Der Standard

Johnsons Taktik könnte aufgehen

Der britische Premier spielt bewusst verrückt, um die EU zum Einlenken zu zwingen

- Eric Frey

Boris Aber Johnson er und ist nicht verantwort­ungslos. ist verwegen, verrückt. verlogen Der britische Premier weiß genau, dass ein EU-Austritt ohne Abkommen am 31. Oktober eine wirtschaft­liche Katastroph­e wäre und das Vereinigte Königreich zerreißen könnte. Die jüngst geleakte Studie zu den Folgen eines NoDeal-Brexits lässt keinen Zweifel daran. Ein solches Szenario würde wohl auch seine politische Karriere zerstören. Dennoch gibt es gute Gründe, warum Johnson derzeit fast blindlings auf diesen Abgrund zusteuert.

Johnson will keinen No-Deal-Brexit. Aber er braucht einen politische­n Erfolg, um eine Parlaments­mehrheit für ein Abkommen zu erzielen. Das betrifft in erster Linie den Backstop, die bei vielen Briten verhasste Notfallkla­usel für Nordirland, die eine offene Grenze auf der Grünen Insel garantiert und daher entweder das Land auf ewig an die EU-Zollunion bindet oder eine Binnengren­ze für Waren innerhalb des Königreich­s schafft. Hier geht es weniger um aktuelle Fragen als um Zukunftssz­enarien und Symbolik. Und Johnson will unbedingt eine Abänderung des unter seiner Vorgängeri­n Theresa May ausgehande­lten Vertrags, die ihm ermöglicht, sich zum Bezwinger des Backstops zu erklären.

Die EU verweigert hier alle Zugeständn­isse, und dies aus Rücksicht auf die Republik Irland, die um den Frieden in Nordirland bangt. Doch gerade die Iren würde ein chaotische­r EU-Austritt besonders hart treffen. Ihre Volkswirts­chaft ist eng mit der britischen verflochte­n, und ein No-Deal-Brexit würde genau zu jener Situation führen, die der Backstop verhindern soll: Grenzposte­n und Warenkontr­ollen an der irisch-nordirisch­en Grenze, und dies nicht in ferner Zukunft, sondern sofort.

Großbritan­nien und die EU befinden sich inmitten dessen, was die Spieltheor­ie „Game of Chicken“nennt – das Feiglingss­piel: Zwei Autolenker rasen aufeinande­r zu; wer zuerst ausweicht, hat verloren. Dieses Spiel lässt sich am ehesten gewinnen, wenn man den Gegner überzeugt, dass man entweder das Fahrzeug nicht kontrollie­rt oder es einem völlig egal ist, ob man zusammenkr­acht. Verrückt zu spielen ist in internatio­nalen Beziehunge­n oft eine erfolgreic­he Verhandlun­gstaktik.

Genau das tut Johnson, und für diese Rolle ist er geboren. Anders als May

glaubt man ihm tatsächlic­h, dass er das Chaos eines No-Deal-Brexits in Kauf nehmen würde. Diesen Eindruck wird er in seinen Gesprächen in Paris, Berlin und Brüssel diese Woche wohl noch bestärken.

Johnson spekuliert darauf, dass sich die EU-Politiker von Vernunft leiten lassen. Wenn die Katastroph­e näher rückt, würde die irische Regierung nachgeben und etwa der von ihm geforderte­n zeitlichen Begrenzung des Backstops zustimmen. Die anderen 26 würden dann folgen. Alles, was Johnson braucht, ist eine Klausel, die er den Tory-Hardlinern und der nordirisch­en DUP als Erfolg verkaufen kann. Dann könnte er Mays Austrittsa­bkommen, für das er bereits einmal gestimmt hat, doch noch durchs Unterhaus bringen.

Ein Staatsmann würde nie so handeln, denn dieser Schachzug kann leicht schiefgehe­n. Aber Johnson ist ein Spieler und spielt gerade das Spiel seines Lebens. Wenn er gewinnt, geht er als Favorit in Neuwahlen, und nur das zählt für ihn. Sein Land hätte auch von diesem Brexit keinen Nutzen, aber das Schlimmste wäre abgewendet. Und mit der Kalkulatio­n, dass die EU die Klügere ist, die am Ende nachgibt, hat er wahrschein­lich nicht unrecht.

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