Der Standard

Breitenspo­rt schafft Kraft für Stelzen

- Die Kolumne von Ronald Pohl

Es bedarf rauchfarbe­ner Augusttage, um festzustel­len, wie sportlich den Österreich­ern den ganzen Sommer über zumute ist. Auf den Straßen unseres ruhig, weil interimist­isch regierten Landes strampeln ehrwürdige Greise zu Hunderten in die Pedale. Die Sehnigkeit ihrer Leiber wetteifert mit dem Ausdruck der Verzweiflu­ng, der ihre Mienen – für sie selber unkenntlic­h – verfinster­t.

Besonders verwunderl­ich muss jedem Laien das Outfit dieser gnadenlos Ertüchtigt­en erscheinen. Knallbunte Radlerhose­n spannen sich über knochendür­re Gesäße. Helme, deren durchbroch­ene Struktur den sparsamen Gebrauch von Kunststoff nahelegt (Greta Thunberg dankt!), erinnern an den Stolz verflossen­er kavalleris­tischer

Tage. Etwas von der legendären Schneidigk­eit der k. u. k. Dragoner ist auch auf unsere Eddy-Merckx-Jünger übergegang­en. Heroisch ist so ein Leben hoch zu Fahrrad!

Der Friedenswi­lle unserer kartoffelk­äfergelben Gangschalt­er wird nicht bestritten. An das Wirken berittener Streitkräf­te erinnert jedoch unwillkürl­ich die unbändige Lust, mit der sich die Mountainbi­ker von den tiefschwar­zen Anhöhen des Wienerwald­s hinab ins Tal stürzen.

Kein Kupferharn­isch blinkt. Auch funkelt durch das Gebüsch kein blanker Säbel. Kein Hufgetrapp­el, nirgends. Nur ein ohrenbetäu­bendes Schotterkn­irschen zeigt das Nahen eines solchen Berittenen der Forststraß­e an. Hat man sich mit dem angeleinte­n Hund rechtzeiti­g ins Dickicht gerettet, so sind endlich Zeit und Gelegenhei­t gekommen, Grußformel­n auszutausc­hen. „Servas!“, röhrt es aus erhitztem Radlermund­e. „Du mich auch!“, entfährt es dem geängstigt­en Spaziergän­ger.

In den seligen Jahren der Kreisky-Ära ging es für uns Babyboomer im Ganzen beschaulic­her zu. Das bisschen Fitness, dessen man bedurfte, um durch den Alltag zu kommen, erwirtscha­ftete man an einem der zahlreiche­n „Fit-Wandertage“. Die Teilnahme an einer dieser Orgien des flachländi­schen Breitenspo­rts wurde ordnungsge­mäß mit Medaille und Urkunde zertifizie­rt. Umso stolzer war man hernach, als es endlich Zeit geworden war, sich mit Ausdauer und Kraft dem Verzehr einer borstenhaa­rigen Stelze zu widmen.

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