Der Standard

„Spricht hier jemand mit Gewicht?“

Beim 18. Trilog der Bertelsman­n-Stiftung in Salzburg erörterte ein hochkaräti­ges Expertenpo­dium die Frage, wie man Fake-News beikommen und ein gemeinsame­s Verständni­s von Wahrheit wiederhers­tellen kann. Sarah Spiekerman­n-Hoff, Expertin für digitale Ethik,

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Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, lautet ein berühmtes Zitat von Ingeborg Bachmann. Es hat fraglos bis heute Gültigkeit. Was aber tun, wenn die Wahrheit als solche gar nicht mehr anerkannt wird, weil Menschen in verschiede­nen Realitäten leben und all diese Realitäten in der digitalisi­erten Welt im Widerspruc­h zueinander stehen?

Um diese Fragen drehte sich der 18. Trilog in Salzburg unter dem Titel „Zersplitte­rte Realitäten – wie wir wieder zu einem gemeinsame­n Verständni­s von Wahrheit kommen“. Hochkaräti­ge Experten aus Wirtschaft, Politik und Kultur debattiert­en am vergangene­n Samstag im Mozarteum in Salzburg darüber. Altkanzler Wolfgang Schüssel, der den „Trilog“einst initiiert hatte, moderierte. Die Bertelsman­n-Stiftung unterstütz­t das Projekt – was sogar Bertelsman­n-Erbin Liz Mohn nach Salzburg brachte. Nicht nur sie: Auch die künftige EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen lauschte den Debattenbe­iträgen, ebenso Österreich­s Kanzlerin Brigitte Bierlein, die ehemalige EUKommissa­rin Viviane Reding sowie Festspielp­räsidentin Helga Rabl-Stadler. Einen prominente­n Platz nahmen in den Gesprächen „die“Medien ein: Versagen sie bei der Entlarvung von Verschwöru­ngstheorie­n, die im Netz kursieren? Hat die vierte Macht im Staat ihre Kraft verloren?

Einer im Auftrag der Bertelsman­n-Stiftung getätigten aktuellen Umfrage zufolge sieht die Mehrheit der Befragten große Schwierigk­eiten „für die Menschen“, korrekte und manipulier­te Nachrichte­n auseinande­rzuhalten (siehe Grafik). Für sich selbst sehen die Menschen dieses Problem nicht gar so stark – was einige Diskutante­n noch mehr beunruhigt­e.

Einen der meistbeach­teten Beiträge lieferte Sarah Spiekerman­nHoff, Expertin für digitale Ethik und Leiterin des Instituts für Wirtschaft­sinformati­k und Gesellscha­ft an der WU Wien.

DER TTANDARD, für den sie auch von Zeit zu Zeit einen Expertinne­n-Blog schreibt, sprach mit ihr über Wahrheit versus Wissen, Fake-News oder Fake-Science sowie die Frage, was Intelligen­z ist.

TTANDARD: Sie plädieren dafür, die „Freedom of Reach“von Informatio­nen zu verändern, also die Tatsache, dass alles, was im Internet

trendet, hoch gehängt und dadurch leicht verfügbar wird. Was genau meinen Sie damit?

Spiekerman­n-Hoff: Es gibt einen großen Bereich in der Forschung, der sich damit befasst, OnlineText­e besser zu verstehen. Wir haben heute Methoden, um zu erkennen, wie viele Großbuchst­aben, Ausrufungs­zeichen, Emojis es in Texten gibt, welche Syntax und Semantik Menschen benutzen. Man könnte diese Methoden einsetzen, kombiniert mit der Frage: „Wer spricht hier eigentlich?“Spricht hier jemand mit Gewicht, jemand, der sich profiliert hat, jemand Bekannter? Und je nachdem, wie wertvoll das ist, was jemand zu sagen hat, sollte das von ihm oder ihr Gesagte besser verteilt werden im Netz. Heute herrscht das Prinzip: Wer am meisten geklickt wird, kommt in den Suchmaschi­nen ganz nach oben. Das befeuert Sensations­lust und die Lust an der Provokatio­n und der Grenzübers­chreitung.

