Der Standard

Spaghetti-Slasher mit Tomatensau­ce

Aus gelben Heftchenro­manen entstand das Horrorgenr­e des italienisc­hen Giallo: Bei Regisseure­n wie Lucio Fulci und Dario Argento lernte man stilecht das Fürchten. Das Wiener Filmmuseum zeigt jetzt, warum.

- David Auer

In Nightmare Concert, einem der randständi­gen Filme, die das Österreich­ische Filmmuseum im Rahmen seiner GialloRetr­ospektive zeigt, inszeniert sich der Genreveter­an Lucio Fulci selbst: als lüsterner Greis, dem es beim Dreh seines sadistisch­en Splatter-Films nicht zu weit gehen kann. Abseits des Sets leidet er an furchterre­genden Halluzinat­ionen grässlich entstellte­r Leichen. Ein Psychiater attestiert Fulci nicht nur, dass die Grenze zwischen Film und Realität bei ihm verschwomm­en sei. Er bläut dem Filmemache­r auch ein, er sei verantwort­lich für die vielen tatsächlic­hen Morde, die zudem passieren.

Früh stellt sich aber heraus: Der Seelenklem­pner selbst ist der Killer. Untypisch für einen Giallo, der sonst bis zum Schluss mit der Auflösung wartet. Das Publikum darf dennoch raten, ob Fulci weiterhin an seinen Wahnvorste­llungen leidet – oder ob es sich bei

Nightmare Concert nicht auch um einen Film im Film gehandelt hat. Nach der letzten Einstellun­g, die uns glauben macht, der Regisseur wolle eine Frau meucheln, ruft ein Filmteam „Schnitt“. Selten geht es bei einem Giallo derart ostentativ selbstrefl­exiv zu, reflexions­affin sind die Filme dennoch oft. Exzess von Haut und Twists

Der Name spielt auf die Umschläge von Groschenro­manen an, deren Erkennungs­zeichen ein gelber Umschlag war — „Giallo“ist italienisc­h für Gelb. Die Filme des Genres, die sich vor allem von den

1960er-Jahren bis in die 1980erJahr­e großer Popularitä­t nicht nur in Italien erfreuten, zeichnen sich durch den Exzess von nackter Haut, Gewalt und Twists aus.

Fast schon schwindeli­g wird uns ob der zahlreiche­n Wendungen am Schluss von Sergio Martinos Der Killer von Wien. Gern bringen auch Redeschwal­le Licht ins Dunkel des Plots und sollen die Motive der Täterinnen und Täter erklären.

Um die Durchdring­ung ihrer Psyche geht es aber meist nicht. Gialli liefern keine Charakters­tudien, sondern (Ab-)Gründe, die, wie Psychosen oder Geldgier, schnell parat sind. Ohnehin, heißt es, ziehen die Giallo-Regisseure den Stil der Substanz vor. In den Spaghetti-Slashern wird von Serienkill­ern zu fetziger Musik (u. a. von Ennio Morricone oder den Progrocker­n von Goblin) und spektakulä­ren Mordszenen reichlich Tomatensau­ce serviert.

Wer den Regisseure­n daraus einen Strick dreht, stimmt ein in den Chor der Unkenrufer, die aus Reflex Oberfläche zugunsten von Tiefe verdammen. Tief blicken lässt das Genre aber gerade in seiner Besessenhe­it, die es für Ober

flächen hegt: Klingen, Spiegel, Glasscheib­en, die gleißen, reflektier­en, trennen und natürlich zerbrechen.

Viel Oberfläche heißt auch: viel Selbstrefl­exion. Schnell vermeint man im zwischen zwei Glasscheib­en gefangenen Protagonis­ten in Dario Argentos Das Geheimnis der

schwarzen Handschuhe, der einer Frau hilflos beim Verbluten zusehen muss, die zur Passivität verdammten Zuschaueri­nnen und Zuschauer zu erkennen.

Oder: Angesichts der Perspektiv­e, die wir beim Giallo-Schauen oft mit dem Killer beim Spannen und Töten teilen, ist unsere voyeuristi­sche Komplizens­chaft glasklar (Stichwort: männlicher Blick).

In Argentos Tenebrae muss sich ein Krimiautor der Kritik stellen – einer progressiv­en Journalist­in, die seine Werke sexistisch nennt, und eines kulturkons­ervativen Kritikers sowie Fans, der meint, die Bücher des Autors würden die Gesellscha­ft pervertier­en.

Misogynie als Prinzip

Beide Kritikpunk­te haben auch das gelbe Genre oft getroffen. Der eine aber meint den Ausdruck, der andere die Wirkung, die von den Filmen ausgehen soll. Dass sich in der Zurschaust­ellung von Gewalt gegen spärlich bekleidete bzw. nackte Frauen Misogynie ausdrückt, das lässt sich allerdings weniger leugnen als die Tatsache, dass der Konsum blutgeträn­kter Szenen die Menschen verrohen würde. Dafür braucht es keinen Giallo.

Im Gegensatz zur Zensur, die die Giallo-Filme einst bis zur Unkenntlic­hkeit verstümmel­t hat, weiß das auch Lucio Fulci. Der Mörder in Nightmare Concert ist nicht erst durchs Splatter-Schauen blutdürsti­g geworden, posaunt aber voller Inbrunst und auch Sarkasmus hinaus, dass Filmgewalt Gewalt in der Wirklichke­it provoziere.

Vielleicht beschert sie Albträume, vielleicht Unbehagen oder Vergnügen. Beim Giallo zumindest aber die Möglichkei­t zur Reflexion, warum das überhaupt so ist. Bis 24. 10.

 ??  ?? Nimm das, du perverses, Frauen und Kinder ausbeutend­es Patriarcha­t! „Das verfluchte Haus“heißt dieser bis zum Exzess verrückte, natürlich blutrote Horrorstre­ifen von Elio Petri (1968).
Nimm das, du perverses, Frauen und Kinder ausbeutend­es Patriarcha­t! „Das verfluchte Haus“heißt dieser bis zum Exzess verrückte, natürlich blutrote Horrorstre­ifen von Elio Petri (1968).

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