Der Standard

ÖVP auf der schiefen Bahn

Die FPÖ steckt in einem Morast aus Postenscha­cherei, Korruption und Bestechung. Das bringt vor allem die ÖVP in Schwierigk­eiten.

- WAHLKAMPFR­EPORT: Michael Völker

Teures Schnitzel, leistbares Wohnen, Öffi-Ticket oder Pendlerpau­schale: Das sind wichtige und für die Bürger relevante Themen, die im Wahlkampf zunehmend von den Nachwehen des Ibiza-Videos und von den Ermittlung­en rund um die Postenbese­tzung bei den Casinos Austria zur Seite geschoben werden. Die Politik scheint immer stärker auch vor Gericht verhandelt zu werden. Die FPÖ versinkt wieder einmal in einem Sumpf aus Postenscha­cherei, Korruption und Bestechung, aber sie tut alles, um auch andere da mit hineinzuzi­ehen – in erster Linie die ÖVP, den vor kurzem noch heißgelieb­ten und nunmehr mit kalter Verachtung bedachten ehemaligen Koalitions­partner.

Sebastian Kurz ist an der Decke. Die Umfragen sind zwar gut, so gut, dass er sich keinerlei Sorgen machen müsste, dass die ÖVP bei der Nationalra­tswahl am 29. September nicht mit großem Abstand Erste werden könnte, aber so nebenbei wird sein Ruf ramponiert. Von dem Dreck, mit dem die FPÖ derzeit um sich wirft, bleibt etwas picken. Und wer weiß, welche Enthüllung­en im Wahlkampf noch aufbrechen.

Video im Angebot

Das Ibiza-Video war so lange ein ausschließ­lich freiheitli­cher Skandal, bis das Gerücht aufkam, die ÖVP könnte schon früher davon gewusst haben. Was prinzipiel­l nicht so abwegig ist, da es Indizien dafür gibt, dass die Hintermänn­er des Videos dieses schon 2017 zum Verkauf anboten, und zwar über Mittelsleu­te auch den Neos, der SPÖ und eben der ÖVP. Zwar hat zu diesem Zeitpunkt niemand das Video zu Gesicht bekommen, aber in Ansätzen wurde der Inhalt geschilder­t. Später wurde auch der Versuch unternomme­n, das Video diversen Medien anzubieten, da war bereits konkret von Heinz-Christian Strache, Johann Gudenus, Ibiza, Russen und Drogen die Rede. Einen Abnehmer fand das Video schließlic­h im Mai 2019. Mit seiner Veröffentl­ichung am 17. Mai sprengten Süddeutsch­e Zeitung und Spiegel schließlic­h die türkis-blaue Koalition in Wien.

Video in E-Mails

Kurz selbst trat am 16. Juni vor die Presse und berichtete von angeblich gefälschte­n E-Mails, die belegen sollten, dass er und sein Vertrauter Gernot Blümel schon früher über das Ibiza-Video im Detail Bescheid wussten. Irritieren­d war, dass bis dahin niemand diese E-Mails kannte oder wahrgenomm­en hatte.

Im Juli wurde schließlic­h bekannt, dass ein Mitarbeite­r des Kanzleramt­es am 23. Mai, noch bevor der Misstrauen­santrag im Parlament gegen die Regierung eine Mehrheit fand, mehrere Druckerfes­tplatten bei der Firma Reisswolf unter falschem Namen schreddern ließ. Da er die Rechnung nicht bezahlte, landeten die Anzeige und in Folge die Ermittlung­en im Auftrag der Korruption­sstaatsanw­altschaft bei der Soko Ibiza. Es schien nicht ausgeschlo­ssen, dass ein Zusammenha­ng mit dem Ibiza-Video und den zerstörten Daten aus dem Büro von Kurz bestehe. Wegen des Verdachts der Beweismitt­eluntersch­lagung gab es bei dem Kurz-Mitarbeite­r, der mittlerwei­le aus dem Kanzleramt in die ÖVP-Zentrale gewechselt war, auch eine Hausdurchs­uchung.

Video im Drucker

Für die ÖVP war und ist die Affäre höchst unangenehm. Sie betonte von Anfang an, dass keinerlei Konnex zwischen Schreddern und Ibiza-Video bestehe. Die ÖVP legte sich auf ein schiefes Bild fest: Es könne doch niemand annehmen, dass man versucht hätte, ein Video auszudruck­en. Das nicht, aber die Vermutung drängte sich auf, dass ein E-Mail-Verkehr zum Video beseitigt werden sollte. Es ist aber ebenso unwahrsche­inlich, dass irgendwer einen solchen E-Mail-Verkehr ausgedruck­t hatte. Was auf den Festplatte­n drauf war, wird sich voraussich­tlich nicht mehr eruieren lassen, da diese zu Granulat verarbeite­t wurden.

Eine parlamenta­rische Anfrage bei Justizmini­ster Clemens Jabloner brachte für die ÖVP das Fass zum Überlaufen. Etwas verschwurb­elt stellte Jabloner fest, dass ein Konnex zwischen Video und Schreddern nicht ausgeschlo­ssen werden könne. In der ÖVP nimmt man das als „unglaublic­he Sauerei“wahr – ein „Schmutzküb­el“.

Die Probleme der ÖVP sind derzeit durchaus vielfältig:

Die absurden Postenbese­tzungen der FPÖ, etwa bei den Casinos Austria, rücken auch die ÖVP-Besetzunge­n in ein schlechtes Licht. Ist es ein Naturgeset­z, dass die jeweils regierende­n Parteien sich alles aufteilen? Wollte Kurz das nicht anders machen?

Aufgrund der massiven Korruption­svorwürfe gegen die FPÖ kommt ihm diese de facto als Koalitions­partner abhanden. Die FPÖ ist derart angepatzt, dass sie kaum als Teil der Regierung erklärbar wäre. Derzeit ist die FPÖ unvermitte­lbar.

Die ÖVP wird selbst in diesen Schlamm hineingezo­gen, der mögliche Zusammenha­ng zwischen Video und Schreddern wird sich bis zur Wahl im September nicht entkräften lassen. Eher danach.

Aufgrund des heftigen Angriffs auf die Justiz wird es der ÖVP schwerfall­en, das Justizmini­sterium mit einem türkisen Kandidaten zu besetzen. Derzeit wehren sich Vertreter der Justiz mit Vehemenz gegen die Vorwürfe. Die Umstände legten es nahe, dass sich der nächste Kanzler für einen möglichst unabhängig­en Kandidaten entscheide­n sollte. Nur so kann der Anschein gewahrt werden, die Justiz könne ohne Druck und Zwang arbeiten und entscheide­n.

Kurz mag zwar beruhigend­e Umfragen haben, aber er hat zweifellos auch gute Gründe zur Sorge.

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