Der Standard

„Das steht in Widerspruc­h zu Greta Thunberg“

So wichtig der Klimaschut­z auch ist, die Schule geht vor: Bildungsmi­nisterin Iris Rauskala fallen noch „tausend Gründe“ein, wofür sich ein Streik lohnen würde. Unerlaubte­s Fernbleibe­n wäre es in jedem Fall. INTERVIEW: Peter Mayr, Karin Riss

-

Das Thema Ethikunter­richt wurde jahrelang unzufriede­nstellend diskutiert.

Der Hinweis kommt sicherheit­shalber gleich am ersten Schultag: Wer freitags für den Klimaschut­z auf die Straße geht, statt in der Klasse zu lernen, dem drohen Konsequenz­en. Bildungsmi­nisterin Iris Rauskala verweist im STANDARD-Interview auf die bestehende Gesetzesla­ge. Das Anliegen der jungen Umweltakti­visten will sie lieber im Unterricht behandelt sehen: Demnächst soll dazu österreich­weit eine Kooperatio­n gestartet werden, die Forscherin­nen und Forscher an die Schulen bringt.

STANDARD: Die Fridays-for-Future-Demos haben vergangene Woche wieder an Fahrt aufgenomme­n. Ihr Vorgänger Heinz Faßmann hat per Erlass geregelt, dass das Demonstrie­ren kein Entschuldi­gungsgrund ist. Man könnte aber auch argumentie­ren, die Teilnahme an Demonstrat­ionen gehört zum Bildungsau­ftrag der Schule. Wie sehen Sie das? Rauskala: Streik ist eine Verletzung der Schulpflic­ht. Der Bildungsau­ftrag kann auch in der Schulzeit erbracht werden. Da gibt es genug Möglichkei­ten, sich mit dem Thema auseinande­rzusetzen – etwa in Form von Exkursione­n.

STANDARD: Und wenn Klassen dann öfter einmal freitags eine Exkursion machen? Rauskala: Dafür müssten sie darlegen können, dass auf diesem Weg das Unterricht­sziel „mehr Umweltbewu­sstsein“erreicht werden soll. Aber selbst wenn das gelingt, geht das sicher nicht jede Woche.

STANDARD: Als Klassenvor­stand oder Schulleitu­ng kann ich unter bestimmten Gründen auch die Erlaubnis zum Fernbleibe­n erteilen, oder? Rauskala: Das gilt nur für ganz bestimmte Situatione­n. Ich weiß, das steht in Widerspruc­h zu Greta Thunberg, aber: Wir orientiere­n uns am gesetzlich­en Rahmen. Den können wir nicht einfach so aufbrechen, nur weil uns das Thema Klima plötzlich wichtig ist. Nächstes Jahr könnte es dann ein anderes Thema sein: Menschenre­chte, Migration, Tierschutz – es gibt tausend Gründe, die wichtig sind, um dafür zu streiken.

STANDARD: Was droht, wenn man unerlaubte­rweise demonstrie­ren geht? Rauskala: Da greifen die Regeln für unerlaubte­s Fernbleibe­n. Das kann ab dem vierten Tag unentschul­digten Fehlens auch mit einer Geldstrafe enden.

STANDARD: Apropos Strafen, die ÖVP will das Kopftuchve­rbot, das ab heuer für Volksschül­erinnen gilt, bis zum Alter von 14 Jahren ausweiten. Ist das sinnvoll? Rauskala: Das ist wohl dem Wahlkampf geschuldet. Die Parteien beziehen jetzt Position. Eine künftige Regierung kann dann entspreche­nde Vorlagen ausarbeite­n, sofern das gewünscht ist.

STANDARD: Ein solches Verbot soll laut ÖVP auch für Pädagoginn­en gelten.

Rauskala: Wenn, dann sollte man über eine solche Regelung für den gesamten Bundesdien­st diskutiere­n. Als Repräsenta­nten des Staates sollten Beamte insgesamt neutral auftreten. Aber auch das ist ein gesellscha­ftspolitis­cher Diskurs, den man erst führen muss.

STANDARD: Müsste dann nicht auch über das Kreuz im Klassenzim­mer diskutiert werden? Rauskala: Eine grundsätzl­iche Debatte über Laizismus im Staatsdien­st würde wohl beim Kopftuchve­rbot beginnen. In weiterer Folge stellt sich dann vielleicht auch diese Frage.

STANDARD: Diesen Diskurs wollen Sie nicht anleiern? Rauskala: Für den öffentlich­en Dienst ist das entspreche­nde Ministeriu­m zuständig.

