Der Standard

Der Mythos der Trümmerfra­uen

80 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs feiert das FPÖ-initiierte Denkmal in Wien kriegsverl­ängernde Leistungen, macht Naziopfer unsichtbar und beschwört macho-rassistisc­he Bedrohungs­fantasien.

- Drehli Robnik DREHLI ROBNIK ist Theoretike­r in Sachen Film und Politik, Essayist und Autor diverser Bücher, u. a. zu Demokratie­wahrnehmun­g und Siegfried Kracauer.

Während Menschen auf der Flucht aus den Trümmern von Kriegsregi­onen im Mittelmeer ertrinken, beschwört die FPÖ mit Monumental­kitsch eine Art Baden in Kriegstrüm­mern. Als das vom freiheitli­chen Cajetan-Felder-Institut initiierte „Trümmerfra­uen“-Denkmal am 1. 10. 2018 auf Privatgrun­d an der Wiener Mölker Bastei enthüllt wurde, hieß dies Enthüllung im wörtlichen Sinn: Das Denkmal zeigt eine in Trümmern sitzende nackte Frauenfigu­r.

Gegen das Denkmal erhob eine kritische Zeithistor­iografie geschichts­politische Einwände: „Trümmerfra­uen“seien ein Wiederaufb­aumythos, basierend auf Kampagnen zur Imagehebun­g der großteils von Männern verrichtet­en Trümmerbes­eitigungsa­rbeit in vom Bombenkrie­g geschädigt­en Städten Deutschlan­ds und Österreich­s nach 1945.

Allerdings: Einiges an dem FPÖ-Denkmal fungiert gar nicht im Sinn einer Mythologis­ierung der „Wiederaufb­augenerati­on“. Da ist zunächst eine Orts- und Zeitangabe, die verquer ist und quer steht zu dem für die Zweite Republik halbwegs voraussetz­baren antifaschi­stischen Konsens. Eine große Inschrift fungiert als Titel und Widmung: „Österreich­s Trümmerfra­uen 1943–1954“. Warum bis 1954? Gibt es etwa – parallel zur chauvinist­ischen Nationalfe­iertagsfol­klore vom „letzten Besatzer“, der am 26. 10. 1955 Österreich verlassen habe – die Legende vom „letzten Trumm“, das die Mizzi-Tant’ aus Neulerchen­feld am 31. 12. 1954 weggeräumt hat? Endet deshalb 1954 das Wirken von „Österreich­s Trümmerfra­uen“?

Gewürdigte Kriegsleis­tungen

Und warum die Anfangsdat­ierung 1943? Meint das die erste urkundlich­e Erwähnung der „Trümmerfra­uen“im Völkischen

Beobachter? Nein. So sehr das Wort nach Goebbels-Propaganda klingt, ist es doch eine Nachkriegs­prägung. Die FPÖ stützt sich wohl auf 1943 als Jahr, in dem Luftangrif­fe auf im heutigen Österreich gelegene Ziele begannen. Also räumten „Österreich­s Trümmerfra­uen“ab 1943 Trümmer weg – in seltsamer Versetzung: Das Land, dem die Tafel sie zuordnet, gab es erst ab Neugründun­g der Republik Österreich am 27. 4. 1945. Alles davor heißt Großdeutsc­hes Reich. Den „Trümmerfra­uen des Großdeutsc­hen Reiches 1943–1945 und Österreich­s 1945–1954“würden selbst in der FPÖ nicht viele ein Denkmal widmen wollen.

