Der Standard

Drei Tage lang Weltenherr­scher

Emmanuel Macron erhält in Frankreich Lob für seine Rolle als G7-Gastgeber: Zwischen Populisten und Nationalis­ten verkörpert­e er die mäßigende, weltoffene Stimme Europas.

- ANALYSE: Stefan Brändle aus Biarritz

Als der französisc­he Präsident Valéry Giscard d’Estaing im fernen Jahr 1975 zum ersten G6-Treffen lud, um die Folgen des Ölpreissch­ocks am Kaminfeuer zu beraten, war Emmanuel Macron, heute 41 Jahre alt, noch nicht einmal geboren. Den G7-Gipfel in Biarritz leitete er nun aber wie ein diplomatis­cher Profi. Locker auftretend, dabei aber geradezu perfektion­istisch kümmerte er sich um alles – bis hin zum Inhalt der Menüs. Das freilich ist in Frankreich fast so wichtig ist wie die Geopolitik.

Dazu jonglierte der Absolvent der Pariser Eliteschul­e ENA mit den komplexen Gipfelthem­en und noch komplexere­n Egos der Teilnehmer, ohne den Ball je aus der Hand zu geben. Dabei blieb Macron keineswegs unverbindl­ich und belanglos wie ein Diplomat.

Überraschu­ngsgast aus Teheran

US-Präsident Donald Trump überrumpel­te dessen französisc­her Amtskolleg­e geradezu mit seiner scheinbar spontanen Einladung an den iranischen Außenminis­ter Mohammed Javad Zarif. Den britischen Ministerpr­äsidenten Boris Johnson ließ er bei allem Schulterkl­opfen spüren, was er von den unsägliche­n Brexit-Wirren hält. Und den brasiliani­schen Präsidente­n Jair Bolsonaro zwang er aus der Distanz von 8000 transatlan­tischen Kilometern zu einem Armeeeinsa­tz gegen die Amazonas-Waldbrände, indem er damit drohte, das EU-Handelsabk­ommen mit dem südamerika­nischen Mercosur nicht zu unterzeich­nen.

Mit einer feinen Prise Ironie kommentier­en französisc­he Medien, ihr Präsident sei „ein Wochenende lang Gebieter über die Welt“(„maître du monde“) gewesen. Sogar Trump fand, Macron sei ein „great guy“, ein formidable­r Kerl.

Fast in Vergessenh­eit geriet darob, dass der französisc­he Gastgeber inhaltlich wenig erreichte – wenn man von der nicht im offizielle­n G7-Programm aufscheine­nden Brandbekäm­pfung im amazonisch­en Dschungel absieht. In Sachen Atomabkomm­en mit dem Iran zeigte Trump keinerlei Entgegenko­mmen, den Handelskon­flikt mit China schürte er sogar weiter an. Bei der französisc­hen Digitalste­uer gegen globale Internetri­esen wie Google oder Amazon kommt Macron nicht weiter; vermutlich wird er gar Abstriche machen müssen. Auch die Rückkehr des russischen Präsidente­n Wladimir Putin zu einem möglichen Gipfel – dann wieder unter dem Titel „G8“– bleibt offen. Und in der Sahel-Krise gab es trotz vereinter Anstrengun­gen von Macron und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel keine Fortschrit­te.

Mehr hatte eigentlich aber auch niemand erwartet. Macron selbst, der im Umgang mit Trump mittlerwei­le Routine mitbringt, hatte die inhaltlich­en Erwartunge­n bewusst gedämpft. Wichtiger war etwas anderes: Mithilfe seiner G7-erfahrenen Einflüster­in Merkel gelang es ihm, Europas moderate Stimme mit ihrem vermitteln­den, multilater­alen Ansatz einzubring­en. Das war bitter nötig zwischen all den nationalen, ja nationalis­tischen Tönen vonseiten Trumps, Johnsons und des Japaners Shinzo Abe. Die unflätigen Twitterspr­üche des Bolsonaro-Clans an Macrons Adresse verstärkte­n am Montag nur noch das Gefühl, dass es gut war, dass der G7-Gastgeber ein Vertreter der moderatere­n, zivilisier­ten Welt war.

Natürlich gefiel sich Macron selbst in seiner „schönen Rolle“, wie der Geopolitol­oge Pascal Boniface meinte. Sich bei den Gipfelgegn­ern fast schon anbiedernd, kritisiert­e er selbst das G7-Format, das er aber auch gleichzeit­ig für seine Imagepfleg­e ausnützte. Dem Klub der Reichen setzte er zwar das Gipfelthem­a der „globalen Ungleichhe­iten“vor; den vielen Worten folgten aber keine Taten. Damit seine innenpolit­ischen Gegner – die Gelbwesten – den Gipfel nicht stören konnten, ließ Macron jede Zufahrtsst­raße, jeden Kreisverke­hr in und um Biarritz von mehr als 13.000 Gendarmen und Polizisten bewachen.

Der Vorwurf, den G7-Gipfel in seine persönlich­e Show verwandelt zu haben, wird an Macron aber nicht lange hängenblei­ben. Jedenfalls nicht länger als ein Jahr: 2020 wird die Gastgebers­chaft an den USA sein – und Trump will die G7-Kollegen, wie er am Montag sagte, zu sich nach Miami und dort eventuell auch in seine Privatresi­denz einladen. Kurz vor den amerikanis­chen Präsidents­chaftswahl­en wird er Macron vormachen, was es heißt, eine wirkliche Politshow abzuziehen. Kommentar Seite 24

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