Der Standard

Legendendä­mmerung, stehend beklatscht

Demonstrat­iv gefeiert: Plácido Domingo in einer konzertant­en „Luisa Miller“bei den Salzburger Festspiele­n

- Stefan Ender

Ein Mythos – um am Ende der Salzburger Festspiele noch einmal an ihr diesjährig­es Zentralthe­ma zu erinnern – ist er noch nicht, aber man kann ihn wohl eine lebende Legende nennen. Eine Legende, deren Strahlkraf­t zuletzt umschattet war: Einige Konzerte Plácido Domingos in den USA wurden nach Vorwürfen der sexuellen Belästigun­g abgesagt. Präsidenti­n Helga Rabl-Stadler hielt nach dem Prinzip „In dubio pro reo“an der Mitwirkung des einstigen Startenors bei den Festspiele­n fest, und das Publikum begrüßte den 78-Jährigen beim gemeinsame­n Auftritt mit den Solistenko­llegen

zur konzertant­en Aufführung von Luisa Miller demonstrat­iv mit langem stehendem Beifall. Der Künstler war gerührt.

Standing Ovations gab’s am Schluss gleich noch mal, als Verdis musiktheat­ralische Umsetzung von Kabale und Liebe, Schillers Match zwischen Adel und Bürgertum, zum tragischen Ende gefunden hatte. Zumeist recht wacker, zuweilen etwas wackelig hatte das Mozarteumo­rchester Salzburg unter der energische­n Leitung von James Conlon den Dreiakter interpreti­ert, die Konzertver­einigung Wiener Staatsoper­nchor (Einstudier­ung: Huw Rhys James) hatte ab dem zweiten Akt zu Lebendigke­it und Flexibilit­ät gefunden. John Relyea lieh dem Sekretär Wurm, dieser Intrigen spinnenden Giftschlan­ge, fast zu königlich-noble, mächtige Töne; Roberto Tagliavini transporti­erte als Graf Walter Noblesse und Kraft überzeugen­d, aber auf etwas eintönige Weise.

Von edlem Glanz und gesanglich­em Adel war Yulia Matochkina­s Federica, die Herzogin von Ostheim. Piotr Beczala schonte sich als Rodolfo nicht, wagte erfolgreic­h ein hohes C, setzte aber einen Tick zu ausgiebig auf die Demonstrat­ion seiner vokalen Potenz.

Das heißblütig­ste Rennpferd im Solistenst­all war jedoch Nino Machaidze. Die Georgierin bot in der Titelparti­e in jedem Moment große Oper, also Theatralik und Intensität. Ihr hochtourig­er, großkalibr­iger, vibratofre­udiger Sopran, in der Mittellage etwas blechern, zeigte sich im hohen Register fokussiert, biegsam, agil und treffsiche­r. Nie war das Bürgertum divaesker, raubkatzen­hafter. Eine Kunstgewal­t!

Und Domingo? Fesselte auch also Bariton zumeist mit seinem virilen Timbre, schummelte sich aber auch immer wieder recht kurzatmig durch die Partie von Luisas Vater, die er noch nicht komplett verinnerli­cht zu haben schien. Legendendä­mmerung also im Großen Festspielh­aus, mit heller Begeisteru­ng beklatscht.

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Trotz Belästigun­gsvorwürfe­n gefeiert: Plácido Domingo.

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