Legendendämmerung, stehend beklatscht
Demonstrativ gefeiert: Plácido Domingo in einer konzertanten „Luisa Miller“bei den Salzburger Festspielen
Ein Mythos – um am Ende der Salzburger Festspiele noch einmal an ihr diesjähriges Zentralthema zu erinnern – ist er noch nicht, aber man kann ihn wohl eine lebende Legende nennen. Eine Legende, deren Strahlkraft zuletzt umschattet war: Einige Konzerte Plácido Domingos in den USA wurden nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung abgesagt. Präsidentin Helga Rabl-Stadler hielt nach dem Prinzip „In dubio pro reo“an der Mitwirkung des einstigen Startenors bei den Festspielen fest, und das Publikum begrüßte den 78-Jährigen beim gemeinsamen Auftritt mit den Solistenkollegen
zur konzertanten Aufführung von Luisa Miller demonstrativ mit langem stehendem Beifall. Der Künstler war gerührt.
Standing Ovations gab’s am Schluss gleich noch mal, als Verdis musiktheatralische Umsetzung von Kabale und Liebe, Schillers Match zwischen Adel und Bürgertum, zum tragischen Ende gefunden hatte. Zumeist recht wacker, zuweilen etwas wackelig hatte das Mozarteumorchester Salzburg unter der energischen Leitung von James Conlon den Dreiakter interpretiert, die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Einstudierung: Huw Rhys James) hatte ab dem zweiten Akt zu Lebendigkeit und Flexibilität gefunden. John Relyea lieh dem Sekretär Wurm, dieser Intrigen spinnenden Giftschlange, fast zu königlich-noble, mächtige Töne; Roberto Tagliavini transportierte als Graf Walter Noblesse und Kraft überzeugend, aber auf etwas eintönige Weise.
Von edlem Glanz und gesanglichem Adel war Yulia Matochkinas Federica, die Herzogin von Ostheim. Piotr Beczala schonte sich als Rodolfo nicht, wagte erfolgreich ein hohes C, setzte aber einen Tick zu ausgiebig auf die Demonstration seiner vokalen Potenz.
Das heißblütigste Rennpferd im Solistenstall war jedoch Nino Machaidze. Die Georgierin bot in der Titelpartie in jedem Moment große Oper, also Theatralik und Intensität. Ihr hochtouriger, großkalibriger, vibratofreudiger Sopran, in der Mittellage etwas blechern, zeigte sich im hohen Register fokussiert, biegsam, agil und treffsicher. Nie war das Bürgertum divaesker, raubkatzenhafter. Eine Kunstgewalt!
Und Domingo? Fesselte auch also Bariton zumeist mit seinem virilen Timbre, schummelte sich aber auch immer wieder recht kurzatmig durch die Partie von Luisas Vater, die er noch nicht komplett verinnerlicht zu haben schien. Legendendämmerung also im Großen Festspielhaus, mit heller Begeisterung beklatscht.