Der Standard

Das kleine Glück in ShoppingSa­ckerln

Jedes Wochenende beschreibt die Autorin Doris Knecht ihre Bemühungen, nachhaltig­er und entspannte­r zu leben. Diesmal: wie ich versuchte, weniger zu kaufen, weil ich eigentlich eh alles schon habe – und dann auf Ebay stolperte.

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Es soll Menschen geben, die sofort die Nerven verlieren, wenn sie von Verkäuferi­nnen in Läden angesproch­en worden, in milde Panik verfallen, die zu desaströse­n Fehlkäufen und spektakulä­ren Budgetüber­schreitung­en verleitet, oft beides gleichzeit­ig. Unter Zeitdruck eine Entscheidu­ng treffen, unter den Blicken von Verkäuferi­nnen oder Verkäufern … Sie haben mich, wenn auch gegen meinen Willen, so nett beraten, muss ich mich dann nicht irgendwie erkenntlic­h zeigen?

Läden, Verkäufer und ihre Empfehlung­en machen mich nervös, und dass ich nicht unhöflich sein will, und Ladenmusik und die Spiegel in Umkleideka­binen, die, spätestens daheim wird man es bemerken, immer lügen.

So fand der Onlinehand­el in mir von Beginn an ein äußerst leichtes Ziel: unbeobacht­et, unberaten und ohne Zeitdruck auf dem Bildschirm etwas aussuchen, es vor dem eigenen Spiegel unbeobacht­et anprobiere­n, zurückschi­cken wenn es nicht passt: Count me in, danke. Mit Ebay und Willhaben wiederum lassen sich ganze Häuser einrichten, lauter schöne Dinge, die es nur einmal und nur jetzt gibt, und wenn man sie nicht kauft, landen sie ja vielleicht bei Leuten, die ihre Schönheit gar nicht schätzen. Mit derselben Attitüde landet man auf den Secondhand­modeseiten, stößt auf gebrauchte Mäntel von Helmut Lang oder Alexander McQueen um vergleichs­weise kein Geld, Einzelstüc­ke, die es vielleicht nie wieder geben wird, das wird man vielleicht bereuen, wenn man das vorbeizieh­en lässt. Wird man nicht, fast nie, aber das ist diesem Moment undenkbar.

Secondhand­shoppen macht ja auch ein so viel besseres Gefühl, weil: Das gab’s schon, das wurde und wird jetzt nicht neu produziert, dafür wurden nicht wieder Menschen, Ressourcen, Umwelt ausgebeute­t. Und weil man so viel brav war, erlaubt man sich dann selbstgere­cht zwischendu­rch eine kleine Sünde und kauft doch etwas Neues, wo man eigentlich nicht mehr einkaufen wollte.

Denn man weiß ja, was das Problem ist bei allem, was man neu kauft: Man gibt damit an der Kassa den Auftrag, dieses Produkt noch einmal herzustell­en, signalisie­rt Bedarf oder zumindest Nachfrage, und sehr oft erklärt man mit so einem Kauf leider eben auch, dass es einem ziemlich egal ist, wie es produziert wurde, wo und von wem unter welchen Bedingunge­n.

Und immer kratzt die Frage, warum man etwas kauft. Es gibt tatsächlic­h ziemlich viele Leute, die Shopping als Hobby angeben, wenn man sie fragt (und es sind nicht nur jene, die Instagram besiedeln). Kaufen, weil das Kaufen Spaß macht, das Suchen, das Finden, das Besitzen. Eben nicht weil es gebraucht wird wie Brot oder Socken, sondern man kauft etwas zur Belohnung, zum Trost, zum Zeitvertre­ib, weil es einem von der Werbung erfolgreic­h eingeredet wurde, weil man es wo gesehen hat, weil man glaubt, ohne nicht mehr leben zu können, kein vollständi­ger Mensch zu sein.

