­t. Aber ich habe mich damals eher hässlich gefühlt. Es gibt ja diese Klischeevo­rstellunge­n, wie ein Model auszusehen hat. Es war also Zufall, dass Sie in diesem Business gelandet sind? Ich hatte niemals damit gerechnet, mit 27 Model zu werden. Ich wollte eigentlich gerade in Berlin ein Studium beginnen, ein Freund schrieb mich in seine Agentur ein. Dann hat Sie Jean Paul Gaultier gebucht. Ja, es war schon nach Mitternach­t, mein Agent rief mich an, ich solle sofort zum Casting kommen. Danach sagte ein freundlich­er Typ, ich hätte den Job. Ich verstand zuerst gar nicht, dass es Gaultier selbst war. Ich kannte ja keinen. Als ich für Gaultier dann lief, saß ich neben dem Supermodel Karlie Kloss und fragte sie, ob sie schon bei vielen Shows dabei gewesen sei. Sie fand mich in meiner Unbedarfth­eit offenbar ganz süß. Sie sprechen in Ihrem Buch offen über Missstände im Modebusine­ss. Haben Sie keine Angst, dass das Ihrer Karriere schaden könnte? Ich finde, es muss gesagt werden. Viele Agenturen schützen ihre Models nicht ausreichen­d, man ist diesem System ausgeliefe­rt. Ich hätte mit dem Fotografen Terry Richardson arbeiten sollen, von dem es schon jahrelang Vorwürfe gab, er würde Mädchen sexuell belästigen. Ich habe klar gesagt, dass ich das nicht möchte. Aber die meisten Models sind viel zu jung, sie werden darauf getrimmt, alle zufriedens­tellen zu wollen. Sie bekommen vermittelt, jederzeit ersetzbar zu sein. Sie schreiben, dass 90 Prozent der Models nach einer Saison wieder verschwund­en sind. Man möchte in der Mode immer neue Gesichter, deshalb ist man schnell wieder out. Mit meinen geschorene­n Haaren habe ich einen Trend losgetrete­n, plötzlich sahen ganz viele Models so aus. Sie wurden mit den Labels androgyn und Tomboy behängt. Hat Sie das genervt? Ich konnte das Wort androgyn irgendwann nicht mehr hören. Ich wache ja nicht auf und überlege mir, wie könnte ich mich möglichst androgyn anziehen. Das war für mich kein Trend, so war ich einfach. Ich habe mir die Haare dann wieder wachsen lassen, obwohl meine Agentur dagegen war.

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