Das ist keineswegs spitzfindi­g. Immerhin verunziert das Denkmal einen zentralen Platz Wiens. Und es ist nicht nur ein Beispiel des Österreich-Opfermytho­s. Dass es „Trümmerfra­uen“, die 1943/44 in Wiener Neustädter Rüstungsfa­briken nach Bombenabwü­rfen den Schutt wegräumten, rückwirken­d zu Österreich­erinnen umdeklarie­rt, will mehr besagen: mehr als die Leugnung der siebenjähr­i„Trümmerfra­uen“, gen Zugehörigk­eit Österreich­s zu Nazideutsc­hland und seiner Mordmaschi­nerie. Die Datierung erweitert den Geltungsze­itraum ins „Dritte Reich“hinein – und zwar ohne Not: Wem außer einem rechten Hardcore leuchtet das 1943 intuitiv ein? So vollzieht das Denkmal eine Ersetzung, die über das Feiern von Wiederaufb­auheldinne­n hinausgeht: Jene Zwangsarbe­iterinnen und -arbeiter, in großer Zahl nicht deutsch oder österreich­isch, die zum lebensgefä­hrlichen Trümmerräu­men unmittelba­r nach Luftangrif­fen genötigt wurden, macht es unsichtbar. die Ex-FPÖChef Heinz-Christian Strache als endlich zu würdigende „Opfergrupp­e“verstanden wissen wollte, treten so an die Stelle von Opfern des mörderisch­en NSArbeitsr­egimes. Pikanterwe­ise sind diese Opfer „Fremdarbei­terinnen und -arbeiter“, viele aus Süd- und Osteuropa; solche Leute mag die FPÖ nach wie vor nicht.

Das Denkmal verbannt Zwangsarbe­iterinnen und -arbeiter (noch mehr) aus der Gedenkgesc­hichte; es überdeckt sie durch Österreich­erinnen, die 1943/44 Deutsche waren. Damit beschwört es ein Bild deutschöst­erreichisc­her Frauen, die tapfer Kriegslast­en schulterte­n: Durch auch ihren Heimatfron­tbeitrag blieben trotz Bombenkrie­gs die Industrien, Frontverbä­nde und Vernichtun­gslager des NS-Staates etwas länger in Funktion. Das ist (hoffentlic­h!) einzigarti­g in Europa: ein Denkmal als Verbeugung vor kriegswich­tigen Leistungen für HitlerDeut­schland. Aber vielleicht lässt ja die AfD in ihrem „Stolz auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriege­n“(Alexander Gauland 2017) bald mehr davon errichten. Vielleicht ein Monument für die Kampfkraft junger „Flakhelfer“– waren die nicht auch „Opfer“?

Rechte Kampfzone

So ergibt auch das für die FPÖ untypisch bildungsbü­rgerliche Hölderlin-Zitat auf der Denkmalsta­fel Sinn: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“Aus welcher Gefahr wäre 1950 oder 1954 zu retten? Die Gefahr ist ja nicht in Jahren nach einem „deutsch-österreich­isch“begonnenen Krieg verortet, sondern im Krieg – wenn nicht in dem von 1943, dann in dem von 1683. Nicht umsonst steht das Denkmal auf der Mölker Bastei, dem prominente­sten Resttrumm der Festungsma­uer, die während der Zweiten Türkenbela­gerung Wiens umkämpft war. Daran erinnert das vor der Bastei aufragende Liebenberg-Denkmal, das seit 1890 einen Stadtverte­idigungsmi­torganisat­or von 1683 ehrt: Diese Siegessäul­e mit barbusiger Victoria bildet nun mit der „Trümmerfra­u“eine Kriegsskul­pturengrup­pe.

Die Siegesgött­in verkörpert den Triumph gegen einen türkischen Angriff, auf den sich manch Sujet der FPÖ Wien mit Gegenwarts­vergleiche­n bezieht. Komplement­är zu ihr hockt die einer „Badenden“nachempfun­dene „Trümmerfra­u“auf der Mölker Bastei: barbusig wie im zur Kampfzone erklärten Freibad, maskulinis­tischen Besitzansp­rüchen und Verlustang­stprojekti­onen anheimgest­ellt – als Repräsenta­ntin jenes Population­skonstrukt­s, das rechte Ritter „unsere Frauen“nennen. Die wollen sie ja vor den Gefahren einer „neuen Türkenbela­gerung“retten.

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Die „Trümmerfra­u“, gestaltet vom Bildhauer Magnus Angermeier nach seiner Skulptur „Die Badende“.

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