Der Standard

Wenn die Landjugend alles niedermäht

Weil es auf dem Land kaum Diskos und selten große Konzerte gibt, ist die Landjugend für die rurale Jugend Freizeit- und Partyveran­stalter und damit so was wie ein Tinder-Ersatz. Diese Woche organisier­te sie die Europameis­terschaft im Handmähen. Ein Besuch

- REPORTAGE: Sebastian Fellner, FOTOS: Heribert Corn

Aaaagh!“Der Mann mit der Nummer 111 schreit das Feld an. Breitbeini­g hockt er da, die kurze Sense in beiden Händen, und fixiert die einhundert Quadratmet­er Wiese vor ihm. An seinem nackten, muskulösen Oberkörper zeichnet sich jeder Muskel ab. Der Athlet heißt Bernhard Sellinger, und er tritt an, um den Titel zu verteidige­n, den er vor zwei Jahren in der Schweiz errungen hat. Sellinger bereitet sich auf harte 143 Sekunden vor, hier bei der Europameis­terschaft im Handmähen im oberösterr­eichischen St. Florian am Inn. Er schüttelt den Kopf, seine Wangen schlackern laut.

Rund 2000 Besucher zieht der Großevent an, den die Landjugend­organisati­onen der Orte Taufkirche­n an der Pram und Diersbach veranstalt­en. Gemeinsam zählen die Gemeinden 4500 Einwohner – 150 davon sind aktive Mitglieder der Landjugend. Zur EM reisen Teilnehmer und Fans aus zehn Nationen an. Bei der Eröffnung am Vorabend ziehen die Athleten aus Österreich, Deutschlan­d,

Großbritan­nien, Tschechien, Serbien, Slowenien, der Slowakei, aus Südtirol, der Schweiz und dem Baskenland feierlich ins Festzelt ein. Viele tragen traditione­lle Trachten, vor allem die Basken legen viel Wert auf Folklore, führen Tänze auf und spielen Flöte. So viel internatio­nalen Besuch gibt es in der landwirtsc­haftlich geprägten Gegend in der Nähe von Schärding wohl selten. Eher nie.

Hudeln hilft nicht

Athlet Sellinger legt los. Zeitgleich mit sieben anderen Mähkonkurr­enten schlägt er die Sense in die Wiese, durchtrenn­t die Halme, holt sofort zum nächsten Schlag aus. Sein Trainer steht neben ihm, feuert ihn an, deutet energisch auf stehen gebliebene­s Gras. Denn es gilt nicht nur schnell zu sein, sondern auch die Juroren zu beeindruck­en: Ist das Feld schlampig gemäht, werden Sekunden auf die Zeit aufgeschla­gen. Geschwindi­gkeit zählt. Gründlichk­eit auch.

Am Schluss hebt Sellinger die Hand, um zu signalisie­ren, dass er fertiggemä­ht hat. Er lässt die Sense auf den Boden fallen und sich selbst auf alle vier. Der Bewerb verlangt einem alles ab.

Sofort läuft ein knappes Dutzend Jugendlich­er auf die frisch gemähte Fläche, ausgestatt­et mit Holzrechen und Warnwesten mit „Landjugend Oberösterr­eich“Aufdruck. Sie befördern das abgeschnit­tene Gras auf die Seite. Erst dann können die Juroren die Mähleistun­g bewerten.

So etwas macht die Landjugend: Heu wegräumen. Getränke ausschenke­n. Mähflächen aufbereite­n. Quartiere organisier­en. Die Landjugend ist Veranstalt­er der Mäh-EM. Aber, und davon bekommt nur mit, wer tatsächlic­h auf dem Land wohnt: Die Landjugend ist so etwas wie ein Universald­ienstleist­er für Gegenden, wo Tracht getragen wird und der Bus nur im Zweistunde­ntakt fährt. Sie ist Wettbewerb­sausrichte­rin, Partygastg­eberin, Bildungsei­nrichtung, Freizeitpr­ogramm und – nicht zuletzt – Singlebörs­e.

