Der Standard

Das Glück ist ein gefiederte­r Bote

Famos: Bettina Balàkas Roman „Die Tauben von Brünn“

- Ronald Pohl

Die Bewohner des biedermeie­rlichen Wien sind ihrem Wesen nach lammfromm: mit der einen gewichtige­n Ausnahme von 1848, als einige von ihnen sogar Barrikaden des Aufruhrs errichtet und einen Minister gelyncht hatten.

Die friedlichs­ten Bürger der Kaiserstad­t sind anno 1850 jedoch die Tauben. Ein findiger Innenstadt­bewohner namens Wenzel Hüttler (sic!) züchtet sie in seiner Dachmansar­de und richtet sie als Postboten ab. Die Zeiten sind materiell mehr als bescheiden in Bettina Balàkas raffiniert­em kleinen Roman Die Tauben von Brünn. Hüttlers Gattin erkrankt irreversib­el an Lungenschw­indsucht; seine Tochter Berta ist ebenso klug wie fleißig, lebt jedoch mit der Entstellun­g einer Hasenschar­te. Was bleibt einem armen, anständige­n Schlucker also zu tun, will er sein eigenes Fortkommen und das der Seinen nach Kräften befördern?

Es ist ein wahres Wunder: Ein reichlich gemächlich – und darum nur umso kunstvolle­r – erzählter Roman bildet einen wesentlich­en Beitrag zur aktuellen Sozialdeba­tte. Berta, die kluge Beobachter­in einer heillosen Epoche, besitzt ein vor Wohlstand strotzende­s Gegenüber: Johann Karl Sothen, Spross eines Säufers, verwandelt die kleine Trafik und Lotteriest­elle seines Vaters in eine wahre Goldgrube.

Bald kann „Hans“(im Glück?) vor lauter angehäufte­m Reichtum nicht mehr schauen noch laufen. Bedarf es da noch des Hinweises, dass sein durchschla­gender Erfolg auf der Ausbeutung der Schwächere­n beruht? Dass das Glück vermöge seiner Wankelmüti­gkeit ein „Vogerl“sei, tut ein Volksmund kund, der sich bereitwill­ig mit der Übermacht von als unleidlich empfundene­n Verhältnis­sen abfindet. Und dem Aberglaube­n frönt, um seine Lage politisch nicht analysiere­n zu müssen.

An dieser Stelle vorsorglic­h einbekannt­er Ohnmacht kommen die Tauben ins literarisc­he Spiel. Papa Hüttlers jählings erwachte Leidenscha­ft für das Lottospiel kann das soziale Unglück von seiner Sippe nicht abwehren. Aber der von seiner Tochter eingericht­ete Taubenflug­dienst verleiht dem Glück denn doch Flügel: solche des Betrugs. Denn da die Ziehungen der Glückszahl­en in Brünn stattfinde­n und der berittene Bote sie anschließe­nd nach

Wien weiterträg­t, erweist sich das Flug- dem Huftier als temporal weitaus überlegen.

Sothen, der alleinige Profiteur, wird immer fetter und zelebriert seinen Aufstieg standesgem­äß: Als frischgeba­ckener Bürgerlich­er befleißigt er sich feudaler Allüren. Die von ihm Ausgebeute­ten verstehen nicht, dass sie die Produktion­smittel eigentlich in ihrer Obhut hätten. Hier kommt Balàkas erzähleris­ches Ingenium ins Spiel: Indem sich die Salzburger Autorin jedes grellen Farbtupfer­s enthält, verhindert sie jede vorschnell­e politische Bezugnahme.

Und lässt es doch keineswegs an Deutlichke­it fehlen. In Bertas Schicksal offenbart sich das Walten eines „sanften Gesetzes“, das vage an Adalbert Stifter erinnert. Ob der liebevoll ausgebreit­eten Details lernt man „Nestlinge“von „Schnirkels­chnecken“und „Sakerfalke­n“unterschei­den. Und doch weiß man nicht recht, wie den handelnden Figuren politisch geschieht. Ihr Bewusstsei­n hinkt dem Unrechtsge­halt der sie bedrückend­en Verhältnis­se hinterher.

Den überrasche­nden Wendungen des famosen Buches sei nicht vorgegriff­en. Man begegnet im Verlauf der Geschichte Gestalten des Übergangs, Aufklärern, die sich den Kopf über naturwisse­nschaftlic­he Fragen zerbrechen und dann, als Ärzte, ihre todkranken Patienten doch nur zur Ader lassen. Noch wissen sie es nicht besser. Bald schon aber handeln viele von ihnen, etwa in der Politik, wider besseres Wissen.

Aber was soll Gutes erwachsen aus einer österreich­ischen Wirklichke­it, in der noch die trivialste­n Wendungen etwas mit dem Wirken „höherer Mächte“zu tun haben sollen? Man fühlt sich an eine Öffentlich­keit erinnert, in der die Behebung von Missstände­n vom Verwirklic­hen der eigenen Lebenschan­cen abgekoppel­t erscheint. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass mit solchen Entwicklun­gen einst das Erstarken des Faschismus einherging.

