Blaue Leidensfähigkeit kennt keine Grenzen
Obwohl die ÖVP im Wahlkampf stetig den Druck auf die FPÖ erhöht, wollen die Freiheitlichen unbedingt mit Kurz, Blümel & Co weiterregieren. Dafür nimmt die Parteiführung Angriffe und Erniedrigungen in Kauf.
Je näher der Wahltag rückt, desto auffälliger wirkt die neue Leidensfähigkeit von Norbert Hofer, Herbert Kickl & Co: Egal, ob ÖVP-Klubchef August Wöginger ihren besten Innenminister aller Zeiten neuerdings als „obersten Schutzpatron der Identitären“qualifiziert oder der blaue Altparteichef über den Wortbruch von ÖVP-Obmann Sebastian Kurz nach dem Auffliegen von IbizaGate wehklagt – die verbliebenen FPÖ-Spitzen sind und bleiben sichtlich bemüht, sich auch nach dem 29. September als Regierungspartner zur Verfügung zu halten.
Am Wochenende steigerte die ÖVP wohl nicht zuletzt wegen der jüngsten Causa rund um die Beförderung des blauen Wiener Bezirksrats Peter Sidlo zum Finanzvorstand der Casinos Austria den Druck auf die FPÖ: Denn Türkis will nun die Identitären gar verbieten – und das müsse „im nächsten Koalitionsvertrag stehen“. Quasi ein No-Go für die FPÖ, deren
zahlreiche Querverbindungen zu der rabiaten Splittergruppe im Frühjahr publik wurden.
Doch der Politologe Peter Filzmaier, der der FPÖ einen derartig großen Willen zum Weiterregieren attestiert, „dass es beim Zusehen schon wehtut“, prophezeit: Sobald der FPÖ erneut ein Koalitionseintritt gelänge, werde man „die Identitären fallenlassen.“
Wo Wähler, da ein Wille
Selbst das aktuelle Lamento von Hofers Vorgänger Heinz-Christian Strache, dass Kurz angesichts von Ibiza-Gate trotz anderslautender Absprache neben seinem Abtritt auch den Abgang von Kickl betrieb, anstatt gemeinsam weiterzumachen, beeindruckt den neuen FPÖ-Chef nicht: Der Bruch der Koalition sei zwar „eine schwere Belastung“, erklärte Hofer am Sonntag via ORF-Radio, aber auch: Er wolle das Regierungsbündnis fortsetzen. Der sonst recht wortgewaltige FPÖ-General Harald Vilimsky wiederum versikeiten chert im STANDARD-Gespräch:
„Auch wenn es viel Skepsis gibt – diejenigen, die sagen: ,Nie wieder mit der ÖVP!‘, sind bei uns in der Minderheit. Die Mehrheit findet, es hat miteinander eigentlich gut funktioniert.“
Und auch wenn Medien und Politbeobachter bereits über eine Zerreißprobe der FPÖ wie anno 2002 spekulieren: Selbst Kickl, von der ÖVP schon seit Juni als nicht ministrabel ausgerufen, pariert auf Anfrage die jüngsten Angriffe des ÖVP-Klubchefs gegen ihn mit Humor: „Wöginger wird sicher wissen, dass ein Schutzpatron immer ein Heiliger ist. Wenn schon Schutzpatron, dann bin ich jener der hart erkämpften Vereinsund Versammlungsfreiheit und damit gegen eine ÖVP-Willkür.“Nachsatz: „Der Wahlkampf 2017 war auch nicht gerade von Freundlichkeiten geprägt, und trotzdem gab es eine Koalition.“Entscheidend sei für ihn, Kickl, „was die Mehrheit der Bevölkerung“wolle – „und nicht, welche Befindlicheinzelne Akteure“hätten. Auch Oberösterreichs FPÖ-Landeschef Manfred Haimbuchner hielt am Montag fest: „Ein Knittelfeld 2.0, 3.0 gibt es nicht.“
FPÖ-intern gilt ein Ergebnis über zwanzig Prozent bei der Nationalratswahl als Voraussetzung dafür, dass man ein neues Bündnis mit der ÖVP anstrebt. Und ein Kenner Kickls erklärt dazu: „Natürlich ist er jetzt verschnupft, dass die ÖVP so gegen ihn schießt. Aber nach einem passablen Wahlergebnis entsteht bekanntlich eine neue Dynamik – und wohl auch bei ihm.“
Jasager und Anwärterinnen
Filzmaier hält zu den türkisen Angriffen fest, dass sowohl bei der Wahl 2017 als auch in den Umfragen nach Ibiza-Gate ein großer Wähleraustausch zwischen ÖVP und FPÖ stattfand – „mit einem klaren Saldo für die ÖVP“. Das erkläre ihren neuen rauen Stil gegenüber der FPÖ – um bei bürgerlich-liberalen Wählern, die lieber eine Koalition mit den Neos oder den Grünen sähen, zu punkten, aber auch um christlich-konservativen Bürger bei der Stange zu halten, denen die Eskapaden der FPÖ zu weit gingen.
Bei erneuter Regierungsverantwortung müsste sich Hofer jedenfalls intensiv mit der Personalsuche beschäftigen. Denn Kickl wollen der Bundespräsident und Kurz nicht als Minister, Ex-Staatssekretär und Listendritter Hubert Fuchs gilt durch die Casinos-Affäre als angepatzt, Ex-Verteidigungsminister Mario Kunasek will lieber bei der Wahl in der Steiermark als Landeshauptmannanwärter sein Glück versuchen. Doch auch bei Letzterem heißt es: „Wenn unser Ergebnis passt, sagt er wieder Ja.“
Dazu werden schon erste Namen von möglichen Ministerinnen nach den Abtritten von Karin Kneissl und Beate Hartinger-Klein ventiliert – und zwar Salzburgs FPÖ-Landeschefin Marlene Svazek sowie Susanne Fürst, Juristin und Oberösterreichs Listenerste.