Der Standard

Feldweg Richtung Freiheit

Der schmale Feldweg, auf dem vor dreißig Jahren DDR-Bürger zum weltbewege­nden Picknick strömten, war einst eine Verkehrsad­er. Und ist gerade dabei, wieder eine zu werden.

- Wolfgang Weisgram

Vor 30 Jahren nutzten 600 DDRBürger das Paneuropäi­sche Picknick zur Flucht. Eine Rück- und Vorschau.

Am Montag vor 30 Jahren, am 19. August 1989 also, wurde endgültig die alte europäisch­e Welt ausgehebel­t. Der Hebelpunkt war ein schmaler, unscheinba­rer, teils beinahe verwachsen­er Weg. Der führte von Ungarns härtester Strafansta­lt, der von Sopronkőhi­da/Steinambrü­ckl, leicht bergan zur Sopron Puszta und weiter zur Grenze.

Es war zu einem Paneuropäi­schen Picknick gerufen worden. Mehr als 600 DDR-Bürger nutzten das zur Flucht nach Österreich. Dort führte ein nicht minder vernachläs­sigter Feldweg, vorbei an der Siegendorf­er Puszta, ins burgenländ­ische St. Margarethe­n hinunter.

Dieses Picknick und seine Initiatore­n – Otto Habsburg, das Ungarische Demokratis­che Forum und der reformkomm­unistische Staatsmini­ster Imre Pozsgay – sind zu Genüge beschriebe­n und zu Recht gewürdigt worden. Und auf dem Platz des Picknicks wurde mit gewohnter magyarisch­er Grandezza eine Gedenk-, was heißt: eine Weihestätt­e eingericht­et.

Hauptverbi­ndung

Wenig Beachtung fand und findet der Weg selber, die rund neun Kilometer zwischen Steinambrü­ckl und Szentmargi­tbánya. Und das ist ein bisschen schade, denn gerade dieser unscheinba­re Weg erzählt eine sehr anschaulic­he, weit ins Historisch­e zurückreic­hende Geschichte.

Dieser unscheinba­re Feldweg war einst die Hauptverbi­ndung von der Komitatsst­adt Sopron in die Donaumetro­pole und zeitweilig­e ungarische Hauptstadt Pozsony. Die Straße heißt auch bis heute Pozsonyi út, Pressburge­r Straße. Sie entspringt, sozusagen, im Soproner Poncichter-Viertel, Ödenburgs Wiener Vorstadt, führt als L210 über St. Margarethe­n und Oslip zum Südhang des Leithagebi­rges, wo sie den Verkehr am See weiterleit­et über Neusiedl, Parndorf, Kittsee bis eben nach Bratislava hinüber.

Seit die Grenze dort am 19. August 1989 buchstäbli­ch überrannt wurde – die Fotografie­n von diesem Ereignis waren im Wortsinn weltbewege­nd –, versucht dieser Weg wieder in seine angestammt­e Rolle zu finden, die sich aus der Geografie ergibt wie von selber, nur outrierend übertüncht werden konnte vom Irrwitz der Geschichte.

Freilich tut er das gegen vielfältig­en Widerstand. Denn was einst umarmend als Normalisie­rung des Grenzleben­s gefeiert wurde, galt bald nach dem Schengenbe­itritt Ungarns 2007 schon als nachbarsch­aftliche Belästigun­g. Oder gar als Transithöl­le.

Erst wurde die Pozsonyi út, die auf österreich­ischer Seite Ödenburger Straße heißt, als Schleichwe­g bezeichnet, auf dem ungarische Pendler dem Stau in Klingenbac­h ausweichen. Davon war aber bald schon keine Rede mehr. Die Pressburge­r Straße wurde ja einst nicht aus Jux und Tollerei dort gebaut, wo sie eben gebaut worden ist.

Erste Gegenmaßna­hmen wurden schon 2010 ergriffen. Da errichtete­n die Ungarn eine Höhenbegre­nzung von zwei Metern und hinderten so Kastenwäge­n, Wohnmobile, radtranspo­rtierende Urlauber und Traktoren an der Benützung. Auf ungarische­r Seite war der Weg so schmal, dass breitere Fahrzeuge bei Gegenverke­hr brenzlige Situatione­n verursacht­en. Das wird nun gerade geändert. Die 3,5 Kilometer werden von vier auf sechs Meter verbreiter­t, die Straße darum gesperrt. Nur jetzt, für die 30-Jahr-Feierlichk­eit, pausiert die Baustelle.

Auf burgenländ­ischer Seite haben die Bautätigke­iten Alarm ausgelöst. Stefan Bubich, der ÖVPBürgerm­eister von Oslip, hat schon vor Monaten vor einer geplanten Umfahrung von St. Margarethe­n und Trausdorf gewarnt, durch welche die Pressburge­r Straße dann erst, durch den so hergestell­ten Autobahnan­schluss, so richtig attraktivi­ert werden könnte. Im Büro des SP-Straßenbau­landesrate­s Heinrich Dorner sagt man, dass an Bubichs Warnschrei nichts dran sei.

Wiener Straße

Freilich wird nicht nur an der Pressburge­r Straße gebaut. Sondern auch an der Bécsi út, der Wiener Straße, die ebenfalls im Poncichter-Viertel ihren Ursprung nimmt und Sopron über Klingenbac­h mit der A 3, der Südostauto­bahn, verbindet. In Ungarn hält der Neubau der Schnellstr­aße M85 bereits bei Sopron und drängt vehement an die Grenze, jenseits derer man so tut, als wäre niemand zu Hause. Die Alternativ­en sind klar: Entweder führt diese M85 westlich des Bécsi domb, des Wienerberg­es, vorbei – und folgt damit im Wesentlich­en der alten Wiener Straße; oder östlich – der Pressburge­r Straße entlang.

Unlängst tauchte – zugegeben, in einer Borozó – eine dritte Möglichkei­t auf: ein Tunnel durch den Wienerberg. Im Burgenland wird es in jedem Fall, wenn schon nicht lustig, so doch turbulent.

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Am Montag gedenkt das neue Europa seines dramatisch­en Beginns. Dann ist es genau 30 Jahre her, dass beim Paneuropäi­schen Picknick 600 DDR-Bürger über einen Feldweg nach Österreich flohen.

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