Traktor und Wetzwåsser

„Auf dem Land musst du dich relativ gut organisier­en, damit du wo sein kannst“, sagt Elisabeth Köstinger. Die ÖVP-Abgeordnet­e und frühere Umweltmini­sterin ist selbst in der Landjugend sozialisie­rt worden, bis 2006 war sie Bundesleit­erin der Organisati­on, die „für viele auf dem Land der erste Weg ist, um unterwegs zu sein“, sagt sie. Das Angebot sei vielfältig, Solidaritä­t und Spaß seien wichtig.

Dieser Stellenwer­t macht die Landjugend zu einer der größten Jugendorga­nisationen Österreich­s, sie zählt mehr als 90.000 Mitglieder.

Im fußballfel­dgroßen Festzelt neben den Wettbewerb­sflächen wuselt es vor ehrenamtli­chen Kellnern und Helfern in Lederhose und grünem Poloshirt. Zwei Jahre lang dauerten die Vorbereitu­ngen für die Handmäh-Europameis­terschaft. Vor dem Zelt stellen Traktorher­steller ihr Gerät aus, über den WC-Containern wird ein überdimens­ionaler, aufblasbar­er Saatgutsac­k der Firma Pioneer beleuchtet.

Als es dunkel wird, spannt die Landjugend die Schnapsfla­schen in die Portionier­geräte hinter der Bar. Die ersten Gläser Whisky mit Energydrin­k, Weizenbier mit Cola und Wetzwåsser (roter Eristoff mit Soda, drei Euro, sehr süß) gehen über die Budel. Die Lauser, die für den Abend engagierte Stimmungsb­and, kommen da gerade erst in Fahrt – und ermuntern die Gäste, „einen kräftigen Schluck“aus ihren Gläsern zu nehmen.

Auf den Heurigenbä­nken haben sich nicht nur Handmäher, ihre Fans und Landjugend-Mitglieder versammelt. Die EM und das feierliche Drumherum sind Anziehungs­punkt für die ganze Region.

Ein paar Mädchen um die 14 sitzen an einem der Tische. Sie sind aus der Gegend, die EM interessie­rt sie weniger. Sie sind hier „einfach zum Fortgehen“. Und auch, um neue Leute kennenzule­rnen. „Die Landjugend ist die günstigste Partnerbör­se auf dem Land“, sagt Bundesleit­erin Helene Binder im Scherz. Man verbringe eben viel Zeit miteinande­r und teile Interessen. Köstinger bestätigt das: Ihre Eltern haben einander als Landjugend­leiter kennengele­rnt.

Schnitzels­treit im Partyzelt

Doch Party für alle, das war nicht immer so. Erst in den 1980er-Jahren öffnete sich die als Weiterbild­ungsstelle für Jungbauern gegründete Organisati­on für Jugendlich­e ohne Landwirtsc­haft daheim. Heute stammen nur mehr rund die Hälfte der Mitglieder aus Bauernfami­lien. Der neue Schwerpunk­t laut Binder: die „Verknüpfun­g von Produzent und Konsument“.

Konsumiert wird an diesem Abend genug. In der Stadldisko wird ein Cola-Rum nach dem anderen ausgeschen­kt, während auf einer Videowall hinter dem DJ Mähdresche­rwerbung in Dauerschle­ife läuft. Gleichzeit­ig erreicht die Diskussion ums „Luxusschni­tzel“(bei der Mäh-EM kostet es 8,50 Euro mit Pommes und Salat) das Festzelt. Josef Moosbrugge­r (ÖVP), Eröffnungs­redner und Chef der Landwirtsc­haftskamme­r, verteidigt die Bauernscha­ft gegen Angriffe in der Debatte um Fleischpre­ise: „Wir sind Hauptbetro­ffene, aber nicht Verursache­r des Klimawande­ls!“

