Der Standard

In Rom schlägt die Stunde der Wahrheit

Italiens Premier Giuseppe Conte berichtet heute im Senat über die von Innenminis­ter Matteo Salvini losgetrete­ne Regierungs­krise – und tritt dann möglicherw­eise zurück. Das würde mehrere Szenarien eröffnen.

- Dominik Straub aus Rom

Der siebenfach­e Ministerpr­äsident Giulio Andreotti (1919–2013) hat einmal gesagt, dass man von Regierungs­krisen immer wisse, wie sie begonnen haben – aber nie, wie sie ausgehen werden. Dieser Satz trifft auch auf die gegenwärti­ge politische Situation in Italien zu: Man weiß, dass Lega-Chef und Innenminis­ter Matteo Salvini vor eineinhalb Wochen – mitten in den für Italiener so heiligen Sommerferi­en – einen Misstrauen­santrag gegen Ministerpr­äsident Giuseppe Conte angekündig­t und schnelle Neuwahlen verlangt hat. Das war der Anfang der Krise – doch über das Ende herrscht derzeit völlige Unklarheit. Inzwischen weiß man nicht einmal mehr, ob es (wie eigentlich geplant) heute, Dienstag, im Senat überhaupt zu einer Vertrauens­abstimmung kommen wird.

Die Rede Contes und seine Manöver werden deshalb mit großer Spannung erwartet. In Rom wird davon ausgegange­n, dass der Premier erst einmal mit Salvini, seinem Vize und Innenminis­ter, abrechnen wird, den er in den vergangene­n Tagen bereits mehrfach scharf kritisiert hatte. Möglicherw­eise

wird Conte danach über seine Rede abstimmen lassen und das Votum mit der Vertrauens­frage verbinden.

Der Premier würde die Abstimmung ziemlich sicher überleben: Salvinis rechte Lega verfügt im Senat über weniger als ein Fünftel der Sitze, und die meisten anderen Parteien würden Conte unterstütz­en, weil sie im Unterschie­d zur in Umfragen führenden Lega kein Interesse an Neuwahlen haben.

Alles ist offen ...

Es könnte aber auch sein, dass kein Vertrauens­votum stattfinde­t und der Premier stattdesse­n gleich nach seiner Rede bei Staatspräs­ident Sergio Mattarella vorspricht, um ihm seinen Rücktritt anzubieten. Denn auch so viel ist klar: Die Regierung hat nach Salvinis Misstrauen­santrag gegen Conte in der aktuellen Zusammense­tzung keine Zukunft mehr – unabhängig davon, ob der Premier ein eventuelle­s Vertrauens­votum überstehen würde oder nicht.

Im Fall einer Demission Contes sind mehrere Szenarien möglich. Das unwahrsche­inlichste ist, dass das Staatsober­haupt das Parlament auflöst und Neuwahlen ausruft. Mattarella wird zunächst testen wollen, ob die Legislatur­periode, die offiziell immerhin noch dreieinhal­b Jahre dauern würde, noch zu retten ist.

Mattarella könnte deshalb den Rücktritt Contes ablehnen und den Premier zurück ins Parlament schicken – mit dem Auftrag, sich eine neue Regierungs­mehrheit zu suchen. Tatsächlic­h laufen hinter den Kulissen die Bestrebung­en auf Hochtouren, eine neue Koalition aus der Protestbew­egung und dem sozialdemo­kratischen Partito Democratic­o zu schmieden. Die Mehrheit der Fünf-Sterne-Parlamenta­rier wünscht sich nichts sehnlicher, als sich endlich aus der tödlichen Umarmung des bisherigen Koalitions­partners Salvini zu lösen. Und auch bei den Sozialdemo­kraten hat die Bildung einer Koalition mit den „Grillini“zahlreiche Fürspreche­r – allen voran die früheren Regierungs­chefs Matteo Renzi, Enrico Letta und Romano Prodi.

Mattarella könnte aber auch Contes Rücktritt annehmen und in Eigenregie Sondierung­en mit den Parteispit­zen durchführe­n, um die Chancen für die Bildung einer anderen Regierung auszuloten. Sollte das Staatsober­haupt zum Schluss kommen, dass dies möglich sei, könnte er eine neue Person mit der Regierungs­bildung beauftrage­n.

... nichts ist fix

Im Grunde steht Italien heute am gleichen Punkt wie am 5. März 2018, dem Tag nach den Parlaments­wahlen, bei denen die FünfSterne-Bewegung mit 32 Prozent der Stimmen stärkste Partei wurde.

Auch damals hatten die „Grillini“mehrere Koalitions­optionen – ein Regierungs­pakt der Fünf Sterne mit dem PD scheiterte damals ausgerechn­et am Veto Renzis, der heute ebendiesen Pakt als einzige mögliche Rettung des Vaterlande­s anpreist. Grundsätzl­ich ist aber nicht einmal eine Neuauflage der bisherigen Koalition ausgeschlo­ssen – wenn auch in anderer personelle­r Zusammense­tzung. Salvini hat inzwischen gemerkt, dass er sich mit dem Versuch, die eigene Regierung zu stürzen, schwer verkalkuli­ert hat und dass er das Ziel schneller Neuwahlen kaum erreichen wird. Er hat deshalb mehrfach Signale an die Fünf Sterne ausgesende­t, dass er sich eine Weiterführ­ung der Zusammenar­beit vorstellen könnte.

Die Wahrschein­lichkeit dieses Szenarios ist indes eher gering: Die Spitzen der Fünf Sterne waren sich nach einem Treffen mit dem Gründer und Guru der Bewegung, Beppe Grillo, am Sonntag einig, dass man Salvini nicht vertrauen könne. Der Lega-Chef, dem sie sich in 14 Monaten gemeinsame­r Regierungs­zeit völlig untergeord­net hatten, ist in den Augen der „Grillini“nur noch ein Verräter.

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Eine der wenigen politische­n Gewissheit­en in Rom: Premier Giuseppe Conte (li.) und sein Vize Matteo Salvini können und wollen nicht mehr miteinande­r.

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