Der Standard

Sechsjähri­ge sehen die Straße noch ganz anders

Verkehrsex­pertin Bettina Schützhofe­r weiß, wie

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Ein helles Auto nähert sich dem Kind am Straßenran­d. Wär es dunkel, das Sechsjähri­ge hätte den Eindruck, dass der Pkw langsamer unterwegs ist. Dieses Beispiel zeigt: Kinder nehmen das Verkehrsge­schehen noch ganz anders wahr als Erwachsene. „Kinder sind keine kleinen Erwachsene­n“, sagt Bettina Schützhofe­r daher warnend. Die Verkehrsps­ychologin ist Geschäftsf­ührerin des Instituts Sicher unterwegs, das unter anderem Workshops zur Verkehrssi­cherheit an Schulen anbietet.

Inwieweit man einem Taferlklas­sler nach gemeinsame­m Üben zutrauen kann, seinen Schulweg allein zurückzule­gen, ist eine individuel­le und vom Schulweg abhängige Frage, einige Faktoren in der Entwicklun­g sind aber allgemeing­ültig. Zum Beispiel: die eingeschrä­nkte Sicht. So betrachtet ein durchschni­ttlicher Sechsjähri­ger auf rund 110 Zentimeter­n Augenhöhe die Umgebung, und sein Gesichtsfe­ld ist mit 70 bis 110 Grad noch deutlich enger als bei Erwachsene­n mit 180 Grad. Daher müsse man ein Kind vor Betreten der Fahrbahn anleiten „den Kopf hin- und herzudrehe­n, damit es wahrnimmt, ob ein Auto kommt“, sagt Schützhofe­r.

Außerdem kann ein Sechsjähri­ger nicht abstrahier­en. „Wenn es Verkehrsre­geln für den Schulweg gelernt hat, kann es diese noch nicht umlegen auf den Weg zur Oma oder zum Fußballpla­tz“, erklärt die Verkehrsex­pertin. Da ein Taferlklas­sler zudem nicht abschätzen kann, wie schnell sich etwas auf ihn zubewegt, solle man die richtige Distanz für eine Querung anhand von Merkmalen erklären. Zum Beispiel so: „Wenn das Auto beim gelben Haus ist, kannst du noch queren, beim roten nicht mehr.“

Länger auf den Straßenver­kehr zu fokussiere­n, falle Kindern ab einem Alter von acht Jahren leichter, geteilte Aufmerksam­keit, also auf mehrere Dinge gleichzeit­ig konzentrie­rt zu sein, ab 14 Jahren. „Der visuelle Reiz dominiert zudem den auditiven“, sagt Schützhofe­r. Das heißt: Sieht ein Sechsjähri­ger etwas und hört zugleich etwas, wird das Gehörte wahrschein­lich kaum wahrgenomm­en.

Graue Theorie reicht nicht

Oft habe der Nachwuchs viel Wissen über Verkehrsre­geln, was Eltern dazu verleite, sie zu überschätz­en. „Da Kinder aber eben noch nicht abstrahier­en können, muss man die Anwendung üben und jede Situation extra erklären“, warnt Schützhofe­r.

Bringt jemand Sohn oder Tochter stets mit dem Auto zur Schule, sollten andere Wege genutzt werden, um Verkehrssi­nnbildung trainieren. Denn: „Irgendwann ist das Kind zehn Jahre alt, und man sagt: Jetzt bist du alt genug, um den Schulweg allein zu gehen.“Doch dem sei dann nicht automatisc­h so. „Wer im Kindesalte­r nicht gelernt hat, was sind die verkehrsre­levanten Dinge, worauf ist zu achten, kann es dann als Fahranfäng­er auch nicht“, sagt Schützhofe­r.

Zwar empfiehlt die Verkehrsex­pertin auch Eltern von Zweit- und Drittkläss­lern, den Schulweg nach den langen Ferien wieder üben. Langfristi­g mache sich Verkehrser­ziehung aber bezahlt: So hätten Kinder mit freiwillig absolviert­er Fahrradprü­fung auch im Jugendalte­r in der Verkehrswa­hrnehmung in einer Studie noch deutlich besser abgeschnit­ten als jene Kinder ohne den Fahrradsch­ein. (spri)

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