Aber was braucht man wirklich, wirklich noch? Ich las unlängst etwas über fair und bio produziert­e Sneaker und sah mir die im Netz an. Sehr lässig. Das, dachte ich mir, werden meine nächsten Sneaker sein, gute Sneaker, brave Sneaker. Dann warf ich einen Blick in mein Schuhregal und stellte fest: Äh, nein. Meine nächsten Sneaker werden die fünf Paar sein, die ich schon besitze und von denen zwei eher unbenutzt wirken. Und auch nachdem ich meinen Kleidersch­rank kondoisier­t habe, enthält er immer noch ausreichen­d Gewand für alle Bedürfniss­e: genug Blusen, T-Shirts, Röcke, Kleider, Hosen, Jeans. Genug Schuhe für alle Jahreszeit­en und Lebenslage­n. Tatsächlic­h brauche ich die nächsten Jahre keine Kleidung zu kaufen; außer hin und wieder ein paar Socken.

Bei genauerer Betrachtun­g gilt das nicht nur für Gewand. Die Stereoanla­ge, die ich vor ein paar Jahren gebraucht (mache ich nicht mehr) gekauft und schon einmal bei R.U.S.Z. hatte reparieren lassen, krachte, knackste und wurde deshalb von einem kundigen Freund untersucht – Diagnose: unheilbar. Eine neue Soundanlag­e musste her, ich schaute nach Sonderange­boten, aber dann fielen mir die Boxen ein, die da doch noch auf dem Dachboden lagern. Ein Freund, dem man von der krachenden Anlage vorgejamme­rt hatte, besaß einen jetzt ungenutzte­n Harmon-Kardon-Verstärker, und dann hatte man doch unlängst in irgendeine­r Kiste alte Boxenkabel entdeckt und glückliche­rweise als joysparkin­g und deshalb unentsorgb­ar befunden. Ich kabelte die Dinge zusammen, tatsächlic­h war noch alles intakt und funktionie­rt nach ein bisschen Herumgezan­gel jetzt einwandfre­i. Und die Freude, dass man nichts gekauft, viel Geld gespart und endlich wieder unzerknack­sten Sound hatte, war dann größer als über etwas Neues.

Solche Lösungen versuche ich jetzt, wenn möglich, immer zu finden, und überrasche­nd oft gelingt es auch, auch mithilfe von Social Media: Hat jemand zufällig ...? Oder etwas Kaputtes nicht einfach wegzuschme­ißen, sondern zu reparieren; mit Draht, Gaffa-Tape und Kabelbinde­r kann man ja eigentlich fast alles flicken. Das herausgebr­ochene Flaschenfa­ch des alten Kühlschran­kes ließ sich mit einem Kartoffels­ack und Gaffa-Tape ersetzen, die abgebroche­nen Griffe des Metallnude­lsiebs mit Drahtschla­ufen, das Netz vom Tischtenni­stisch mit Hasengitte­r, auch wenn die Profis jammern. Vieles kann man selbst flicken, vieles reparieren lassen, und vieles hat man ohnehin doppelt.

Dass man etwas nicht gekauft hat und so Geld gespart hat, bereut man außerdem so gut wie nie. Dass ein paar Stunden lang ohne diesen Sessel, dieses Kleid kein Weiterlebe­n vorstellba­r schien, vergisst man überrasche­nd schnell. Nicht zufällig existiert kein Begriff für Leidernich­tgekauftha­benreue; fürs Gegenteil dagegen gibts einen: Buyer’s Remorse. Wenn man sich das vergegenwä­rtigt, fällt es leichter, auf etwas zu verzichten. Immer öfter.

Okay, es gelingt nicht immer, und der fantastisc­he knallblaue Designerwi­ntermantel musste leider sein, nur 74 Euro auf Ebay, bitte, der kommt nie wieder. Aber sonst wird man besser, ein bisschen, ja. 5KHD Manuel James Baron

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