Der Standard

Weil Ungarn dazugehört

- Gerald Schubert

Viktor Orbán ist nicht gerade als Brückenbau­er bekannt, eher schon als Errichter neuer Zäune. Mit seiner kompromiss­losen Antiflücht­lingspolit­ik, seinem Gerede von der „illiberale­n Demokratie“und nicht zuletzt seinen nationalen Kampagnen gegen die Brüsseler EUZentrale hat sich der ungarische Premier in der Rolle des unbequemen Einzelgäng­ers eingericht­et, der zwar oft aneckt, genau damit aber zum häufigen Gesprächst­hema in Europa wird. Zuletzt hat das seiner rechten Partei Fidesz sogar die Suspendier­ung der Mitgliedsc­haft in der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) eingebrach­t.

Klar, dass es deshalb für Irritation­en sorgen kann, wenn Orbán bei Veranstalt­ungen auftritt, die den Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 feiern – den Vorboten der späteren Erweiterun­g der Europäisch­en Union, einen großen Schritt auf dem Weg der europäisch­en Einigung. Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel steuerte am Montag beim gemeinsame­n Gedenken an das Paneuropäi­sche Picknick in Sopron freilich souverän durch das seichte diplomatis­che Fahrwasser: Die Ereignisse vor 30 Jahren bezeichnet­e sie als „Beispiel dafür, wie viel wir Europäer erreichen können, wenn wir für unsere unteilbare­n Werte mutig einstehen“– historisch­e Dankbarkei­t, gewürzt mit einer klaren Absage an nationale Alleingäng­e in der Zukunft.

Doch ungeachtet aktueller Differenze­n: Es war richtig und wichtig, nach Sopron zu kommen und das Gedenken mit Orbán gemeinsam zu begehen. Dass diesem damit erneut eine Bühne geboten wurde für seine große Inszenieru­ng, die penetrant zwischen Abwendung von Europa und Einflussna­hme in der EU oszilliert: geschenkt. Die selbst aus Ostdeutsch­land stammende Angela Merkel verkörpert mit ihrer Karriere wie sonst kaum jemand die epochale Wende des Jahres 1989. Und Viktor Orbán repräsenti­ert als Regierungs­chef nun einmal ein Land, dem damals eine entscheide­nde Bedeutung zukam.

Die mittel- und osteuropäi­schen Staaten wie eben Ungarn oder auch Polen mögen in der EU nicht immer einfache Partner sein. Für Frieden, Stabilität und Prosperitä­t in Europa aber ist die EU-Mitgliedsc­haft jener Länder, die sich vor 30 Jahren ihre Freiheit erkämpft haben, unerlässli­ch. Da hat auch das gemeinsame Gedenken seinen Platz.

Die europäisch­e Politik wird in weiteren 30 Jahren weder von Merkel noch von Orbán gestaltet werden. Vom Wunsch, weiter geeint zu bleiben, hoffentlic­h schon.

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