Der Standard

Europas neuer Freiheitsk­ampf

Krisen, Unsicherhe­it und Populismus gefährden die Erfolge von 1989

- Thomas Mayer

Mit dem Abschluss des Treffens der Staats- Regierungs­chefs der G7-Staaten in Biarritz endete die politische Sommerpaus­e in der Europäisch­en Union. Die Bürger können nur hoffen, dass ihre politische­n Anführer in den Regierunge­n die Wochen der Erholung gut genützt haben, um sich zu entspannen, Kraft zu tanken.

Diese werden gute Nerven für weise Entscheidu­ngen brauchen bei dem, was uns allen im „heißen Herbst“der Union ins Haus steht. Nicht nur die Klimakrise spitzt sich gefährlich zu. Auch das politische Klima ist global gesehen miserabel, siehe Konflikte und Zunahme autoritäre­n Denkens in China, den USA, Russland, Iran. Es droht eine Rezession der Wirtschaft.

Der EU-Austritt der Briten steht Ende Oktober bevor. Und im Streit um die Einhaltung von Rechtsstaa­t und Grundrecht­en bzw. deren Verletzung durch Ungarn und Polen zeichnet sich keine Entspannun­g ab. Kurz: Die Unsicherhe­it nimmt zu – als wären die Herausford­erungen für Gesellscha­ft, soziales Leben und Staat durch den technologi­schen und digitalen Wandel noch nicht Belastung genug.

Das alles wiederum befeuert den Ruf nach mehr Sicherheit, nach schärferen Regeln und Gesetzen, nach Grenzen und Kontrollen, nach Eingriffen durch den Staat und seine Sicherheit­sorgane – bis hin zum übermächti­gen Zugriff nach Daten der Bürger.

Da man den übergeordn­eten gemeinsame­n Institutio­nen nicht so traut wie dem schon länger vertrauten Nationalst­aat, haben radikale Populisten und nationale Politiker leichtes Spiel. Das alles geht im Gegenzug auf Kosten der Freiheit, zulasten des liberalen Rechtsstaa­tes. Grundwerte und Grundrecht­e werden von den Illiberale­n W skrupellos infrage gestellt. as das bedeutet, wird beim Forum Alpbach unter dem Übertitel „Freiheit und Sicherheit“gerade auf beeindruck­ende Weise debattiert. Fächerüber­greifend führen Forscher, Politiker, Wirtschaft­er, sehr viele Studierend­e und Künstler dort gerade vor, wie all diese Phänomene zusammenhä­ngen. Und sie kommen zu einem relativ eindeutige­n Befund: Je mehr das allzu lockere Herabwürdi­gen von Demokratie und offener Gesellscha­ft auf die leichte Schulter genommen wird, desto mehr werden die Bürger – und generell die Freiheit – eingeschrä­nkt.

Bricht man das Abstrakte auf das reale Geschehen um, zeigt sich bald, welche Folgen das haben könnte. Die Soziologin Katy Hayward von der Queen’s University Belfast zeigte, dass ein Preis des Chaos-Brexits nicht bloß der Wirtschaft­srückschla­g sei: Es gebe – kaum beachtet – klare Anzeichen für eine neue Gewaltwell­e auf der irischen Insel.

Oder: Der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann gab unumwunden zu, dass seine Grenzkontr­ollen mitten in Europa noch lange bleiben werden.

Es sieht ganz so aus, als bewege sich das gemeinsame Europa 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 rückwärts, nicht nur in Osteuropa. Der größte Erfolg der Öffnung – die Freiheit – steht leichtfert­ig auf dem Spiel.

Die Lage erinnert an einen Hit von Georg Danzer: Er singt von einem Zoobesuch eines Mannes, der ein sehr wildes, seltenes Tier anschauen will. Aber als er in den Käfig reinschaut, ist dieser leer. Der Wärter klärt ihn auf: „Die Freiheit ist ein wundersame­s Tier / Und manche Menschen haben Angst vor ihr / Doch hinter Gitterstäb­en geht sie ein / Denn nur in Freiheit kann die Freiheit Freiheit sein.“So könnte es dem gemeinsame­n Europa gehen, wenn wir nicht um sie kämpfen.

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