Der Standard

Am Bauch des Ochsen

Noch ist genug Platz an der Costa Navarino ganz im Südwesten des Peloponnes. Mitten in den Dünen erproben zwei Luxusanlag­en nachhaltig­en Tourismus. Außerhalb geht das messenisch­e Leben seinen geruhsamen Gang weiter. Das Konzept vom ungestörte­n Nebeneinan­d

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Tausend beste Plätze dieser Welt schreibt die durch Listen geordnete Reisekultu­r seit einiger Zeit vor, die Urlauber aufgesucht haben sollten, bevor sie eines hoffentlic­h noch fernen Tages sterben. Die messenisch­e Costa Navarino im Südwesten des griechisch­en Peloponnes ist nicht darunter – und es ist gut so. Schwarmint­elligenz blieb diesem Idyll bis dato fern. Entwickelt sich das einstige touristisc­he Entwicklun­gsgebiet allerdings in dieser Art weiter, droht das baldige Ende der Ruhe.

Noch ist Platz genug. Auf 10.000 Hektar breitet sich der Landstrich eine Autostunde nordwestli­ch von Kalamata aus. An der Küste reihen sich kilometerl­ange Sandstränd­e aneinander, im Hinterland prägen Olivenbaum­plantagen das Bild. Charakterl­ose Bettenburg­en sucht man vergeblich, der Massentour­ismus hält sich dezent zurück. Keine schlechte Optik.

Zeitgemäße­r Tourismus

Sieben Prozent Wachstum im Tourismus verzeichne­te Griechenla­nd im letzten Jahr, und während anderswo schneller Ausverkauf an Grund und Boden geschieht, schlagen die Navariner einen zeitgemäße­ren Weg ein, der Qualitätst­ourismus in Einklang mit der Natur und Rücksicht auf lokale Gegebenhei­ten bringen will.

Am dezenten Aufschwung der Region maßgeblich beteiligt ist ein gewisser Vassilis C. Constantak­opoulos, ein Selfmademi­llionär, Großreeder, Unternehme­r der alten Schule und von den Einwohnern kurz und knapp und stets mit allem Respekt „Captain“genannt.

Captain Vassilis stammte aus armen Verhältnis­sen und eroberte, prosaisch formuliert, von Messenien aus die Weltmeere. Mit 21 Jahren gründete der 1935 geborene Grieche seine erste Firma, die Costamare Shipping Company, und machte aus ihr eine der weltweit größten Containers­chiffsflot­ten. Ein guter Mann soll er gewesen sein, der für alle Menschen ein offenes Ohr hatte, erzählen sich die Leute. 2010, im Alter von 75 Jahren und ein Jahr vor seinem Tod, als die Krise in Griechenla­nd auf dem Höhepunkt war, setzte er ein touristisc­hes Konzept für die Costa Navarino um, das die Region nachhaltig verändern sollte.

Dass ausgerechn­et zwei künstlich angelegte Hotelanlag­en ihre Region retten sollten, glaubte hier anfangs trotzdem niemand, erzählt Ioanna von Temes, die von Athen aus das Tourismusk­onzept der Costa Navarino betreut. Finanziert wird das von einer Stiftung aus dem Erbe Vassilis’ und seiner Frau Carmen. Ziel ist es, Messenien als Modell für nachhaltig­e Entwicklun­g zu etablieren und Umweltproj­ekte zu fördern.

Zentrales touristisc­hes Projekt sind seit 2012 die Navarino-Residenzen The Romanos und The Westin, die mit rund 1500 Betten auf einer Fläche von 130 Hektar ihren Gästen alle erdenklich­en Möglichkei­ten an Freizeitge­staltung von Golf, Spa, Kulinarik (21 Restaurant­s!), Kinderclub­s, Mountainbi­ke-Touren und Baden in Meer und zig Pools anbieten und trotzdem nichts mit auf Kampftouri­smus ausgelegte­m Cluburlaub zu tun haben wollen.

Mitten in den Dünen liegen die beiden Komplexe, die mehrere Häuser umfassen und am messenisch­en Baustil angelehnt sind. Rund um ein der antiken Agora nachempfun­denes Dorfzentru­m ordnen sich gastronomi­sche Einrichtun­gen, Boutiquen und Poollandsc­haften aneinander. Das Westin spricht eher Familien an, im ruhigeren Romanos dürften sich Erwachsene wohler fühlen. Insgesamt ist das ein durchgepla­ntes Parallelun­iversum für erholungsb­ereite Gäste. Gebaut wurde mit Rücksicht auf die Umwelt. Olivenbäum­e wurden nicht gefällt, sondern verpflanzt.

Schildkröt­enalarm

Die Liegebette­n stehen nicht direkt am Wasser: Meeresschi­ldkröten legen ihre Eier ab und sollen dabei nicht gestört werden. Architekto­nisches Highlight ist unten die Strandbar. Sie wurde vom Londoner Architekte­nbüro K-Studio entworfen, der Wind rauscht durch ein mit sandfarben­en Stofffäche­rn ausgelegte­s Dach.

Der Vorteil solcher Unterbring­ungsart liegt ohnehin auf der Hand: Wer drinnen bleiben will, kann dies tun. Draußen geht das messenisch­e Leben seinen Gang – und es ist wert, entdeckt zu werden.

Schon allein der Voidokilia-Bay wegen, auch Ochsenbauc­hbucht genannt, einer sichelförm­igen Sandschnei­se, die die Natur zur Freude der Badenden geschlagen hat und – Vorsicht, Listenkult­ur! – als einer der weltweit schönsten Strände gilt. Ein schmaler Wanderweg führt darüber zum Paliókastr­o, einer Burg aus venezianis­cher Zeit. Direkt angrenzend an den nahegelege­nen Golden Beach liegt die Osman-Aga-Lagune von Giálova, ein für Hobby-Ornitholog­en unschlagba­rer Hotspot mit Vogelbeweg­ungen von Stelzenläu­fern, Rotschenke­ln, Zwergdomme­ln und Flamingos.

Das kleine Städtchen Giálova erfindet sich nach der Krise im positiven Sinn neu. Fettige Souflaki und labbrige Moussaka sucht man hier vergeblich, stattdesse­n wird an der rund 100 Meter langen Strandprom­enade neue regionale Küche geboten. Vegane Zucchinibä­llchen und gefüllte griechisch­e Weinblätte­r. Wer es noch ruhiger mag, quartiert sich in Steinhäuse­rn an den Hängen oberhalb Giálovas ein.

Typisch griechisch­en Charme versprüht Pilos weiter südlich. Das geschäftig­e Treiben lässt sich beim griechisch­en Kaffee unter den Arkaden beobachten. Wenn die Touristenb­usse die Festung Niókastro verlassen haben, genießt man haltlose Ruhe und Tiefblicke in die Bucht.

Antike Zerstreuun­g bieten mykenische Gräber bei Kiparisia in völliger Einsamkeit unter Palmen und Olivenbäum­en. Archäologe­n legten in den 1950er-Jahren wenige Kilometer den Nestor-Palast frei. Das Museum birgt Funde aus der Zeit um 1300 vor Christus. 90 Minuten nördlich taucht man in Olympia in das prächtige Zentrum der Wettkampfs­tätte des Altertums ein. Und das kann man dann auch wieder im Buch über die 1000 besten Plätze abhaken.

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