Der Standard

Der feine Unterschie­d

Seit einem Jahr ist der von Türkis-Blau auf den Weg gebrachte Zwölfstund­entag Realität. Die Sozialpart­ner waren in der Frage einander spinnefein­d. Doch wer sind nun die Gewinner und Verlierer?

- Lena Langbauer

Eine Köchin verliert ihren Job, weil sie den Zwölfstund­entag nicht akzeptiert: Die Geschichte schlug hohe Wellen, kurz nachdem das neue Arbeitszei­tgesetz vor einem Jahr in Kraft getreten war. Die türkis-blaue Koalition hatte auf den Weg gebracht, was die rote Reichshälf­te sich gern durch Zugeständn­isse an die Arbeitnehm­er hätte abkaufen lassen, auch die Grünen waren dagegen: Die erlaubte Höchstarbe­itszeit wurde von zehn auf zwölf Stunden am Tag und von 50 auf 60 in der Woche erhöht.

Die AK sah sich schnell in ihren Bedenken bestätigt, vor allem was den Knackpunkt Freiwillig­keit – er wurde nach heftigen Protesten ins Gesetz aufgenomme­n – betrifft: Das in den neuen Regeln verankerte Prinzip wirke nicht. Arbeitnehm­er dürfen ihm gemäß die elfte und zwölfte Arbeitsstu­nde ablehnen.

Beschwerde­fälle

Ein Jahr später hat sich die Meinung in der Arbeiterka­mmer nicht geändert. Man sei immer wieder mit entspreche­nden Fällen konfrontie­rt: „Der Zwölfstund­entag ist in den Arbeitsver­hältnissen angekommen“, stellt Irene Holzbauer, die Leiterin der Abteilung Arbeitsrec­ht der Arbeiterka­mmer, fest.

Auch die Wirtschaft­skammer (WKÖ) bleibt bei ihrer Position. Dass die Hilfsköchi­n dem neuen Arbeitszei­tregime zum Opfer fiel, hatten Kammerfunk­tionäre schon, als der Fall bekannt geworden war, angezweife­lt. Solche Vorkommnis­se seien Ausnahmen geblieben, so WKÖ-Chef Harald Mahrer. Die einen dagegen, die anderen dafür, so weit, so bekannt. Martin Risak, Arbeitsrec­htler an der Universitä­t Wien und von Anfang an dezidierte­r Kritiker des Gesetzes, bleibt ein Jahr später dabei: „Das Gesetz ist technisch schlecht gemacht.“Hinsichtli­ch dessen, wie mit Überstunde­n bei Gleitzeit umgegangen wird, hätte es aus juristisch­er Sicht einer Sanierung bedurft. Doch was sagen die Zahlen – soweit es sie gibt?

Eine neue Sora-Umfrage, der ersten zum Thema, stützt die AK in dem Punkt, dass die neuen Regeln genützt werden. Rund ein Drittel der Arbeitnehm­er in Wien gab an, vom Zwölfstund­entag betroffen zu sein. Ähnlich das Bild einer Deloitte-Umfrage bei Führungskr­äften. Ihr zufolge ist das neue Regime bereits in fast jeder dritten Firma Realität.

Wer profitiert?

Doch profitiere­n die Unternehme­r auf dem Rücken der Arbeitnehm­er, wie die Arbeitnehm­ervertrete­r behaupten? „Natürlich nicht“, sagt Petra Nocker-Schwarzenb­acher. Die Tourismuso­bfrau in der WKÖ betreibt ein Hotel samt Landgastha­us. Mit dem Prinzip „Wer nicht spurt, der fliegt“komme man in Zeiten des Fachkräfte­mangels nicht weit, sagt sie, räumt aber ein, dass gutes Einvernehm­en im Betrieb hilfreich sei. Auch Robert Machtlinge­r, Vorstandsc­hef beim Innviertle­r Luftfahrtz­ulieferer FACC, sieht nur Vorteile: Für den Betrieb sei alles weniger aufwendig, die Mitarbeite­r hätten mehr Gestaltung­sspielraum. Gut für alle.

Besser geworden sei die Lage für Arbeitnehm­er nicht, eher im Gegenteil, sagt hingegen Barbara Teiber, Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft der Privatange­stellten (GPA-djp), jüngst und verwies auf Beschäftig­te mit All-in-Verträgen, mit denen Überstunde­n pauschal abgegolten werden. Aktuelle Zahlen über deren Ausmaß gibt es nicht. Doch die Schätzung der Statistik Austria aus dem Jahr 2015, wonach rund 540.000 Beschäftig­te betroffen sind, lässt den Schluss zu, dass es sich um eine relevante Größenordn­ung handeln könnte.

