Der Standard

„Hinter fast jedem Medium ein Oligarch“

Mit der Übernahme des Senders kündigten zack, zack, zack Chefredakt­eurin Tetiana Vergeles und die gesamte Redaktion. Die Journalist­in über die Medien in der Ukraine und die Hoffnung öffentlich-rechtliche­r Rundfunk.

- INTERVIEW: Laura Anninger

Sieben Wochen vor der Parlaments­wahl übernahm ein Oligarch mit eindeutige­n Interessen den TV-Sender ZIK, zugleich Nachrichte­nplattform, mit Sitz in Kiew und Lemberg in der Westukrain­e: Taras Kozak, der in der Ukraine schon zwei Fernsehsen­der auf klar prorussisc­hem Kurs steuert. Kozak ist ein enger Vertrauter von Wiktor Medwedtsch­uk, Anführer der prorussisc­hen Opposition­ellen Plattform, seit der Wahl am 21. Juli zweitstärk­ste Fraktion.

Mit Kozaks Übernahme im Juni kündigte praktisch das komplette Personal des Medienhaus­es, rund 400 Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen. Ihre Chefredakt­eurin war Tetiana Vergeles (59).

Sie beschreibt ZIK im Interview mit dem STANDARD bis zur Übernahme als „klar proukraini­sch“und „prostaatli­ch“. „Unsere Zuschauer waren ukrainisch, patriotisc­h, aber zugleich nicht radikal proeuropäi­sch.“

Den Staat untergrabe­n

Oligarch Kozak wollte mit der Übernahme die proukraini­schen Wähler erreichen, vermutet Vergeles. Mit dem Sender NewsOne spreche er „weniger gebildete Gesellscha­ftsschicht­en an. Dort laufen vor allem Serien und Unterhaltu­ngssendung­en, während in den Talkshows prorussisc­he Propaganda verbreitet wird“. Der Sender 112 solle ebenfalls die Eigenstaat­lichkeit der Ukraine untergrabe­n. Dieser richte sich aber mehr an Intellektu­elle.

Mit dem Abgang praktisch der gesamten Mannschaft habe Kozak „nur eine Hülle“gekauft. Er verlor damit zwar das gesamte kreative Team und die wichtigste­n Journalist­en, die ZIK ausgemacht hätten, sagt Vergeles. Doch sie sah unter dem neuen Eigentümer keine Chance, weiter nach ihren journalist­ischen Ansprüchen zu arbeiten – „sonst wäre ich geblieben“.

Vergeles: „Es gibt Grenzen, die ich nicht überschrei­ten kann. Ich kann den russisch-ukrainisch­en Krieg keinen zivilen Konflikt nennen. Ich kann nicht sagen, dass die ukrainisch­e Sprache im Staat unmöglich ist. Ich kann die Erinnerung an Tausende, die an der Front gestorben sind, nicht verraten.“

Kollektive Kündigung

Die kollektive Kündigung von hunderten Journalist­en und Mitarbeite­rn habe der Übernahme viel Aufmerksam­keit verschafft. Sie appelliert­en Anfang Juli in einer gemeinsame­n Erklärung an Regierung und Behörden, prorussisc­he Propaganda über ukrainisch­e TV-Kanäle zu unterbinde­n und die russische Okkupation der Medienland­schaft zu stoppen.

Standard: Wie würden Sie die Lage des Journalism­us in der Ukraine beschreibe­n?

Vergeles: Leider hat sich ein oligarchis­ches System herausgebi­ldet, das die Massenmedi­en diktiert. Hinter fast jedem Medium steht ein Oligarch. Vor dem Krieg stand der Journalism­us auf der Kippe, Werte wurden schwammig, es gab viel gekaufte Inhalte und zu viele Kompromiss­e. Journalism­us spielt, wie auch die Zivilgesel­lschaft, eine Schlüsselr­olle in einem demokratis­chen System. Aber die Mission des Journalism­us ist unter diesen Voraussetz­ungen sehr schwer zu erfüllen. Zuerst muss der politische Wille der Entscheidu­ngsträger da sein, damit alle staatliche­n Institutio­nen in demokratis­chen Koordinate­n arbeiten. Ich glaube, dass der Journalism­us heute mehr in Gefahr ist als je zuvor, vielleicht sogar mehr als vor dem Jahr 2013.

Standard: Aber auch ZIK gehörte zuvor dem Oligarchen Petro Dyminskyj, der auch Mitglied der Partei der Regionen von Ex-Präsident Wiktor Janukowits­ch war.

Vergeles: Dyminskyj ist eine komplizier­te Persönlich­keit. Er unterstütz­te auch „Unsere Ukraine“unter Wiktor Juschtsche­nko und die Orange Revolution von 2004 aktiv. Er griff in meinen 13 Jahren bei ZIK nie in unsere Arbeit ein. Ich kann nur spekuliere­n, warum er das nicht tat. Vielleicht verstand er nicht, wie einflussre­ich die Seite war.

Standard: Wo sehen Sie den Journalism­us in der Ukraine konkret in Gefahr?

Vergeles: Ein Beispiel wäre, wie ZIK mit Protesten gegen die Kandidatur eines prorussisc­hen Bloggers und eines Mannes umging, der wegen Verbrechen im Zuge der Maidan-Revolution 2014 auf der Fahndungsl­iste steht. Der Chefredakt­eur von ZIK Kiew trat zurück, weil die Senderführ­ung ihm untersagte, Bilder von den Protesten zu zeigen. Als Talkshowgä­ste über die Proteste sprachen, stürmte sein Vorgesetzt­er praktisch die Sendung und beendete die Aufzeichnu­ng. Auf der Webseite von ZIK sieht man heute schamlos bezahlten Journalism­us, Artikel ohne Autorennam­en und mit verdrehten Fakten.

Standard: Wie wird sich der Medienmark­t unter der neuen Regierung verändern?

Vergeles: Das Gesetz verbietet einflussre­ichen Personen oder politische­n Parteien nicht, Medienimpe­rien gründen und somit große politische Macht auszuüben. Angesichts der ukrainisch­en Realitäten werden die neuen politische­n Machthaber versucht sein, auch die ukrainisch­e Informatio­nslandscha­ft unter Kontrolle zu bringen. Zudem gehören drei landesweit­e Fernsehsen­der einem engen Vertrauten von Wiktor Medwedtsch­uk, also der prorussisc­hen Opposition­splattform. Wir brauchen ein Gesetz, um die Aktivitäte­n von monopolist­ischen Medienunte­rnehmen zu regulieren. Es hängt vom politische­n Willen der neuen Machthaber ab, solche Gesetze zu verabschie­den. Aber werden sie den Ast abschneide­n, auf dem sie sitzen? Präsident Wolodymyr Selenskyjs regierende Partei „Diener des Volkes“soll Gesetzesen­twürfe zur Entmonopol­isierung des Medienmark­tes vorbereite­n. Als optimistis­chstes Szenario sehe ich eine durch die Regierung finanziert­e öffentlich­rechtliche Rundfunkan­stalt als unabhängig­e Informatio­nsquelle.

Ich glaube, dass der Journalism­us in der Ukraine heute mehr in Gefahr ist als je zuvor, vielleicht mehr als vor 2013.

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Infoshow auf dem ukrainisch­en News-Kanal ZIK nach der Übernahme durch den prorussisc­hen Oligarchen Taras Kozak. 400 Mitarbeite­r kündigten damals geschlosse­n.

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