Der Standard

Mädchen, Mittellosi­gkeit und Mitschuld

In Rumänien werden viele Mädchen Opfer von sexueller Ausbeutung – ihre Hilferufe verhallen oft ungehört. Es fehlt an Hilfsorgan­isationen für die Opfer von Menschenha­ndel und an Ausbildung in der Justiz und Polizei.

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Die kleine rumänische Stadt Caracal mit dem Nationalth­eater im Zuckerbäck­erstil, dem Fußballsta­dion und den Ruinen des Turms, der im Jahr 217 vom römischen Kaiser Caracalla gebaut wurde, ist von trauriger Berühmthei­t. Die Bilder von jenem Haus, in dem der 65-jährige Gheorghe D. zwei junge Frauen ermordet hat, gingen um die Welt. Doch längst steht nicht mehr nur der Täter im Vordergrun­d.

Nun wird auch über das gesellscha­ftliche Umfeld nachgedach­t, in dem die Mädchenmor­de stattfande­n. Dabei geht es nicht nur um Behörden, die sich über Opfer lustig machen, sondern auch um soziale Realitäten in der armen Walachei. In den vergangene­n Jahren wurden viele Mädchen von hier nach Mittel- oder Westeuropa gebracht, wo sie oft zur Prostituti­on gezwungen werden. Aber auch in Caracal selbst wurde vor ein paar Jahren ein Mädchenhän­dlerring hochgenomm­en.

Die damals 16 minderjähr­igen Mädchen – zwischen 14 und 16 Jahre alt – wurden ab 2012 von einem Zuhälter zur Prostituti­on

gezwungen. Der Mann hatte sie vergewalti­gt und Videos davon gedreht, damit erpresste er sie. Sie stammten meist aus benachteil­igten Familien, oft waren es Kinder, deren Eltern im EU-Ausland arbeiteten. Die „Kunden“der Mädchen waren unter anderem amerikanis­che Staatsbürg­er, die auf dem Nato-Luftwaffen­stützpunkt arbeiteten, der sich unweit von Caracal in dem Dorf Devesulu befindet, aus dem auch eines der aktuellen Mordopfer stammt.

Österreich­ische Freier

Als am 25. Juli die 15-jährige Alexandra M. verschwand und Gheorge D. danach den Mord an ihr gestand, meldeten sich auch die ehemaligen minderjähr­igen Zwangspros­tituierten zu Wort. Die rumänische Zeitung Libertatea hat eine von ihnen interviewt. Oana (ihr Name wurde von der Zeitung geändert)

erzählt, dass Polizisten zu ihren „Kunden“gehörten und sie diesen erzählte, dass sie gewaltsam festgehalt­en wurde und minderjähr­ig sei. Doch die Polizei half Oana und den anderen Mädchen nicht. Auch drei Österreich­er wurden von den Mädchen als Kunden genannt. Sie waren zu dem Zeitpunkt in Caracal wohnhaft und arbeiteten dort an einem Projekt. Die drei Männer wurden in dem Verfahren später als Zeugen geführt.

Auch in Österreich werden Freier von minderjähr­igen Prostituie­rten als Zeugen geführt. Diese Freier können sich aber strafbar gemacht haben, wenn sie gewusst haben, dass die Mädchen minderjähr­ig waren. Ab dem 14. Lebensjahr sind dabei die Straftatbe­stände „sexuelle Nötigung“oder „Vergewalti­gung“relevant. Wenn die Mädchen um Hilfe gebeten haben und ihnen nicht geholfen wurde, kommt auch „unterlasse­ne Hilfeleist­ung“dazu. Es ist allerdings schwer nachzuweis­en, dass die Freier um das Alter der Mädchen wussten. Die Österreich­er in Caracal sagten jedenfalls, sie hätten gedacht, dass die Mädchen volljährig seien. Offenbar haben sie sich aber keine Ausweise zeigen lassen. Eine Änderung des Strafrecht­s im Sinne einer Beweislast­umkehr wäre durchaus möglich.

Mitwirkung eines Dorfes

Der Anführer des Mädchenhän­dlerrings wurde schließlic­h zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die Opfer bekamen keine psychologi­sche Hilfe und wurden weitgehend alleingela­ssen. Die Zeitung

Libertatea schreibt über das stillschwe­igende Dulden der sexuellen Ausbeutung von Mädchen: „Man braucht die Mitwirkung eines Dorfes, um ein Kind zu erziehen, man braucht aber auch die Mitschuld eines Dorfes, um ein Kind zu missbrauch­en.“

Wenn Mädchenhän­dlerringe auffliegen, wird immer wieder offensicht­lich, dass die jungen Frauen nicht geschützt werden. 2016 wurde der Polizeiche­f der Stadt Mizil verhaftet, weil er einen Verbrecher­ring, der Minderjähr­ige sexuell ausbeutete, deckte.

In einem Bericht der US-Regierung zum Menschenha­ndel in Rumänien aus dem Jahr 2018 wird vor allem der „Mangel an ausreichen­den staatliche­n Finanzmitt­eln“für Hilfsorgan­isationen für die Mädchen und Frauen kritisiert. „Die meisten Opfer blieben ungeschütz­t, waren anfällig, neuerlich traumatisi­ert zu werden, bekamen keine Hilfe und liefen deshalb Gefahr, dass wieder mit ihnen gehandelt wird“, heißt es da.

Die Richter hätten zudem keine spezielle Ausbildung zu dem Thema, was sich negativ auf den Zeugenschu­tz auswirken würde. Im Jahr 2017 wurden in Rumänien 222 Menschenhä­ndler verurteilt, im Jahr davor waren es noch 472. Adelheid Wölfl

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