Wenn der Wurstkessel singt
Vor rund 110.000 Besuchern ließen Rammstein am Donnerstag und Freitag in Wien die Feuerwerfer glühen. Das Ernst-Happel-Stadion erwies sich dabei als würdige Verlängerung des Wurstelpraters.
Ich bin der Gott des Höllenfeuers, und ich bringe euch – Feuer!“Mit dämonischer Stimme – und auf Englisch – leitet Arthur Brown so seinen Song Fire ein. Brown ist ein britisches One-Hit-Wonder, das sich Ende der 1960er-Jahre progressiv gab, sich live nackig machte, mit brennendem Haupt die Bühne durchmaß und damit alle ihm folgenden Kabarettrocker irgendwie beeinflusst hat. Nebenbei ist Fire eine geile Nummer, ein echter Burner.
Dieser schönen Tradition entsprechend spielte das Feuer beim Auftritt von Rammstein im Wiener Ernst-Happel-Stadion am Donnerstagabend eine wesentliche Rolle. Noch vor Beginn ertönte den Weg ins Konzert weisend Georg Friedrich Händels Music for the Royal Fireworks, als dann Schlagzeuger Christoph Schneider erstmalig auf die Trommeln hieb, war anstatt der Felle ein Explosionsknall zu hören, Flammen stoben vor der Bühne in die Höhe. Bumsti.
So ein Feuer muss natürlich genährt werden, also legten Rammstein ordentlich Holz nach, bretterten und holzten ausdrucksstark, so als ginge es um etwas.
Als Blickfang und Mittelpunkt der Show fungierte wie immer Sänger Till Lindemann. Der 56-Jährige betrat die Bühne in einem bodenlangen Brokatmantel, die Lippen schwarz geschminkt, schwerer
Lidstrich, Bommelzopf am Hinterkopf. Mad Max, Teil 15.
Dermaßen angetan wirkte er als so drolliger wie bedrohlicher Zirkusdirektor dieses Konzerts, das stellenweise wie eine szenische Aufführung mit Musik erschien. Lindemann ist fleischgewordener Schrecken und die Karikatur desselben zugleich. Seine Rolle legt er mit einem überdrehten Expressionismus an. Wer Klaus Kinski in Werner Herzogs Film Woyzeck gesehen hat – das hoch zehn. Nur dass Lindemann seine Figuren aus der Balance entlässt und sie beim Sturz in die Lächerlichkeit begleitet.
Mainz bleibt Mainz
Einmal stupste ihn Keyboarder Christian „Flake“Lorenz tatsächlich von der Bühne, wohl geplant, versteht sich. Das war einer von mehreren Mainz-bleibt-Mainz-Momenten. Zumal der Keyboarder, der Tastenficker, wie Flake sich selbst bezeichnet, in einer Metalband ein bisschen überflüssig und unterbeschäftigt ist. Also nutzte er seine Spielpausen, um im goldenen Folienstrampelanzug Blödsinn zu treiben: auf Niveau deutscher Karnevalsgilden. Man muss es Rammstein menschlich hoch anrechnen, dass sie sich den Mann leisten.
Dabei hatte die Show durchaus ihre Momente. Etwa im neuen Song Puppe, für den Lindemann einen zweieinhalb Meter großen Kinderwagen aus Metall auf die Bühne schob. Auf der Videowand des riesigen Bühnenbaus sah man das vermeintliche Innere des Wagens: eine Puppe. Sie wurde das Opfer von Lindemanns Gewaltfantasie, während er „es geht mir nicht gut“ins Mikro wagnerte. Natürlich fackelte er die Puppe am Ende ab, in jedem Pyrotechniker steckt ein Pyromane; anschließend regnete es Papierschnipsel ins Oval des Stadions. Gebrüll, olé. 55.000 Fans waren begeistert.
Dabei wirkte die Darbietung oft bloß wie die EAV auf hart. Etwa als sich Flake für den „Kannibalensong“Mein Teil in einen überdimensionierten Wurstkessel begab, vor dem Lindemann in blutiger Schürze das Messer wetzte, um schließlich mittels Flammenwerfer den Topf anzuwerfen. Der gespielte Witz, hat das bei Didi Hallervorden geheißen.
Bei Du hast wurde dem ganzen Stadion mittels Feuer aus allen Rohren eingeheizt, und langsam fragte man sich, ob sich zur nächsten Rammstein-Aufführung nicht besser der Grillkritiker mit ein paar Käsekrainern akkreditieren lassen sollte.
Gesellschaftspolitische Positionierung betrieben Rammstein wie schon im weniger toleranten Moskau auch in Wien, indem sich die Gitarristen herzhaft küssten. Und in der Zugabe Ausländer setzte sich Flake dann in ein Schlauchboot und cruiste damit übers Publikum. Auf dem Weg zurück hielt die Band Willkommensschilder in den Händen. Ausgerechnet im weltoffenen Kanada ging das in die Hose, und Flake wurde über den Zaun des Konzertgeländes entsorgt. Auch Spaß muss sein.
Tiefpunkt ganz oben
Davon kredenzten die 1994 in Berlin gegründeten Rammler reichlich, musikalisch spielten sie ohnehin nie mehr als Metal von der Stange mit ein bisschen Techno-Untermalung. Apropos. Der Tiefpunkt der Show kam dieses Mal von ganz oben: Um den Kollegen einen Kostümwechsel zu ermöglichen, begab sich Gitarrist Richard Kruspe mit einem Lift in den geschätzten dritten Stock der bombastischen Bühnenarchitektur, um dort oben einen DJ im Look des späten Elvis zu markieren.
Dazu rief er seinen Remix des Lieds Deutschland vom Band ab. Die Qualität dieser Darbietung konvenierte bestens mit ihrer Nähe zum benachbarten Wurstelprater und dem dort zu hörenden Karusselltechno. Wenn man sich den Wurstelprater als Schauplatz für Kurioses aller Art in Erinnerung ruft, kann man also von einem durchaus stimmigen Abend sprechen.