Der Standard

Kühle Höflichkei­t beim Gedenken an Paneuropa-Picknick

Viktor Orbán und Angela Merkel trafen sich zu einem Festakt an der ungarisch-österreich­ischen Grenze

- Gregor Mayer aus Budapest

Ungarn und Deutschlan­d haben am Montag im westungari­schen Sopron hoch offiziös der epochalen Öffnung der ungarische­n Grenze vor 30 Jahren gedacht. Der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orbán und die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel krönten mit ihren Reden einen Festakt in der evangelisc­hen Kirche der Stadt an der Grenze zu Österreich. Am 19. August 1989 waren bei einem von Zivilorgan­isationen veranstalt­eten Picknick unmittelba­r an der Grenze rund 600 in Ungarn festsitzen­de DDR-Bürger spontan in den freien Westen geflüchtet.

Die Massenfluc­ht bildete den Vorlauf zur generellen Öffnung der ungarische­n Grenze für ausreisewi­llige DDR-Bürger. Das

damals noch kommunisti­sche Ungarn hätte sie aufgrund von Abkommen mit der DDR mit allen Mitteln an der Flucht hindern sollen. Doch die reformkomm­unistische Regierung unter Miklós Németh kündigte diese Abkommen auf: Am 11. September 1989 gingen dann die Grenzbalke­n für alle DDR-Bürger hoch. Das damalige humane Verhalten Ungarns gilt als entscheide­nder Beitrag zum Fall der Berliner Mauer.

30 Jahre Dankbarkei­t

Deutschlan­d ist Ungarn dafür bis heute dankbar. Doch im Ungarn von heute regiert seit 2010 der Rechtspopu­list Orbán. Nach Ansicht von Kritikern, darunter auch die Berliner Politik, baut er in seinem Land jene Demokratie ab, die sich dort nach 1989 entfalten konnte. Auf europäisch­er Ebene steht er diesen Stimmen zufolge für nationalen Eigensinn und Mangel an jeglicher Solidaritä­t.

Merkel, die Ungarn zuletzt vor mehr als fünf Jahren besucht hatte, lag dennoch viel daran, den Ungarn zum Jahrestag des Epochenere­ignisses ihren Dank auszusprec­hen. Der gemeinsame Auftritt mit Orbán blieb aber bewusst auf den Festakt in der Kirche, auf ein Mittagesse­n mit kurzem Gespräch und auf eine Pressekonf­erenz beschränkt. All dies spielte sich in einer von kühler Höflichkei­t getragenen Stimmung ab.

Von Merkel waren neben Dankeswort­en eher allgemeine Erwartunge­n zu hören. Sie sprach von der Notwendigk­eit, Kompromiss­e zu suchen und die Flüchtling­spolitik an Gemeinsamk­eiten auszuricht­en. Orbán antwortete mit fast bizarrer Höflichkei­t. „Vor den hart arbeitende­n und erfolgreic­hen Damen ziehen wir in Ungarn von weitem den Hut“, sagte er an Merkel gewandt in seiner Rede.

Im Vorfeld der Veranstalt­ung hatten Orbáns Kreise über die Medien lanciert, dass die Merkel-Visite zu einer neuen ungarischd­eutschen Annäherung führen würde. Eine große bilaterale oder europapoli­tische Ankündigun­g stehe im Raum, ließ man am Samstag über die Tageszeitu­ng Népszava ausrichten. Am Montag trat nichts davon ein. Der Graben zwischen Berlin und Budapest scheint weiter unüberbrüc­kbar.

Kultur Seite 19, Kommentar Seite 24

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In der Grenzstadt Sopron erinnerten Angela Merkel und Viktor Orbán an den Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989.

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