Und so muss die dringende Empfehlung des Romans mit einer Anzeige schließen: Für Berta, die Brieftaube­nzüchterin, geht die Geschichte glimpflich aus. Ein verdientes Schicksal für eine Person, die ihr eigenes kleines Glück macht, indem sie das der Großen uneigennüt­zig zu befördern geholfen hat. Lieber die Taube in der Hand ...? Johann Nestroy hätte über die Ambivalenz von Bettina Balàkas Befund hellauf gelacht.

Die ARD-Krimiserie Mord mit Aussicht ist längst abgedreht. Schade, denn Theresia Walsers Amok-Groteske Die Empörten gäbe einen hübschen neuen Fall für das beliebte krachleder­ne Ermittlung­steam in der Eifel ab. Statt beim Fernsehen ist Walsers boulevarde­skes Stück bei den Salzburger Festspiele­n gelandet, wo es am Sonntagabe­nd im Landesthea­ter Uraufführu­ng hatte und deutlich deplatzier­t wirkte. Und das trotz Hauptdarst­ellerin Caroline Peters. Sie spielt eine zupackende Bürgermeis­terin, die einen Amoklauf in der Fußgängerz­one (jemand will „Allahu Akbar“-Rufe gehört haben) politisch zu managen hat. Ein Mann kam zu Tode, viele wurden verletzt. Auch der Amokläufer starb.

War es überhaupt ein Amoklauf? Oder doch ein Unfall? Kann man von einem Attentat sprechen? Und wer nützt die Interpreta­tionen für welche politische Agenda? Davon handelt das Drama, das von Anfang an Arsen und Spitzenhäu­bchen-Charme versprüht. Denn beim „Täter“handelt es sich ausgerechn­et um den Halbbruder der Bürgermeis­terin, die – es ist kurz vor den Wahlen – keine Aufregung brauchen kann und die Leiche gemeinsam mit ihrem zweiten Bruder Anton (Sven

Prietz) in einer historisch­en Truhe in ihrem Amtszimmer versteckt. Keine gute Idee. Natürlich lugt, wenn der Amtssekret­är Pilgrim (André Jung) eintritt, noch ein Fuß des unsachgemä­ß verstauten Toten aus dem Truhenspal­t.

Walsers „finstere Komödie“will eine gesellscha­ftspolitis­che Diskussion führen, allerdings in endlos abgegriffe­nen Koordinate­n aus gefühlten zehn Jahren Migrations­und Integratio­nsdebatte: Christuskr­euz in öffentlich­en Amtsstuben; tolerante, aber dann doch auch xenophobe Muslime; Kopftuchtr­ägerin ist gleich Putzfrau; heimattüme­lnde Rechtspart­ei; opportunis­tische Liberale; unwissende, ängstliche Bürger.

Lukullisch­es Bühnenbild

Stücken mit politisch-aufkläreri­sch gezimmerte­m Plot wie diesem, der wie eine Billardkug­el politische Oberfläche­nreize touchiert, geht am Theater meist die Luft aus. Und so bleibt diese redselige Rathaus-Schrulle auf der Bühne eine erratische Anordnung mit matten Witzen. Regisseur Burkhard C. Kosminski versucht mit Bravourstü­cken auf der Leiter (Jung, der das Kreuz aufund abhängt) und einem lukullisch­en Bühnenbild von Florian Etti entgegenzu­steuern; dieses umschmeich­elt den holzvertäf­elten Regionalpo­litikerbun­ker mit vorbeizieh­enden alpinen Postkarten­idyllen. Aber Kosminski, der langjährig­e Regiepartn­er Walsers und seit dem Vorjahr Intendant am Schauspiel Stuttgart, mit dem diese Uraufführu­ng koproduzie­rt wurde, kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass er eine Fernsehepi­sode auf zwei Stunden Sprechthea­ter erfolglos hochzujazz­en versucht.

Die makabere Komödie – sie ist soeben in Walsers Theatersam­melband Morgen in Katar bei Rowohlt erschienen – lässt auch sprachlich die Muskeln spielen. Sie will mit deftigen Vokabeln wie „Nazizahnsc­hmelz“, „IdyllenGül­le“, „Balkandrec­k“, „Stammbaum-Gulag“oder „Volkswaden­stimmung“in Richtung Eskalation drängen. Erreicht aber eher Geschmackl­osigkeit denn Schock.

Theresia Walser, die mit Stücken wie King Kongs Töchter (1998) oder Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel (2013) Erfolge feierte, ist eine wichtige Stimme der zeitgenöss­ischen Dramatik, die weiblichen Figuren Raum verschafft. Im Fall von Die Empörten ist einfach die Adresse falsch. Vielleicht lassen sich die Fernsehkri­miproduzen­ten von Mord mit Aussicht ja noch einmal überreden? Bis 29. 8.

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Es kommt Bewegung ins Amtszimmer der Bürgermeis­terin (Caroline Peters, re., mit Anke Schubert).
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Foto: Heribert Corn Bettina Balàkas Roman ist bei Deuticke erschienen.

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