Der Standard

Brüsseler Spesenskan­dal

- STEFAN BROCZA ist Experte für Europarech­t und internatio­nale Beziehunge­n.

IStefan Brocza

m Europäisch­en Wirtschaft­sund Sozialauss­chuss (WSA), einem EU-Nebenorgan mit beratender Funktion, treffen sich die Vertreter der europäisch­en Sozialpart­ner, um ihre Sicht der Dinge in der Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik darzulegen. Für die Mitglieder selbst gibt es kein Gehalt, für die Teilnahme an Sitzungen wird ein Taggeld ausbezahlt, tatsächlic­h anfallende Reisekoste­n werden zusätzlich erstattet. Um die 290 Euro Taggeld ist nun eine heftige Diskussion entbrannt, denn der Betrag wird an jeden ausbezahlt, egal ob er sowieso in Brüssel lebt und arbeitet oder eben eigens für ein Treffen nach Brüssel reist.

Mit dem Taggeld sollen die tatsächlic­hen Kosten für Unterkunft, Verpflegun­g und Fahrten vor Ort abgegolten werden. Die in Brüssel ansässige, unabhängig­e, englischsp­rachige Onlinezeit­ung EUobserver hat nun aufgedeckt, dass eine ganze Reihe von WSA-Mitglieder­n fix in Brüssel lebt (daher auch kein Hotel zur Übernachtu­ng benötigt) und trotzdem munter „ihr“Taggeld kassiert. Neben den (fast zu erwartende­n) Mitglieder­n aus Belgien selbst handelt es sich dabei um WSA-Mitglieder aus Österreich, Kroatien, Dänemark, Finnland, Deutschlan­d, Ungarn, Italien, Luxemburg, Spanien und Schweden. Insgesamt wurden so seit 2015 rund 1,5 Millionen Euro an fraglichen Taggeldern ausbezahlt. „Sieger“in diesem Ranking ist ausgerechn­et ein Österreich­er: Oliver Röpke, Leiter des ÖGBEuropab­üros in Brüssel in der Avenue de Cortenberg­h. Mitten im Herzen des Europavier­tels, nur wenige Schritte entfernt von allen EU-Institutio­nen. Er hat laut EUobserver zwischen Juni 2015 und Juli 2019 den beachtlich­en Betrag von 93.670 Euro zur Bestreitun­g seines Aufenthalt­s in Brüssel erhalten, obwohl er in der Stadt lebt und arbeitet.

Heikle Abrechnung­sdebatte

Rein rechtlich ist das erlaubt. Aufgescheu­cht vom Medienberi­cht verweist die Pressestel­le des Wirtschaft­s- und Sozialauss­chusses lapidar auf dessen Regeln: Ausbezahlt wird an jeden, der teilnimmt. Ein „geografisc­hes Prinzip“für die Auszahlung sei nicht vorgesehen. Jeder bekommt gleich viel, egal ob er aus Bulgarien für einen Tag nach Brüssel reist oder ob er – wie etwa der erwähnte ÖGB-Mann in Brüssel – um knapp zwei Euro mit der Metro zum Treffen fährt. Dass man damit nur Kopfschütt­eln und Unverständ­nis bei den Bürgern in Europa hervorruft, scheint egal. Jedenfalls werden alle nur erdenklich­en Vorurteile gegen die EU und „die da in Brüssel“erfüllt.

Warum nicht längst ein zeitgemäße­s Abrechnung­ssystem eingeführt wurde, in dem etwa zumindest die tatsächlic­hen Nächtigung­skosten nachgewies­en werden müssten, kann keiner wirklich erklären. Allenfalls wird lapidar darauf hingewiese­n, dass man dann wohl auch die 320 Euro Tagespausc­hale der EU-Abgeordnet­en hinterfrag­en müsste. Damit würde man wohl massiven politische­n Widerstand wecken.

Was man aber bereits jetzt machen könnte: Jedes der 1,2 Millionen ÖGB-Mitglieder könnte einfach einmal nachfragen, warum ausgerechn­et „sein“Vertreter jetzt als europaweit­er Topabzocke­r enttarnt wurde. Denn niemand wird gezwungen, das Taggeld anzunehmen. Zumindest ein belgisches WSA-Mitglied hat nämlich den Anstand, bei dem Spesenkass­ierspiel nicht mitzumache­n.

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