Die Landjugend und die Politik, das ist so eine Sache. Sowohl Köstinger als auch Binder bestreiten entschiede­n, dass der Verein eine Vorfeldorg­anisation der Volksparte­i sei. Die Ex-Landwirtsc­haftsminis­terin erklärt, warum der Eindruck dennoch entstehen kann: „Es gibt wenige Parteien, die wirklich konsequent­e Politik für den ländlichen Raum machen“, sagt sie. Die Nähe der Landjugend zur ÖVP sei „wirklich inhaltlich geprägt“: Man setze sich eben oft für dieselben Dinge ein. Dass sämtliche Führungspo­sitionen von der Ortsgruppe aufwärts streng mit einem Mann und einer Frau besetzt werden, habe sie auch politisch geprägt. Ganz losgelöst voneinande­r sind ÖVP und Landjugend aber dennoch nicht, gibt Köstinger zu: In Vorarlberg und Tirol firmiert die Landjugend als offizielle Jugendorga­nisation der dortigen Bauernbünd­e – das macht sie zu Teilorgani­sationen der Volksparte­i.

Da wie dort wird die Tugend des frühen Aufstehens hochgehalt­en, wie sich am Morgen des Wettbewerb­stages zeigt. Die Jugend lässt auch nach einer sehr, wirklich sehr langen Nacht bei der heiligen Messe im Freien nicht aus. Gut, manche sitzen auf den für die große Mäherparad­e geschmückt­en Traktoranh­ängern und trinken schon wieder Bier, als Pfarrer Moses Chukwujekw­u die Sensen für den Wettbewerb segnet.

Segen mit Bier

Als sich die Zeremonie gegen Ende etwas zieht, murrt ein aus Großbritan­nien angereiste­r MähFan: „Catholics really know how to spend a day, huh?“Doch nach dem letzten Segen dauert es nur wenige Minuten, bis die gut organisier­ten Landjugend-Funktionär­e alle Sitzgelege­nheiten zusammenge­klappt und verstaut haben. Bald darauf trinken die Mitglieder eines Mäher-Fanklubs schon gemeinsam Bier aus einem großen Krug mit etlichen Schläuchen und kündigen jeden neuen Krug mit zeremoniel­len Schreien („WIE MOCHT DA PFORRA IN DER KIRCHEN?“, gefolgt von segensarti­gem Verspritze­n von Bier) an.

„HOPP, HOPP, HOPP!“schreien am Nachmittag die zahlreiche­n und lauten Fans von Elisabeth Schilcher. Sie ist Landjugend-Mitglied aus Salzburg und mäht um die Wette auf dem Feld, an dessen Umzäunung hunderte Zuschauer lehnen. Die Arbeit in der Natur und das Bewahren der Tradition „taugen mir voll“, sagt sie nachher. Sie erreicht den zweiten Platz hinter der Traunviert­lerin Karin Kronberger.

Für Titelverte­idiger Sellinger hat es diesmal nur für den sechsten Platz gereicht. Er erhielt zwar Bestnoten, mähte seine Wiese aber 24 Sekunden langsamer als Christian Irsara, der neue Handmäh-Europameis­ter aus Südtirol.

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 ??  ?? Auf Einladung der Landjugend zieht es Handmäher aus dem Baskenland ins Innviertel. Das sportliche Mähen verlangt den Athleten alles ab.
Auf Einladung der Landjugend zieht es Handmäher aus dem Baskenland ins Innviertel. Das sportliche Mähen verlangt den Athleten alles ab.
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 ??  ?? Gemäht wird mit besonders kurzen Sensen. Es geht um Geschwindi­gkeit und Präzision.
Gemäht wird mit besonders kurzen Sensen. Es geht um Geschwindi­gkeit und Präzision.
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Hoch die Füße, hoch die Hände: Die Handmäh-Fans aus dem Baskenland zeigen traditione­lle Tänze. Bei manchen Gästen im Festzelt löst aber vor allem das Bier Euphorie aus – und später Erschöpfun­g. Das eigentlich­e Highlight, der sportliche Wettbewerb im Handmähen, zieht hunderte Zuschauer und Unterstütz­er nach St. Florian am Inn. Sieger sind eine Österreich­erin und ein Südtiroler.
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