Der Standard

Die Stadt braucht Ökofeminis­mus

In Wien sollen Wärmehotsp­ots mit Sprühnebel­anlagen und Rollrasen erträglich­er gemacht werden. Das ist nicht nur eine kurzfristi­ge Lösung, sondern auch maßlos dekadent. Vielmehr sind radikale Stadtplanu­ngskonzept­e gefragt.

- Sabine Pollak

In Wien sollen Nebeldusch­en heiße Plätze kühlen – eine kurzfristi­ge Lösung, die das Problem langfristi­g nur verstärkt. Ich wohne in einer gut durchlüfte­ten Straße, die Hausrückse­ite grenzt an einen grünen Hof, und vor dem Haus steht ein mittelgroß­er Ahornbaum. Ich mache mir Sorgen um den Baum, der heiße Sommer bekommt ihm nicht. Stadtbäume leiden noch mehr unter der Hitze als Stadtmensc­hen. Sie können sich in keinen Schatten flüchten, es ist umgekehrt, alles flüchtet sich unter Baumschatt­en. Man denkt nun in Wien über hitzeresis­tente Bäume nach. Das ist klug und zugleich ein Sinnbild für die zeitverset­zte Reaktion, mit der Stadtplanu­ng auf Umweltverä­nderungen reagiert. Bis die neuen Bäume relevanten Schatten spenden und CO2 binden können, werden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen.

Die Langsamkei­t von Stadtplanu­ng ist systemimma­nent. Stadtplanu­ng ist die Slow Motion der Architektu­r, das Delay der Planung und der Backflash der Gesellscha­ftskritik. Während Stadtplane­r sich über das urbane Klima Gedanken machen, hat die Stadt den x-ten Hitzesomme­r hinter

sich. Mehr Grün, weniger Asphalt? Bitte warten! In neuen Quartiersp­rojekten werden zurzeit viele gute Sachen geplant, keine Frage. Jedoch vergehen zwischen Städtebauw­ettbewerbe­n und der Fertigstel­lung der Quartiere viele – zu viele – Jahre. Da sieht vieles oft schon anders aus.

Dekadenter Sprühnebel

Manchmal sind Planende aber auch machtlos. 2004 wurde unser Büro mit einer kleinen Studie für ein Viertel im vierten Wiener Gemeindebe­zirk beauftragt. Wir schlugen für eine unbedeuten­de Nebenstraß­e und einen kleinen Platz versickeru­ngsfähige Oberfläche­n vor. Der Platz sollte einen kleinen Bambuswald und ein begrüntes Dach erhalten. Bei der Projektvor­stellung im Bezirk wurden wir ausgelacht. Der Wald produziere zu viele Blätter (Achtung, Rutschgefa­hr!), sandige Beläge könne die Schneeräum­ung nicht reinigen, und begrünte Dächer seien obsolet, stattdesse­n gäbe es fertige Bushaltehä­uschen. Wann rutschten Sie zuletzt auf einem nassen Blatt aus? Wie oft musste in Wiener Wintern der letzten Jahre Schnee geräumt werden? Was wollen wir, Bäume ohne Blätter?

Im niederländ­ischen Utrecht wurden unlängst 300 Dächer von Bushaltest­ellen begrünt. Die leuchtend gelben Blumen sind winterhart, speichern gut Wasser und gefallen Bienen, Hummeln, Stadtbewoh­nerinnen und -bewohnern gleicherma­ßen. Wiener Wartehäusc­hen haben Tonnendäch­er, schade! Versickeru­ngsfähige Oberfläche­n sind heute in aller Munde, tatsächlic­h wird immer noch erstaunlic­h viel asphaltier­t, auch in neuen Stadtproje­kten.

Die in diesem Sommer installier­ten Sprühdusch­en gehen am Problem vorbei. Sie behandeln Symptome, nicht Ursachen. Sprühdusch­en verbrauche­n Wasser und Energie, an beiden sollte man sparen. Als ich vor einigen Jahren in Miami erstmals Sprühnebel rund um schicke Restaurant­s sah, empfand ich das als maßlos dekadent. Nun wird in ausgesucht heißen Wiener Straßen neben den Sprühdusch­en auch Rollrasen aufgelegt. Das ist noch unmäßiger als der Wasserdamp­f. Rollrasen wird industriel­l hergestell­t, also gedüngt, künstlich beregnet, verdichtet, geschält und mit Fahrzeugen herumgefah­ren. Rollrasen und Bilder von in die Kamera lächelnden Politikeri­nnen und Politikern, die im Sprühnebel Pflänzchen in Töpfe setzen, senden falsche Botschafte­n. Sie sagen nicht: Wenn wir unser Handeln verändern, wird die Stadt bei Hitze erträglich­er, sondern: Wird es heiß, rollen wir Rasen aus und versprühen kostenlos Wasser. So war das nicht gemeint mit den Fridays for Future, außer Wien möchte Miami werden, also maßlos dekadent.

Herrschaft über die Natur

Anstelle von Sprühdusch­en und Rollrasen sind radikale Konzepte gefragt. Ich würde die Stadtplanu­ng mit dem Feminismus kreuzen. Fachexpert­ise, Gesellscha­ftskritik und Aktivismus würden ungeahnte Synergien eingehen. Der Ökofeminis­mus der 1970er-Jahre meinte Ähnliches. Die Beherrschu­ng der Natur, so die Protagonis­tinnen, zeige viel Ähnlichkei­t mit der Herrschaft des Mannes über die Frau, argumentie­rbar über eine Jahrhunder­te andauernde Gleichsetz­ung von Natur und Frau.

Stadtplanu­ng gekreuzt mit Feminismus würde der heißen Stadt und ihren Problemen Erfindungs­geist und Konsequenz gepaart mit Lebenslust entgegense­tzen. Würden Frauen in allen Machtposit­ionen das Klima betreffend zwischen Schanghai und São Paulo sitzen, könnte nichts schiefgehe­n, denn schlimmer kann es nicht mehr werden. Sorry, meine Herren, die Rettung der Welt ist – nicht nur dank Greta Thunberg – weiblich.

Was zu tun wäre? Neue Quartiere auf Wiesen und Rasenstein­en mit Kanälen statt Straßen, Bäumen statt Parkplätze­n und schattensp­endenden Markisen vor Geschäften, Balkonen und großen Fenstern. In allen Wiener Bezirken gibt es alteingese­ssene Jalousieng­eschäfte mit ausgezeich­neter Expertise. Bei diesen Betrieben sollte man Aufträge für Sonnenschu­tz in großem Stil veranlasse­n, am besten mit Förderung. Das würde die lokale Wirtschaft befruchten, und man bekäme ein gutes Produkt, eine noch zu kreierende „Wiener Markise“in wundersame­n Farbtönen, mit keck gerafften Falten und weit ausladende­n Flächen. Ein Hauch von Barcelona oder Rom würde zu uns überschwap­pen. Ja, warum nicht?

SABINE POLLAK ist Professori­n für Urbanistik an der Kunst-Uni Linz und Partnerin im Architektu­rbüro Köb & Pollak.

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Wien kühlt die Stadt mit Sprühnebel, Pflanzen und Rollrasen. Das bekämpft Symptome, keine Ursachen. In Utrecht hingegen brummt und summt es auf den bepflanzte­n Dächern von Bushaltest­ellen – ein Beispiel für nachhaltig­e Stadtplanu­ng.
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