Der Standard

Lehrlinge, Familien, Kinder auf Liste für Kabul-Abschiebun­g

Laut einer geleakten Liste sollen zeitnah 154 Afghanen nach Kabul abgeschobe­n werden, 145 davon aus Österreich. Neben Familien sind darunter auch Personen, deren Höchstgeri­chtsbeschw­erden noch laufen.

- Irene Brickner

Hossein K. (21) ist Lehrling im Diakonisse­n-Krankenhau­s Schladming. Dort mache er sich gut, heißt es bei der evangelisc­hen Diakonie. Einem positiven Abschluss seiner Ausbildung stehe fachlich nichts im Weg.

Nach Österreich kam K. als Flüchtling, doch sein Asylantrag wurde abgelehnt, auch in der Berufung vor dem Bundesverw­altungsger­icht. Also legte er beim Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) Beschwerde ein. Bis zur Entscheidu­ng,

ob das Höchstgeri­cht seine rechtskräf­tige Ausweisung aufschiebt oder nicht, dauert es in einem solchen Fall erfahrungs­gemäß nicht lang.

Dennoch steht K.s Namen auf einer Liste afghanisch­er Staatsbürg­er, die offenbar morgen, Dienstag, nach Kabul abgeschobe­n werden sollen – samt einer Notiz, dass es gültige Einreisepa­piere nach Afghanista­n für ihn gibt. Die Fremdenpol­izei ist in seinem Fall nicht bereit, den zeitnah bevorstehe­nden VfGH-Entscheid abzuwarten.

Auch dass K. einer jener jungen Asylwerber ist, die in Österreich eine Lehre beginnen konnten und für deren Verbleib bis zum Abschluss ihrer Ausbildung inzwischen auch die ÖVP plädiert, hemmt den Abschiebew­illen nicht. „Hier schafft die Behörde durch Abschiebun­g Fakten, bevor die Gerichte entschiede­n haben. Das gefährdet Grundrecht­e und ist nicht im Sinne unserer Verfassung“, sagt Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie.

Die Menschenre­chtssprech­erin der Neos, Stephanie Krisper kritisiert das Vorgehen als „Respektlos­igkeit vor den Höchstgeri­chten“und als „Ignoranz gegenüber dem Rechtsstaa­t“.

Die oben genannte geleakte Liste sorgt unterdesse­n in den afghanisch­en Communitys, bei Flüchtling­shelfern und Asylexpert­en für große Aufregung. Auf neun Seiten sind 154 Personen vermerkt, mit Namen, Geburtsdat­um und Geschlecht­szugehörig­keit. Für alle gebe es gültige Einreisepa­piere nach Afghanista­n. Aus dem dem STANDARD vorliegend­en Papier ist zudem zu entnehmen, dass es sich um ein Personenve­rzeichnis für eine Afghanista­n-Rückkehr am Mittwoch handelt.

145 der Aufgeliste­ten sollen aus Österreich, fünf aus Ungarn, drei aus Bulgarien, einer aus Slowenien nach Kabul gebracht werden.

Eineinhalb­jährige mit dabei

Für besondere Kritik sorgt der Umstand, dass sich laut der Liste unter den aus Österreich wegzubring­enden Personen fünf Familien mit kleinen Kindern befinden. Die Jüngste dabei ist ein eineinhalb­jähriges Mädchen, das offenbar mit einem Bruder und zwei weiteren männlichen Verwandten nach Afghanista­n zurückgesc­hickt werden soll.

Auch ein laut Namen und Geburtsdat­um alleinreis­ender Minderjähr­iger kommt in dem Verzeichni­s vor. Aus Kreisen von Flüchtling­shelfern hieß es am Sonntag außerdem, in den vergangene­n Tagen seien Afghanen mit psychische­n Erkrankung­en festgenomm­en worden.

Bisher hat Österreich dem Vernehmen nach auf Rückführun­gen unter 18-Jähriger und von Frauen mit Kindern in das von Anschlägen und Überfällen der Taliban geprägte Land verzichtet. Krisper forderte am Sonntag einen „Abschiebes­topp nach Afghanista­n, insbesonde­re bei Kindern“.

Der Abschiebef­lug am Dienstag soll laut Informante­n von der europäisch­en Grenz- und Küstenwach­e Frontex durchgefüh­rt werden. Bestätigt wurde das dort auf STANDARD-Anfrage nicht. Aus dem Innenminis­terium hieß es, eine Abschiebun­g in einer der Liste entspreche­nden Größe sei nicht geplant. Nicht eine beim Höchstgeri­cht eingelegte Beschwerde, sondern erst eine gewährte aufschiebe­nde Wirkung stoppe die Abschiebun­g. Kinder, Kranke und andere vulnerable Personen würden vor dem Abflug ärztlich auf ihre Flugtaugli­chkeit hin überprüft. Kommentar Seite 20

 ??  ?? Zwei deutsche Polizisten eskortiere­n einen Mann in den Abschiebef­lieger. Aus Wien soll am Dienstag ein Transport nach Kabul gehen.
Zwei deutsche Polizisten eskortiere­n einen Mann in den Abschiebef­lieger. Aus Wien soll am Dienstag ein Transport nach Kabul gehen.

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