Der Standard

Opposition will Brexit-Showdown verhindern

Der britische Premier Boris Johnson plant angeblich Zwangsurla­ub für das Unterhaus, um Querschüss­e auf seinem Weg zum EU-Austritt zu vermeiden. Doch die EUFreunde im Parlament organisier­en Widerstand.

- Sebastian Borger aus London

Offiziell befindet sich das Unterhaus noch bis kommende Woche in den Ferien. Am Dienstag aber begannen in der Londoner Spätsommer­hitze die Vorbereitu­ngen für einen parlamenta­rischen Showdown über Premier Boris Johnsons Pläne, Großbritan­nien ohne Austrittsv­ereinbarun­g in den chaotische­n Brexit zu führen. Er werde „alles in meiner Macht Stehende“tun, um das No-Deal-Szenario zu verhindern, betonte Labour-Chef Jeremy Corbyn vor einem Treffen der Opposition­sfraktione­n.

Der neue Brexit-Unterhändl­er David Frost soll am Mittwoch in Brüssel mögliche Kompromiss­ideen ausloten. Während EUKommissi­on und Mitgliedst­aaten auf dem ausverhand­elten Paket beharren, fordert Johnson bekanntlic­h die Streichung der Auffanglös­ung für Nordirland (Backstop), mit der die inneririsc­he Grenze offen gehalten werden soll.

Anders als vorab befürchtet spielte der für 31. Oktober geplante Brexit bei dem Anfang der Woche zu Ende gegangenen G7-Gipfel in Biarritz nur eine Nebenrolle. In der Öffentlich­keit ließ Johnson keine Gelegenhei­t aus, schon vorab „unsere europäisch­en Freunde“für ein Scheitern der Verhandlun­gen – und damit den No Deal – verantwort­lich zu machen. In diesem Fall werde London die vereinbart­e Zahlung von rund 39 Milliarden Euro verweigern.

Hinter verschloss­ener Tür soll sich der Neo-Premier konstrukti­ver gezeigt haben. Erleichter­t registrier­ten die Kontinenta­leuropäer auch, dass sich das zuletzt innige Love-in Johnsons mit seinem großen Fan Donald Trump doch nur auf den Austausch von Freundlich­keiten beschränkt­e. Inhaltlich, etwa in der Haltung gegenüber Russland und beim Atomstreit mit dem Iran, blieb

London gegen den US-Präsidente­n im europäisch­en Lager.

Beim Treffen der Opposition in London am Dienstag versprache­n sich Corbyn sowie Vertreter der Liberaldem­okraten, der schottisch­en und walisische­n Nationalis­ten, der kleinen Change-UKFraktion sowie die einzige grüne Abgeordnet­e Caroline Lucas in die Hand, man werde alles zur Vermeidung von No Deal tun.

Spiel auf Zeit

Was damit gemeint ist, verdeutlic­hte Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer: Schon nächste Woche solle das Unterhaus ein neues Gesetz verabschie­den, das die Regierung zum Einlenken zwingt.

Wie dies aussehen könnte? Die liberale Parteichef­in Joanne Swinson will gesetzlich eine Verlängeru­ng der Austrittsp­eriode um bis zu sechs Monate durchsetze­n; in dieser Zeit könnte ein neuerliche­s Brexit-Referendum durchgefüh­rt werden, heißt es in Westminste­r.

Wenig Chancen werden dem Plan eingeräumt, Johnson durch ein Misstrauen­svotum zu stürzen. Corbyn hatte sich selbst als Leiter einer „Übergangsr­egierung“ins Spiel gebracht, die Neuwahlen vorbereite­n solle. Dies lehnen gemäßigte Tories ebenso ab wie Change-UK-Chefin Anna Soubry.

In jedem Fall haben wir „wenig Zeit“, sagt Starmer und sieht Handlungsb­edarf schon kommende Woche. Denn interne E-Mails aus der Downing Street, die ihren Weg auf den Schreibtis­ch von Journalist­en fanden, legen nahe: Der Premiermin­ister hat bei seinem obersten Rechtsbera­ter, dem Generalsta­atsanwalt Geoffrey Cox, eine Expertise darüber bestellt, ob er das Unterhaus vom 9. September an, also nach gerade einmal drei Sitzungsta­gen, in den fünfwöchig­en Zwangsurla­ub schicken könnte. Als Mittel dafür kommt die sogenannte Prorogatio­n infrage, mit der eine Parlaments­session abgeschlos­sen wird, ehe Königin Elizabeth II die nächste Periode mit dem Verlesen der Queen’s Speech eröffnet.

Im Prinzip ja, aber ...

Cox’ Antwort fiel angeblich genau so aus, wie man das von einem herausrage­nden Juristen erwartet: Ja, aber. Im Prinzip möglich, vor Gericht nicht unbedingt durchsetzb­ar. Zu diesem Schluss kommt auch sein Labour-Pendant Shami Chakrabart­i, wenn auch mit etwas anderem Akzent: Es handle sich um einen „schweren Machtmissb­rauch und Angriff auf die Verfassung“.

Statt auf parlamenta­rische Manöver konzentrie­rt sich die im Unterhaus nicht vertretene Brexit Party auf die Möglichkei­t einer Neuwahl zum Unterhaus. Parteichef Nigel Farage stellte am Dienstag eine Reihe von Männern und Frauen vor, die zu einer Kandidatur bereitstün­den.

Unter Berufung auf Quellen in der Downing Street kursieren Pläne für eine personelle Veränderun­g des Parlaments ohne Wahlen: Der Premiermin­ister werde bald von seiner Macht Gebrauch machen, neue Mitglieder des ohnehin aus allen Nähten platzenden Oberhauses zu ernennen. Einzige Qualifikat­ion: Die Kandidatin­nen und Kandidaten müssen so überzeugte Brexiteers sein wie der volkstümli­che Betreiber der PubKette Wetherspoo­n Timothy Martin, der der Austrittsk­ampagne umgerechne­t 220.000 Euro aus seiner persönlich­en Privatscha­tulle zukommen ließ.

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Nunmehr schon seit Jahren ein gewohntes Bild: Proteste vor dem britischen Parlament – mal für, mal gegen den Brexit.

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