STANDARD: Zuständig sind Sie für die Einführung des Ethikunter­richts. Für den gibt es zwar einen Beschluss im Ministerra­t, aber keinen Gesetzesen­twurf. Wann kommt der?

Rauskala: Mit Beginn dieses Schuljahre­s werden die Pädagoginn­en und Pädagogen dafür ausgebilde­t. Die gesetzlich­e Verankerun­g des Unterricht­s wird dann nachgezoge­n, sobald die nächste Bundesregi­erung im Einsatz ist.

STANDARD: Der Plan von Türkis-Blau war ja, ab 2020 in den AHS-Oberstufen und polytechni­schen Schulen zu beginnen ... Rauskala: ... das geht sich noch aus ...

STANDARD: Soll es auch dabei bleiben, dass nur diejenigen den Ethikunter­richt besuchen sollen, die sich vom regulären Religionsu­nterricht abgemeldet haben?

Rauskala: Aus jetziger Sicht ja, eine entspreche­nde Gesetzesin­itiative wird vorbereite­t. Sollte der Ethikunter­richt für alle gelten, würde das bedeuten, dass man über den konfession­ellen Religionsu­nterricht gesellscha­ftspolitis­ch breit diskutiere­n müsste. Diese Diskussion ist jetzt in dieser Übergangsp­hase nicht zu schaffen. STANDARD: Was ist Ihre persönlich­e Meinung dazu? Rauskala: Das Thema Ethikunter­richt wurde jahrelang unzufriede­nstellend diskutiert. Jetzt gibt es einen ersten Schritt.

STANDARD: Eine Dauerbaust­elle im österreich­ischen Schulsyste­m ist das fehlende Unterstütz­ungsperson­al, vor allem im psychosozi­alen Bereich. Das hat eine internatio­nale Studie vor kurzem wieder belegt. Wie ist dieses Strukturpr­oblem zu lösen? Rauskala: Es stimmt, die im internatio­nalen Vergleich überdurchs­chnittlich gute Ausstattun­g im pädagogisc­hen Lehrerbere­ich geht zulasten von administra­tivem oder psychologi­sch-sozialem Personal. Hier gibt es ganz bestimmt einen höheren Bedarf, aber den können wir aufgrund der Kompetenzv­erteilung

nicht haben allein wir derzeit stemmen. nur Auf die Bundesseit­e Übersicht über wünschen das pädagogisc­he uns hier mehr Personal. Einblick. Wir Das sollte bei den über nächsten den Finanzausg­leich Bund-LänderGesp­rächen geregelt werden.

STANDARD: Nehmen wir den Bereich Schulpsych­ologie, da ist ja der Bund zuständig. Reichen die rund 160 Stellen? Rauskala: Wir haben ja nicht nur Schulpsych­ologen, sondern auch die Schulärzte ...

STANDARD: ... die der Gemeindebu­nd gerade abschaffen will. Rauskala: Wir wollen sie aber nicht abschaffen. Im Interesse der Schülerinn­en und Schüler müssen wir alle Ressourcen nutzen, die wir haben.

STANDARD: Faßmanns letztes Vorhaben war die Schaffung von sogenannte­n Time-out-Gruppen, in denen „Problemsch­üler“über einen bestimmten Zeitraum vom Rest der Klasse separiert werden sollten. Was wird jetzt daraus? Rauskala: Ein pädagogisc­hes Konzept dazu wird gerade erarbeitet, danach wollen wir mit Pilotproje­kten starten. Aber das ist sicher kein Allheilmit­tel. Bevor es eine solch drastische Maßnahme setzt, gibt es andere Formen der Deeskalati­on. Alle Schulen werden demnächst einen Leitfaden bekommen, wie sie im Krisenfall vorgehen sollen.

STANDARD: Wien wünscht sich dringend einen Ausbau von AHS und berufsbild­enden höheren Schulen. Kommt der?

Rauskala: Im neuen Schulentwi­cklungspla­n haben wir dafür in den kommenden zehn Jahren ein Budget von über 500 Millionen Euro vorgesehen. Das wären acht vom Bund finanziert­e Neubauten für Wien und eine Reihe von Erweiterun­gsund Sanierungs­maßnahmen. Das Ganze muss aber erst von der neuen Regierung im Ministerra­t beschlosse­n werden. IRIS RAUSKALA, geboren 1978 in Helsinki (Finnland), ist seit Juni 2019 Bildungs- und Wissenscha­ftsministe­rin. Davor war sie Leiterin der Präsidials­ektion im Ministeriu­m für Bildung, Wissenscha­ft und Forschung.

 ??  ?? Große Themen will Rauskala lieber der nächsten Regierung überlassen.
Große Themen will Rauskala lieber der nächsten Regierung überlassen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria