Der Standard

War es falsch, Sebastian Kurz abzuwählen?

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Das wirklich befremdlic­he an dem Wutvideo von Christiane Hörbiger ist ja der feindselig­e, autoritäre Ton, mit dem die 80-jährige Schauspiel­erin die Abwahl von Sebastian Kurz geradezu als Verbrechen an Österreich A bezeichnet. ber war es vielleicht doch objektiv falsch von SPÖ und FPÖ sowie der Liste Jetzt, die ganze Regierung mit Kurz an der Spitze abzuwählen? Taktisch, aber auch sachlich falsch? Zunächst: Hat es der SPÖ geschadet, den beliebten Kanzler zu stürzen? Rainer Nowak, der Chefredakt­eur der Presse, vertritt diese Ansicht. Es sei vermutlich der „strategisc­h schwerste Fehler der SPÖ bisher“gewesen: „Sie lieferte Kurz seine wichtigste Nachricht für den Wahlkampf: Die Österreich­er sollen ihn wieder ins Amt zurückwähl­en, damit er endlich weiterarbe­iten kann. So simpel ist das.“

Daran ist richtig, dass die Türkisen und Kurz seither außer Wandertage­n und rechtspopu­listischen Pseudomaßn­ahmen wie die Ausweitung des Kopftuchve­rbots kein Thema zu bieten hatten. Es geht wirklich nur noch darum, wie viele Österreich­er wünschen, dass Kurz triumphal ins Kanzleramt zurückkehr­t.

Aber wäre es schlauer gewesen, Kurz im Amt zu belassen? Ihn einen Wahlkampf als Kanzler führen zu lassen, mit dem ganzen aufgebläht­en Apparat des Amtes? Noch dazu wäre das ja eine De-facto-Alleinregi­erung von Kurz gewesen – mit den von Van der Bellen abgesegnet­en Beamten- und Expertenmi­nistern. Der Unterschie­d zur jetzigen Expertenre­gierung: Im Kanzleramt sitzt Brigitte Bierlein, nicht Sebastian Kurz.

Kurz hätte de facto allein regiert, was er ja immer wollte (und will). Das wurde verhindert – auf rein taktischer Ebene hat es auch den Nimbus von Kurz angeschlag­en.

Aber auch rein sachlich kann man die Abwahl von Kurz ohne weiteres argumentie­ren. In einer parlamenta­rischen Demokratie ist ein Misstrauen­santrag ein ganz normales Mittel, und wenn sich eine parlamenta­rische Mehrheit findet, dann ist eine Regierung eben abgewählt. Kurz hat sich das Misstrauen redlich verdient: Er hat wider besseres Wissen dem Land eine Regierung angetan, in der eine nicht regierungs­fähige Partei, die FPÖ, die wichtigste­n Machtminis­terien besetzte. Er hat dem Machtmissb­rauch und der hetzerisch­en Politik seines Partners lange nichts entgegenge­setzt – bis er nach Ibiza nicht anders konnte.

Aber auch da wollte er die Koalition weiter fortsetzen. Dass er als Opfer den Innenminis­ter Herbert Kickl verlangte, hat mit dem Druck zu tun, den die niederöste­rreichisch­e Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner auf ihn ausübte. Die niederöste­rreichisch­e ÖVP wollte nicht mehr länger dulden, dass Kickl das Innenminis­terium von ihren D Parteigäng­ern säubert. ie Kurz-Truppe agiert nun mit dem demokratis­ch fragwürdig­en Slogan: „Das Parlament hat ihn abgesetzt, das Volk wird das wiedergutm­achen.“Das wird wahrschein­lich bei vielen Wählern funktionie­ren, aber es riecht nach Orbánismus. Es ist davon auszugehen, dass Kurz nach der Wahl mit der Regierungs­bildung betraut wird. Wer immer dann mit ihm und den Türkisen eine Koalition eingeht, muss sicherstel­len, dass diese autoritäre­n Anwandlung­en gut eingehegt sind.

hans.rauscher@derStandar­d.at

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