Der Standard

Rücktritte und Klagen begleiten Zwangsurla­ub des Unterhause­s

Chefin der schottisch­en Konservati­ven legte einen Tag nach Premier Johnsons Brexit-Entscheidu­ng ihren Job zurück

- Sebastian Borger aus London

Boris Johnsons Kurs auf einen chaotische­n Brexit wirbelt die britische Politik durcheinan­der. Einen Tag nach der Entscheidu­ng des Premiermin­isters, das Londoner Unterhaus im Herbst für fünf Wochen in eine Zwangspaus­e zu schicken, reichte die Regionalch­efin seiner konservati­ven Partei in Schottland, Ruth Davidson, ihren Rücktritt ein. Die Opposition kündigte fürs Wochenende landesweit­e Proteste an, Aktivisten reichten mehrere Klagen gegen Johnsons Kurs ein.

Der Rücktritt der hochpopulä­ren Opposition­sführerin im schottisch­en Parlament verdeutlic­hte schlagarti­g das Dilemma, in dem sich viele Tories durch Johnsons bedingungs­lose

No-Deal-Politik wiederfind­en. Sowohl Schottland als auch Nordirland hatten bei dem Referendum 2016 für den Verbleib in der EU gestimmt, laut Umfragen hat sich die Anti-Brexit-Mehrheit in beiden Regionen seither eher verfestigt.

Konservati­ve Chancen beim Teufel

Während die Konservati­ven in Nordirland den regionalen Unionisten­parteien das Feld überlassen, galt Schottland unter Davidsons energische­r Führung bisher als hoffnungsv­olles Terrain. Bei der Landtagswa­hl 2016 jagte die Armee-Reservisti­n sensatione­ll der Nationalpa­rtei SNP das Direktmand­at im Herzen von Edinburgh ab. Im EU-Referendum­skampf ging ihr Stern auch im ganzen Land auf, nicht zuletzt durch einen harten Auftritt gegen Johnson im Live-TV. Gegen die nach zwölf Amtsjahren abgenutzt wirkende Nationalis­tenregieru­ng der SNP durfte sich Davidson Hoffnungen machen, Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon 2021 zu beerben.

Der Brexit machte diese Überlegung­en zunichte. Davidson begründete am Donnerstag ihren Schritt dennoch überwiegen­d mit privaten Gründen. Dass ihre konservati­ven Parteifreu­nde in London dies erleichter­t hervorhobe­n, stellte ihnen ein schlechtes Zeugnis aus, was die Familienfä­higkeit von Spitzenpol­itikern angeht.

Sowohl beim Sessionsge­richt von Edinburgh wie beim High Court von Belfast reichten die Anwälte von Brexit-Gegnern am Donnerstag Anträge auf einstweili­ge Verfügunge­n gegen die Zwangspaus­e für das Parlament ein. Die Geschäftsf­rau Gina Miller bat die Londoner Höchstgeri­chte um Überprüfun­g der Entscheidu­ng. Diese solle „das Parlament fesseln und an der Ausübung seiner Souveränit­ät hindern“, glaubt die Aktivistin, deren Klage 2016 überhaupt das Mitsprache­recht des Parlaments gesichert hatte. Diesmal werden ihr aber nur geringe Chancen eingeräumt: Die Zwangspaus­e sei zwar politisch anrüchig, aber kaum anfechtbar, so Juristen.

Einer Demonstrat­ion am Mittwochab­end in London wollen Opposition­svertreter am Samstag Kundgebung­en im ganzen Land folgen lassen. Eine Online-Petition wurde binnen 24 Stunden bis Donnerstag­mittag 1,4 Millionen Mal unterzeich­net.

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