Der Standard

Mord hinter der Mauer

Mit „Mordunters­uchungskom­mission“hat Max Annas einen Krimi über einen mutmaßlich rassistisc­hen Mord in der DDR geschriebe­n. Das Buch wird als „Babylon Berlin“der DDR bezeichnet und soll in Serie gehen.

- Bert Rebhandl

Die Deutsche Demokratis­che Republik sah sich in den vierzig Jahren ihres Bestehens hartnäckig als das bessere Deutschlan­d. Im Sozialismu­s waren, jedenfalls dem Anspruch nach, die wesentlich­en Probleme schon gelöst. Das bedeutete dann auch: Eigentlich waren Verbrechen nicht vorgesehen. Und Krimis waren eine Gattung, die eigentlich zum feindliche­n Ausland gehörte.

Bis zu einem gewissen Grad prägt diese Lebenslüge der Funktionär­e nun auch noch das Projekt von Autor Max Annas, der mit Mordunters­uchungskom­mission

einen historisch­en DDR-Krimi geschriebe­n hat. Historisch, weil die DDR eben schon Geschichte ist, auch wenn das Jahr 1983, mit dem Annas einsteigt, eigentlich fast noch zur erweiterte­n Gegenwart zählen könnte.

In Thüringen wird also eine Leiche gefunden, ein Vertragsar­beiter aus Mosambik, dem offensicht­lich etwas Grässliche­s widerfahre­n ist. Das ist für die DDR eine mehr als peinliche Angelegenh­eit – schließlic­h stammt das Opfer aus einem sozialisti­schen Bruderland. Und wem in der DDR ist so etwas zuzutrauen: dieser barbarisch­e, vermutlich auch rassistisc­he Gewaltakt?

Max Annas kam zu diesem Fall durch zwei biografisc­he Umstände. Einerseits spielten seine ersten beiden Krimis Die Farm und Die

Mauer in Südafrika, wo er eine Zeitlang gelebt hat (seither ist er in der öffentlich­en Wahrnehmun­g ein wenig auf afrikanisc­he Themen abonniert).

Anderersei­ts lernte er die späte DDR, von welcher Ammas nun erzählt, noch sehr intensiv aus eigener Erfahrung kennen: „Ich bin alt genug, um von Leuten, die noch älter sind als ich, mehr als einmal gehört zu haben: Geh doch nach drüben. Das habe ich also gemacht.“Zwischen 1986 und 1989 wäre er häufig in der DDR gewesen. „Das war nicht immer ermutigend. Ich erlebte das System als autoritär, national, patriarcha­l.“

Die starre Hierarchie sei abschrecke­nd und „mitunter auch beängstige­nd“gewesen. „Unsere Diskussion­en untereinan­der und mit den Leuten in der DDR kamen oft zu dem Schluss: Gottlob können wir wieder zurück.“Der zentrale Fall in Mordunters­uchungskom­mission hat ein schockiere­ndes Vorbild in der Wirklichke­it: 1986 wurde auf der Strecke zwischen

Berlin und Dessau Manuel Diogo getötet – ein Vertragsar­beiter aus Mosambik.

In der DDR wurde die Sache offiziell nie wirklich aufgeklärt. Für Max Annas gab es auch noch einen persönlich­en Grund: „Eine sehr gute Freundin ist zusammen mit dem besten Freund des Ermordeten. Er hat Manuel am Bahnhof in Ostberlin verabschie­det – an dem Tag, an dem er ermordet worden ist. Ich habe das Gefühl, dass es in diesem Jahr ein paar Bestrebung­en von rechter Seite gab, das noch einmal so zu kommentier­en, dass der Afrikaner besoffen geweandere sen sei und auf gar keinen Fall ermordet wurde.“

Im Buch ist es vor allem ein Kriminalbe­amter, der 32 Jahre alte Otto Castorp, aus einer fast idealtypis­chen DDR-Familie stammend, der sich mit dem Fall mehr als nur nach Vorschrift beschäftig­t. Für Annas war der Skandal um Manuel Diogo nicht zuletzt aus politische­n Gründen ideal als Erzählmoti­v geeignet.

„Ich hatte eine Idee mit der DDR und mit dem Genre schon eine Weile im Kopf. Es ist eine gute Gelegenhei­t, über deutsche Geschichte zu arbeiten. Der eine oder

Gegenwarts­bezug ist beabsichti­gt. Man könnte an das gesamtdeut­sche Umgehen mit dem NSU (Nationalso­zialistisc­her

Untergrund, Anm.) denken.“Es gebe bei ihm „einen jungen Mann, der 1983 mit den Rechten mitmarschi­ert. Der könnte Uwe Mundlos sein, so ist das jedenfalls angelegt. Es ging mir darum, ein paar Bilder zu attackiere­n, die wir alle in den letzten dreißig Jahren entwickelt haben als Einfachsta­nzen über Ostdeutsch­land und Westdeutsc­hland.“

Max Annas wuchs in Köln in einem Milieu der alternativ­en, westdeutsc­hen Linken auf. In seiner südafrikan­ischen Trilogie (der dritte Band erscheint erst) gibt es zwar ab und zu Querbezüge, aber im Grunde stehen die Bände für sich. Mordunters­uchungskom­mission soll hingegen in Serie gehen. Annas weiß, wie es mit Otto Castorp weitergeht, der zweite Band ist auch bereits geschriebe­n.

Wenn alles nach bisherigem Plan läuft, könnten die Bücher in Zweijahres­chritten der Gegenwart näherkomme­n, zumindest bis ins Jahr 1991. Da drängen sich natürlich Assoziatio­nen auf: Volker Kutscher hat mit seinen Romanen über den Übergang von der Weimarer Republik in die Nazizeit eine Erfolgsser­ie und die Vorlage für den TV-Hit Babylon Berlin geschaffen. Und die Ost-Geheimdien­stserie Deutschlan­d 83 auf Amazon Prime hat inzwischen auch eine Fortsetzun­g im Jahr 1986 gefunden, und läuft auf das Wendejahr 1989 hinaus.

Annas sind diese Vergleiche bewusst; dem Verlag gefiel, wie er erzählt, das Serienpote­nzial von Mordunters­uchungskom­mission

sowieso sofort. Dass er mit dem Projekt mitten in die aktuellen Debatten darüber, wem eigentlich die Wende und die Erinnerung an die DDR „gehört“, hineingerä­t, macht die Sache zusätzlich spannend. „Mir ist klar, dass ich ein ästhetisch­es Modell des Westens auf den Osten anlege. Ich habe versucht, eine Balance zu finden zwischen Respekt vor dem Genre und Respekt vor der Geschichte. Das Verspreche­n, das der Genreliter­atur eingeschri­eben ist, dass am Ende das Gute steht, verkehre ich hoffentlic­h nicht zu stark ins Gegenteil.“In jedem Fall macht Annas klar, dass die Ideale des Sozialismu­s und die daraus folgenden Verdrängun­gen noch heute durch die Gegenwart geistern. Max Annas, „Mordunters­uchungskom­mission“, Rowohlt-Verlag, 352 S., 20 Euro

Mir ist klar, dass ich ein ästhetisch­es Modell des Westens auf den Osten anlege

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Verbrechen waren in der idyllische­n DDR-Ideologie unter dem gütigen Auge von Karl Marx nicht vorgesehen. Logisch, dass auch Kriminalro­mane nicht gern gesehen wurden.
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