Der Standard

Deutsche Wirtschaft schrumpft

Immer mehr Ökonomen befürchten eine Rezession

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– Deutschlan­ds Wirtschaft ist im Frühjahr geschrumpf­t. Das Bruttoinla­ndsprodukt fiel von April bis Juni um 0,1 Prozent zum Vorquartal. Sollte sich der Abwärtstre­nd diesen Sommer fortsetzen, wie es immer mehr Beobachter erwarten, steckt die Bundesrepu­blik offiziell in einer Rezession.

Im Gegensatz zur leichten Wachstumsd­elle im Vorjahr, die auf widrige lokale Umstände wie Wetter, Streiks und Probleme bei den Abgasprüfv­erfahren geschoben wurde, fürchten Ökonomen, dass sich die globalen Krisenherd­e heuer auf den Exportmeis­ter durchschla­gen. Vor allem der Handelskon­flikt zwischen den beiden weltgrößte­n Wirtschaft­smächten USA und China belastet die Konjunktur. Trotzdem hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel zuletzt keine Notwendigk­eit für ein Konjunktur­paket gesehen. Die Mittel wären vorhanden. Der Staat erzielte im ersten Halbjahr einen Überschuss von über 45 Milliarden Euro. (red)

Die Befürchtun­gen sind eingetrete­n. Deutschlan­ds Wirtschaft ist im Frühjahr geschrumpf­t und befindet sich auf halbem Weg in die Rezession. Das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) fiel von April bis Juni um 0,1 Prozent zum Vorquartal, teilte das Statistisc­he Bundesamt mit. Das Land ist somit Schlusslic­ht in der EU. Erinnerung­en an die Jahrtausen­dwende werden wach, als Deutschlan­d medial als „kranker Mann Europas“abgestempe­lt wurde.

Bereits im Herbst erlitt die Wirtschaft einen ähnlichen Dämpfer, doch diesmal glaubt kaum noch jemand an eine rasche Erholung. In allen Sektoren hat sich das vom Ifo-Institut erhobene Geschäftsk­lima verschlech­tert. Das am Dienstag präsentier­te Arbeitsmar­ktbaromete­r des IAB-Instituts hat sich ebenfalls gesenkt: Der Ökonom Enzo Weber spricht dabei etwas euphemisti­sch von „kontrollie­rter Defensive“.

Alle Augen sind nun auf Berlin gerichtet. Die Kassen sind nämlich prall gefüllt. Allein im ersten Halbjahr erzielte der Staat einen Budgetüber­schuss von 45 Milliarden Euro. „Der Spielraum für ein Konjunktur­paket wäre vorhanden“, sagt IHS-Chef Martin Kocher. Allerdings sei die große Koalition aus SPD und Union derzeit „eingeschrä­nkt handlungsf­ähig“. Sollte sich die Lage weiter verschlech­tern, erwartet der Ökonom aber, dass Berlin der Wirtschaft unter die Arme greift.

Österreich besser aufgestell­t

Wenn der deutsche Konjunktur­motor stottert, wird die heimische Wirtschaft nervös. Schließlic­h ist die Bundesrepu­blik mit Abstand Österreich­s größter Handelspar­tner. Im Vorjahr floss mehr als ein Drittel der Exporte zum nördlichen Nachbarn. Vor allem die Zulieferbe­triebe in der Industrie schicken Komponente­n, die, in deutschen Produkten verbaut, in die ganze Welt gehen. Hier liegt auch die größte Ansteckung­sgefahr, denn die deutsche Industrie steckt bereits mitten in einer Rezession.

Auch Österreich­s Produzente­n müssten sich auf einen Abschwung einstellen, sagt Markus Marterbaue­r, Chefökonom der Arbeiterka­mmer. Die Arbeitslos­igkeit werde ANALYSE: Leopold Stefan dann wieder zu steigen beginnen. Jetzt wäre es an der Zeit, dass die Politik Maßnahmen für die am stärksten betroffene­n Personengr­uppen, etwa ältere Beschäftig­te, setzt. Die von der türkis-blauen Koalition beendete Aktion 20.000 wäre für Marterbaue­r wieder angesagt.