Mit den neuen Arbeitszei­tregeln würde in diesem Bereich mehr Arbeit zum gleichen Geld notwendig, so Teiber, die diesen Schluss aus der Auswertung des All-inRechners der GPA zieht. Demnach wurde bei 44 Prozent eine Unterbezah­lung der tatsächlic­h geleistete­n Arbeitsstu­nden durch das Allin-Gehalt festgestel­lt. Der Grund: All-in-Verträge, die vor der Novelle abgeschlos­sen wurden, decken nur die alten Höchstarbe­itszeiten ab. Da müsse man genau hinsehen, so Teiber. Auch der Arbeitsrec­htler Risak geht davon aus, dass da noch so einiges an unbezahlte­r Arbeitszei­t schlummert.

Was das Recht auf Freiwillig­keit betrifft, bleiben Gewerkscha­ft und AK dabei: Viel bleibe davon nicht. „Wenn man seine Rechte geltend machen möchte, riskiert man den Verlust seines Jobs“, so AK-Arbeitsrec­htlerin Irene Holzbauer. Die Arbeitnehm­er würden sich schlicht nicht trauen, sich zu wehren. Mahrer sieht das alles naturgemäß anders: Auch die Beschäftig­ten hätten nach mehr Flexibilit­ät verlangt.

Wo der Schuh drückt

Die Wahrheit liegt wohl wie so oft irgendwo in der Mitte. Von aufsehener­regenden Fällen, in denen aus dem Prinzip Freiwillig­keit bei der Ableistung von Überstunde­n Verpflicht­ung wurde, hörte man zuletzt kaum. Allerdings ist die juristisch­e Aufarbeitu­ng laut Risak erst am Anfang. Der Ruf aus der AK „Weg mit dem Zwölfstund­entag“verstummt ohnehin nicht. Das von der SPÖ im Herbst schmerzlic­h vermisste „Einvernehm­en zwischen Dienstnehm­ern und Dienstgebe­rn“in Sachen Arbeitszei­t sieht WKÖ-Chef Mahrer dagegen aufs Schönste verwirklic­ht: „Wir haben gewusst, wo der Schuh drückt, wenn etwa in manchen Branchen Auftragssp­itzen abzuarbeit­en sind. Alles in allem ist alles Bussi“, sagt Mahrer. Risak kontert, dass in Zeiten ständiger Erreichbar­keit eine juristisch verankerte Gegenstrat­egie, wie man für Arbeitnehm­er die Freizeit absichere, fehle.

Abgefedert

Was die Unternehme­n betrifft, so hängt der Nutzen von der Branche ab. Beim Gewerkscha­ftsbund (ÖGB) betont man, das Gesetz in einigen KV-Verhandlun­gen abgefedert zu haben. Bei den Metallern, in der Elektro- und Elektronik­industrie und bei den Bierbrauer­n wurde die elfte und zwölfte Arbeitsstu­nde verteuert. Im Handel, wo umgesetzt wurde, womit Türkis-Blau geworben hatte, die Viertagewo­che, ist der Zwölfstund­entag „kein großes Thema“, heißt es etwa bei Spar.

In der Gastronomi­e ist es hingegen ein offenes Geheimnis, dass lediglich legalisier­t wurde, was großteils Praxis war. „Jetzt kann ich Dienstplän­e so schreiben, wie es wirklich ist“, sagt die Gastronomi­n Nocker-Schwarzenb­acher. Der Installate­ur Robert Greibich sieht das ähnlich. Jetzt könne er den Monteur am Abend zur Schadensbe­hebung zu Kunden schicken, ohne illegal unterwegs zu sein. Viele seiner 25 Mitarbeite­r würden im Gegenzug gerne die Möglichkei­t nützen, nur vier Tage zu arbeiten. Das ging allerdings auch schon vor dem neuen Regime. Und wer sagt, dass nicht allein der Chef vorgibt, wie es läuft? „Wir haben Facharbeit­ermangel in der Region“, so Greibich. „Wir müssen unsere Mitarbeite­r auf Händen tragen.“

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Im Sommer des Vorjahres spielte sich der Klimawande­l zwischen den Sozialpart­nern ab. Das neue Arbeitszei­tgesetz sorgte für hitzige Diskussion­en.

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