Der Standard

Verbal abrüsten

- Kim Son Hoang

Es gibt gute Gründe, Brasiliens Staatschef Jair Bolsonaro zu kritisiere­n. Die Waldbrände im AmazonasGe­biet, an denen er zumindest eine Teilschuld trägt, sind derzeit der dringendst­e. Die Initiative seines französisc­hen Amtskolleg­en Emmanuel Macron, die Umweltkata­strophe auf dem G7-Gipfel zu thematisie­ren, ist daher zu begrüßen – genauso die Bereitstel­lung von finanziell­er Soforthilf­e. Doch um die Lunge der Erde verarzten zu können, ist das der falsche Weg.

Bolsonaro sieht all das als Einmischun­g in innere Angelegenh­eiten – nicht verwunderl­ich also, dass er die Hilfsgelde­r skeptisch betrachtet. Der Schlagabta­usch zwischen Brasília und Paris, dass Macron ein „Dummkopf“sei bzw. das brasiliani­sche Volk sich wohl für seinen Präsidente­n „schäme“, mag einen gewissen Unterhaltu­ngswert bieten, eine Lösung rückt damit aber in immer weitere Ferne.

Um eine Chance zu haben, dass Bolsonaro seine Amazonas-Politik ändert, muss man ihn ernst nehmen: Die Agrarprodu­zenten, die von den illegal gerodeten Flächen profitiere­n, gehören zu seinen größten Unterstütz­ern. Ohne sie wäre er wohl nicht Präsident geworden. Er steht also in einer Bringschul­d, und dies gilt es zu berücksich­tigen. Es bringt nichts, ihn aus 8000 Kilometer Entfernung zu belehren. Man muss verbal abrüsten und ihm auf Augenhöhe begegnen. Eine spontane Einladung zum G7-Gipfel wäre ein guter Anfang gewesen. Beim Iran ging es ja auch.

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