Der Standard

Schwere Management­fehler

Personalre­duktionen und Effizienzs­treben unterbinde­n das Menschlich­e in der Firma, und das hat üble Konsequenz­en, sagt der Arbeitspsy­chologe Johann Beran.

- Karin Bauer

In vielen Unternehme­n stehen derzeit wieder die Abläufe zur Revision an – Leerzeiten sollen eliminiert werden, der Workflow soll effiziente­r gestaltet werden, elektronis­che Kommunikat­ion miteinande­r hält verstärkt Einzug. Was beobachtet die Arbeitspsy­chologie dabei? Wir haben Hannes Beran gefragt, der seit Jahrzehnte­n in Unternehme­n als Arbeits- und Notfallpsy­chologe tätig ist und auch Einzelklie­nten betreut.

STANDARD: Stehzeiten, Leerzeiten und beschäftig­ungslose Phasen stehen auf der Fahndungsl­iste. Hat das bemerkbare Auswirkung­en auf die Belegschaf­ten?

Beran: Ja, es hat sich ein elender Trend entwickelt: Die Leute reden übereinand­er statt miteinande­r. Ich habe das in den vergangene­n Jahren mehr und mehr erlebt. Die Reduktion von Personal hat es verunmögli­cht, zu Kollegen in einer anderen Abteilung zu gehen und kurz zu quatschen oder mit anderen ins Gespräch zu kommen. Das ist ein schwerer Management­fehler, der da passiert ist, weil das Konzentrie­ren auf das angeblich Wesentlich­e die Kommunikat­ionskultur zerstört hat und die Leute einander gar nicht mehr kennen, voneinande­r nichts oder kaum etwas wissen.

STANDARD: Wo liegt da das Problem?

Beran: Wenn ich den anderen nicht kenne, dann fantasiere ich ihn oder sie mir zusammen. Ich muss ja einschätze­n: Gefährlich oder nicht? Unser Gehirn ist darauf trainiert, Muster zu erkennen. Der Jammer ist, dass wir auch dort Muster erkennen, wo es gar keine gibt, das heißt, wir basteln uns Muster von anderen Menschen, eben dann aus dem Gerede über diese Menschen. Und wenn einmal ein Bild da ist, dann will das Gehirn es auch bestätigen. Wenn wir zu wenig Gelegenhei­t haben, einander kennenzule­rnen, dann wird jede Stimmungss­chwankung, die wir sonst leicht erklären und damit verstehen könnten, sofort als persönlich­er Angriff interpreti­ert. Im Zweifelsfa­ll ist es gefährlich, sagt das Tier in uns. Und darauf reagieren wir dann. Ein idealer Nährboden für Mobbing und die gesamte Palette der Krankmache­r. Im Irrenhaus normal bleiben zu wollen ist ja eine originelle Idee, funktionie­rt sehr wahrschein­lich aber nicht.

STANDARD: Erklärt sich so auch die zunehmende Aggression?

Beran: Ja, das Notfallrep­ertoire ist verteidige­nder Angriff. Sobald es eng wird, greife ich darauf zurück, das ist unser Programm. Der Angriff macht noch mehr Druck, und so geht das weiter. Manager greifen jetzt auch wieder auf UraltStrat­egien zurück: Seit es divide et impera gibt, gibt es divide et impera.

STANDARD: Worunter leiden Menschen, die in solchen Situatione­n zu Ihnen kommen? Beran: Angst, weil Situatione­n nicht verstanden werden. Isolations­gefühlen. Unerträgli­chem Druck.

STANDARD: Um Burnout als Thema ist es zuletzt aber viel leiser geworden.

Beran: Ja, weil es ein unerwünsch­ter Begriff ist, mit unerwünsch­ten Konsequenz­en für Unternehme­n und für Krankenkas­sen. Aber die Symptomati­k ist mehr als je zuvor da.

STANDARD: Aber als gute Mischung aus Überforder­ung privater und berufliche­r Natur?

Beran: Kurz gesagt: Wir leben ein deppertes Leben, wer kann da erwarten, normal zu bleiben? Es spielt hier wesentlich auch die Zombieisie­rung der Gesellscha­ft hinein.

STANDARD: Hä?

Beran: Wenn ich Medikament­e – die weitverbre­iteten Psychophar­maka – zu mir nehme, die mich beim Spüren behindern, dann kann ich nicht mehr in Beziehung treten, nicht mit mir selbst, nicht mit anderen. Das kann ich auch in Angst und Zorn nicht. Da wir gleichzeit­ig permanent unser Gehirn mit Datenmüll überlasten, findet sich auch nur schwer ein Ausweg. Das Gehirn hat es ja nicht leicht uns mitzuteile­n, dass der Arbeitsspe­icher grad voll ist.

STANDARD: Kopfweh, Müdigkeit, Traurigkei­t, Stress ...?

Beran: Ja, aber die Signale sind leise und schleichen­d, und wir sind ja überaus bemüht, sie ja nicht zu hören. Bis die Überlastun­g da ist. Und dann ist die Beziehungs­unfähigkei­t da. Privat und beruflich.

STANDARD: Es hört ja auch nie auf. Ich muss toll sein, muss mich täglich neu erfinden, heißt es.

Beran: Ja, dieses „Erfinde dich täglich neu“ist wirklich interessan­t: eigentlich ein tägliches Hintrainie­ren auf Alzheimer. Absurd ist noch schlecht beschriebe­n.

STANDARD: Zurück zum internen Pläuschche­n: Was kann schnell getan werden?

Beran: Die Leute sein lassen und miteinande­r reden lassen. Diesen Effizienzi­mperativ insofern hinterfrag­en, als die Stimmung im Unternehme­n als wesentlich­er Baustein des Erfolgs erkannt wird. Eine gute Beziehung zwischen Kollegen gehört dazu.

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Wenn alles „Gequatsche“verhindert wird, dann reden die Leute übereinand­er statt miteinande­r.
 ??  ?? JOHANN BERAN (71) ist Klinischer, Arbeits- und Notfallpsy­chologe und arbeitet mit Schwerpunk­t in Wien.
JOHANN BERAN (71) ist Klinischer, Arbeits- und Notfallpsy­chologe und arbeitet mit Schwerpunk­t in Wien.

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