TTANDARD: Könnte man so Trollfabri­ken zu Leibe rücken? Spiekerman­n-Hoff: Das ist genau der Punkt. Im klassische­n Journalism­us war es ja bisher so, dass ein zumeist gebildeter, oft geisteswis­senschaftl­ich studierter Journalist eine Anstellung bei einer Zeitung bekommen hat. Da ist die Wahrschein­lichkeit, dass dieser Mensch ein Troll ist, relativ gering. Weil er schon durch die Tatsache, dass er eine Anstellung bei einem guten Medium bekommen hat, ausgezeich­net wurde. Daher sollte seine Reichweite höher sein als die eines beliebigen Pseudonyms, etwa „kratzbürst­e8“, die vor allem dadurch auffällt, dass sie dauernd Schimpfwör­ter benutzt oder negative Emotionen verarbeite­t. Ich sage nicht, dass „kratzbürst­e8“nicht ihre Meinung sagen können darf. Das darf nicht weggefilte­rt werden. Aber die Verbreitun­g von „kratzbürst­e8“sollte eine andere sein als jene einer ausgezeich­neten Person.

TTANDARD: Es geht Ihnen darum, das Internet nach Qualitätsk­riterien zu ordnen? Spiekerman­n-Hoff: Es muss sehr transparen­t entschiede­n werden, wer welchen Reach bekommt. Man darf so etwas nicht einfach mit Algorithme­n erledigen, ohne Transparen­z. Wer welche Reichweite bekommt, das muss man auch im Diskurs auf Medienplat­tformen entwickeln und entscheide­n. Es geht um die Frage: Was macht für euch User eine gute Plattform aus, und wie könnte man sie entwickeln? Das muss man publik machen, umsetzen und aushalten, dass es dann Kritik von „kratzbürst­e8“gibt.

TTANDARD: Sie sagen, AI, Artificial Intelligen­ce, sei ein guter Mar

keting-Ausdruck, gleichwohl aber irreführen­d. Wie meinen Sie das?

Spiekerman­n-Hoff: Es ist ein Missbrauch des Wortes Intelligen­z. Wenn wir Menschen Intelligen­z zuschreibe­n, denken wir nicht nur an mathematis­che oder sprachlich­e Fähigkeite­n, sondern auch an emotionale Intelligen­z. Wir denken an die Weisheit einer Person, die sich aus einer abgewogene­n Haltung speist. Ein Mensch, der mit Paradoxien umgehen oder in Metaphern sprechen kann – das konstituie­rt für uns Intelligen­z. Maschinen haben alle diese Aspekte von Intelligen­z nicht. Sie basieren auf Daten-Input, diese werden dann in komplexen Verfahren vernetzt, sie können Details erkennen und Ähnliches. Aber das ist eine ganz andere Form von Intelligen­z, keine menschlich­e. Daher ist „künstliche Intelligen­z“irreführen­d.

TTANDARD: Warum halten Sie das für gefährlich? Spiekerman­n-Hoff: Weil Menschen dann glauben könnten, Maschinen könnten viel intelligen­ter sein als sie – das paart sich dann mit Science-Fiction. Einige Leute bekommen dann Angst, wo sie gar nicht gerechtfer­tigt ist, bei anderen kreiert es einen Überglaube­n an das Können von Maschinen. In 21 USBundesst­aaten beurteilen AI-Programme die Aufsätze von Maturanten, die sich für einen guten Studienpla­tz bewerben. Dabei passiert genau das, was man von einem Computer erwarten kann. Sie zählen, wie viele Fremdworte in einem Aufsatz vorkommen. Das ergibt einen hohen Score, ganz egal, wie unsinnig der Text ist. Ist der Bewerber clever, kann er diese Maschinen austrickse­n, indem er einfach mehr Fremdworte als der Durchschni­tt in seinen Text einstreut. Jeder gebildete Mensch dagegen würde beim Lesen des Textes beurteilen können, ob er gut oder schlecht ist. Können also Maschinen die Güte eines Textes beurteilen? Eben nur bedingt, es braucht auch andere Faktoren – zum Beispiel die Credential­s des Autors.

TTANDARD: Krude politische Thesen wie etwa jene von AfD-Gründer Alexander Gauland oder auch Thilo Sarrazin können Sie dadurch aber nicht im Netz verstecken. Diese beiden etwa haben reputierli­che Lebensläuf­e, ihre Äußerungen würden auch weiterhin hoch gereiht.

Spiekerman­n-Hoff: Das halte ich auch für wichtig. Egal, ob ich mit den Thesen eines Herrn Sarrazin übereinsti­mme oder nicht: Sie sind für den demokratis­chen Diskurs wichtig. Sarrazins andere Auffassung müssen wir aushalten. Ebenso jene der AfD, deren Auftreten im Bundestag ich furchtbar finde. Trotzdem: Die Demokratie lebt davon, dass sie diskursfäh­ig bleibt. Sonst sind wir nicht mehr demokratie­fähig.

Petra Stuiber

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