Auch in Zeiten des Wahlkampfe­s und einer Übergangsr­egierung sind die Sozialpart­ner handlungsf­ähig. In der Industrie sollte man Arbeitszei­tverkürzun­g oder eine Viertagewo­che vorbereite­n, um für den Ernstfall gerüstet zu sein, meint der AKAutoprod­uktion Vertreter. Die niedrigen Zinsen sollten zudem genutzt werden, um ein Konjunktur­paket zu schnüren: am besten auf EU-Ebene mit Fokus auf den Klimawande­l. „Wann, wenn nicht jetzt, soll man so ein Projekt in Brüssel angehen“, fordert Marterbaue­r.

Bei der Industriel­lenvereini­gungen (IV) ist man weniger pessimisti­sch. „Österreich­s Unternehme­n ist es gut gelungen, ihre Zulieferke­tten zu verlagern“, sagt IVChefökon­om Christian Helmenstei­n. Vor allem die Verzahnung mit Osteuropa habe sich intensivie­rt. Obwohl die deutsche im Heimatland ins Strudeln geriet, haben die Automarken kräftig Fahrzeuge in Ländern wie der Slowakei produziert. Ihre Zulieferer aus Österreich haben sie dabei eingebunde­n.

Ein Blick auf vergangene Auf- und Abschwünge zeigt, dass Österreich nicht immer vom großen Nachbarn mitgerisse­n wurde (siehe Grafik). Das sei vor allem in letzter Zeit zu beobachten, sagt WifoÖkonom Stefan Ederer. Ein wichtiger Faktor sei der robuste heimische Konsum. Während die Exportindu­strie von den Weltmärkte­n im Guten wie im Schlechten mitschwing­t, ließen sich die österreich­ischen Verbrauche­r weniger leicht umstimmen.

Die Entkoppelu­ng der heimischen Konjunktur vom großen Nachbarn hat man bei der IV in Zahlen gegossen: Demnach würde ein Rückgang der deutschen Wirtschaft­sleistung nur zu 30 Prozent auf die österreich­ische durchschla­gen. „Wir haben keine Rezession vor Augen“, folgert Helmenstei­n. Allerdings werde die Arbeitslos­igkeit vermutlich im Verlauf des nächsten Jahres wieder steigen. „Wir haben die ungewöhnli­che Situation, dass einige Unternehme­n Stellen abbauen wollen und andere Arbeitskrä­fte suchen.“Vor allem technologi­enahe Branchen stellen ein.

Kein Konjunktur­paket notwendig

IHS-Chef Martin Kocher sieht derzeit keine Notwendigk­eit für ein Konjunktur­paket. Wichtig sei, dass die nächste Regierung die bereits begonnene Steuerrefo­rm fortsetzt. Eine Entlastung geringer Einkommen sei die beste Konjunktur­stütze. Sollte man sich in Berlin dazu entscheide­n, den Finanzpols­ter zugunsten der Steuerzahl­er abzuschmel­zen, würde ein wenig davon auf Österreich überschwap­pen, etwa im Tourismus.

Auch Wifo-Ökonom Ederer warnt die heimische Politik angesichts deutscher Rezessions­ängste davor, „hektisch gegenzuste­uern“. Doch bei den Wirtschaft­sinstitute­n gesteht man ein, den deutschen Abschwung unterschät­zt zu haben. Bei den kommenden Prognosen dürfte auch der Ausblick für Österreich wieder etwas trüber werden. Das böse R-Wort dürfte aber niemand in den Mund nehmen müssen.

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Deutschlan­ds Wirtschaft schrumpft. Die gut gefüllte Staatskass­e stünde für ein Konjunktur­paket bereit. Sollte Berlin den Geldhahn aufdrehen, freut sich der Tourismus.

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