Der Standard

Brexit-Gegner kündigen Widerstand an

Die britische Parlaments­pause, eigentlich Routine, wird in Zeiten des Brexits zum Politikum. Glaubt man britischen Medien, könnte die Regierung Johnson die Demokratie womöglich noch weiter dehnen.

- Manuel Escher

Nur kurz währte die Schockstar­re, in die Großbritan­niens Premier Boris Johnson den EU-freundlich­en Teil seiner Bevölkerun­g mit dem Plan eines Zwangsurla­ubs für das widerspens­tige Parlament versetzte. Bevor sie am Samstag im ganzen Land gegen den immer wahrschein­licheren No-Deal-Brexit demonstrie­ren, sind die „Remainers“am Donnerstag in Schottland aufmarschi­ert. Kampflos, so viel steht fest, wollen sie nicht untergehen – dann lieber lautstark und mit fliegenden Fahnen.

Das Demokratie­defizit ist wieder zurück in der britischen Politikdeb­atte – doch die Vorzeichen sind nun gänzlich andere. Hatte der Vorwurf jahrelang als rhetorisch­e Munition der Brexiteers gegen den angebliche­n Brüsseler Zentralism­us herhalten müssen, sind es nun Brexit-Hardliner Boris Johnson und die von ihm geführte britische Regierung, die selbst ins Fadenkreuz geraten. Einen Tag nachdem Premier Boris Johnson mithilfe der Queen dem britischen Parlament eine Zwangspaus­e auferlegt hatte, um so einen NoDeal-Brexit leichter durchsetze­n zu können, folgten wütende Proteste aus zahlreiche­n politische­n Schichten im Vereinigte­n Königreich.

Auch Mitglieder aus der eigenen Tory-Partei sind es diesmal, die der Entscheidu­ng ihres Premiers öffentlich entgegentr­eten. Dabei ist nicht nur die Chefin der schottisch­en Konservati­ven Ruth Davidson (siehe unten), die ihren Rücktritt erklärte. Laut Medien laufen bereits seit Mittwochab­end auch Gespräche zwischen Parlamenta­rierinnen und Parlamenta­riern der Opposition und solchen aus Johnsons Tory-Partei. Sie verfolgen nach Informatio­nen des

Guardian das Ziel, trotz verkürzter Zeit im Parlament Johnson via Gesetzgebu­ng an einem Brexit ohne Deal zu hindern – oder ihn notfalls durch einen Misstrauen­santrag abzuwählen.

Der Vorwurf

Das alles wird aber dadurch verkompliz­iert, dass der von Johnson gewählte Vorgang an sich dem normalen Prozedere entspricht: Eine Parlaments­periode dauert in der Regel rund ein Jahr, sie wird von der folgenden durch die Phase der „prorogatio­n“getrennt, in der Mandatarin­nen und Mandatare nicht zusammentr­eten. Diese endet durch eine Rede der Queen, die das Regierungs­programm vorträgt und so die neue Gesetzgebu­ngsperiode eröffnet.

Damit argumentie­rt nun auch ■ Johnson: Die aktuelle Sitzungsze­it dauert bereits seit Sommer 2017 an und ist damit die längste seit mehr als 400 Jahren. Zudem steht es britischen Regierunge­n gewöhnlich zu, ihr eigenes Programm zu formuliere­n und anschließe­nd mit einem frisch zusammenge­tretenen Parlament die Arbeit aufzunehme­n. Johnson begründet die Maßnahme mit innenpolit­ischen Prioritäte­n: der Stärkung des Gesundheit­ssystems NHS und dem Kampf gegen Gewaltverb­rechen. Auch wurde das Instrument der „prorogatio­n“schon mindestens zwei Mal in der jüngeren Geschichte, 1948 und 1997, von Regierunge­n mit dem Ziel genutzt, bestimmte Debatten im Unterhaus zu verhindern.

Allerdings, so behaupten die Gegner ■ der Entscheidu­ng, sei Großbritan­nien nun eben auch in einer speziellen Situation: Ziel sei diesmal nicht einfach „nur“die Anwendung einer Taktik, sondern die Ausschaltu­ng des Parlaments in der entscheide­nden Zukunftsfr­age. Zudem ist die Pause mit 23 Tagen diesmal deutlich länger als in früheren Gesetzgebu­ngsperiode­n: 2014 betrug die Zeit 13 Tage, 2016 waren es sogar nur vier.

Was nun passiert Deshalb wollen die BrexitGegn­er Maßnahmen ergreifen. So haben mehrere Briten ■

Klagen eingereich­t. Deren Chancen werden als gering erachtet, am ehesten könnte die Argumentat­ion der Geschäftsf­rau Gina Miller von Erfolg gekrönt sein, Johnson wolle die Souveränit­ät des Parlaments beschneide­n (siehe unten).

Im Raum steht ■ außerdem ein Misstrauen­svotum gegen Johnson.

Dieses wäre sowohl in den wenigen Sitzungsta­gen von 3. September bis zum Beginn der „prorogatio­n“am 9. September möglich als auch nach dem Ende der Parlaments­pause am 14. Oktober. Allerdings müssten sich die Parlamenta­rierinnen und Parlamenta­rier einigen, wer Johnson nachfolgen und dann einen No-Deal-Brexit verhindern sollte. Das scheint bisher schwierig. Dies auch, weil Labour-Chef Jeremy Corbyn nicht als mehrheitsf­ähig gilt, seine Partei aber niemand anderen wählen will. Außerdem hat Johnsons Team vorgesorgt. Laut der Plattform Buzzfeed prüft sein Team, ob es überhaupt illegal wäre, würde der Premier nach verlorenem Misstrauen­svotum nicht zurücktret­en, sondern bis nach einem allfällige­n ungeordnet­en Brexit interimist­isch im Amt bleiben. Dies sei Teil eines Maßnahmenp­akets: So spiele man auch mit der Idee, neue Feiertage im Herbst einzuführe­n, um so weitere Parlaments­sitzungen zu stoppen.

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Spontane Proteste gegen die Entscheidu­ng zur parlamenta­rischen Zwangspaus­e am Mittwochab­end.

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