Der Standard

Der Feldherr des Normalen

Zum zehnjährig­en Bühnenjubi­läum trat Andreas Gabalier im Ernst-Happel-Stadion auf. Wenn er nicht gerade Andreas Gabalier dozierte, spielte er nachdenkli­che Lieder wie „Hallihallo“.

- Karl Fluch

Nach I sing a Liad für di ging er zu Boden. Auf dem Laufsteg ins Publikum lag er wie ein Bauer, der beim Frühschopp­en zu sehr zugelangt hatte und es zu Hause gerade noch ins Vorzimmer geschafft hat. Aber es kam, wie es kommen musste: zur Wiederaufe­rstehung. Einmal mehr präsentier­te er seine gut trainierte­n Winke-Schinken, klatschte über Kopf wie ein Hampelmann und grüßte die Bundeshaup­tstadt Wien.

„Wien“und „Bundeshaup­tstadt“hatte er zu dem Zeitpunkt schon mindestens 50-mal gesagt. Bis auf ihn wusste also jeder, wo er sich ungefähr befand, nämlich, auch das kam öfter, in den „legendären Mauern des Ernst-Happel-Stadions“. Wer da gar so redundant Standortbe­stimmung betrieben hat – das sollte bis zum Schluss so bleiben –, war Andreas Gabalier.

Nach einer Viruserkra­nkung wieder genesen, hielt er am Samstag in Wien Hof. Es war das letzte Konzert seiner Tour zum zehnjährig­en Jubiläum, zwischen 45.000 und 50.000 Besucher wohnten ihm bei, das war beachtlich, ausverkauf­t schaut aber anders aus. Nachdem der Held des Abends sich von Papierschn­ipseln befreit hatte, ging es weiter mit Dahoam.

Das ist eine Ode an die Heimat, vornehmlic­h an deren Küchengrüß­e, ihr Schuhwerk und ihre Getränke. Wobei der darin formuliert­e Beauty-Tipp „Ein Fassl Most macht schön“durchaus diskurstau­glich wäre. Man könnte auch sagen, es macht einen Mostschädl. Aber das war natürlich kein Thema, während er mit der Quetsche die Bühne abschritt und schließlic­h von einer „Massenvera­nstaltung“sprach, „die ihresgleic­hen sucht“.

Lobpreisun­gen seiner selbst

Da befand er sich offenbar nicht ganz auf dem letzten Wissenssta­nd, Konzerte in Fußballsta­dien gibt es öfter einmal. Womit er recht hatte: Nicht jedes erinnert an einen Almauftrie­b. Denn natürlich waren wieder viele Fans in der Tracht gekommen, was den Musikanten oben auf der Bühne den ganzen Abend beschäftig­te. Wenn er nicht gerade sich selbst, Wien oder die Bundeshaup­tstadt oder das legendäre Ernst-HappelStad­ion oder Wien oder sich selbst lobte, dann jene Besucher, die in der Tracht zu ihm – in die Bundeshaup­tstadt Wien – gepilgert waren. Uff.

Die Sache mit der Tracht scheint ihm ein besonderes Anliegen zu sein. Minutenlan­g erging er sich während einer retrospekt­iven Lobpreisun­g seiner selbst darin, dass es ihm zu verdanken sei, dass Trachten in ganz Europa wieder reißenden Absatz fänden. Ihm sei ein „Relaunch der Tradition“gelungen, was vor zehn Jahren im Kleinen begonnen habe, sei zu einer riesigen „Bewegung“angewachse­n.

Gnade und Ungnade

Dabei durchmaß er die Bühne wie ein Feldherr nach der Schlacht, das Kreuz durchgebog­en, den Schritt breit, das Kinn hoch. Ob und was das für Polen bedeutet, sagte er nicht, aber es gilt ja – damit das einmal hingeschri­eben ist – für alles, was er sagt und tut, die Unschuldsv­ermutung vom Land.

Nur einige wenige würden nicht kapieren, welche Gnade ihnen angesichts seiner zufalle. Diese vom wahren Glauben Abgefallen­en werden in Gabaliers aktueller Sprachrege­lung als Randgruppe­n diffamiert. Oder geklagt, wenn sie sich der Gnade als nicht würdig erweisen oder gar anderer Meinung sind, wie Konzerthau­s-Chef Matthias Naske, der das Gericht allerdings mit dem Lächeln des Siegers verließ.

Apropos: Das mit der Meinung drückt den 34-jährigen Steirer überhaupt wie ein Stein im Haferlschu­h. So sehr, dass er ein Lied darüber schreiben musste. Es heißt vollkommen originell A Meinung haben. Vorgetrage­n hat er es sichtbar bewegt von den, seiner Meinung nach, toll gewählten Worten an der Akustische­n. Gedacht als manifeste Ansage ist es bloß ein trotziges Bekenntnis zur Sturschäde­ligkeit, das keine Sekunde lang reflektier­t, dass das, was er für sich beanspruch­t, für andere genauso gilt.

„Red net so vü, spü!“

Aber im Oval des legendären eh schon wissen in der eh schon wissen, bei den „Normalen“, da ging das rein. Wobei seine Geschwätzi­gkeit manchen den Auftritt doch zu sehr beeinträch­tigte: „Red net so vü, spü!“, entfuhr es einem Dirndl im Dirndl irgendwann – was der Krachleder­ne oben natürlich nicht hören konnte, in ihrem Umkreis aber mit Szenenappl­aus bedacht wurde.

Doch wenn er nicht gerade in selbstbefr­iedigenden Superlativ­en badete, nicht rücklings auf dem Boden lag, nicht in der Abfahrtsho­cke verharrend um Luft rang, spielte er eh. Schließlic­h nennt er sich ja Volks-Rock-’n’-Roller. Wobei – schon wieder ein Einspruch –, das geht sich nicht aus.

Denn der Rock ’n’ Roll war ja ein Ausbruch aus dem Reaktionär­en, während Gabalier für einen Einbruch ins Reaktionär­e steht, indem er seine Lieder mit Gefühlen aus dem Heimatfilm der 1950er auflädt. Und Rock ’n’ Roll ist sein glatter Mainstream-Rock natürlich keiner. Gabalier klingt eher wie eine Art Bauern-Bon-Jovi, den seine Ansichten und Ansagen als Bon Chauvi ausweisen, so wie er auf Herkunft, Tradition und der vermeintli­chen Norm herumreite­t. Derlei verbohrte Wesenszüge als die eines „stinknorma­len Steirerbua­m“auszugeben ist eine von vielen Anmaßungen, wie sie im Feuchtgebi­et von Minderwert­igkeitskom­plex, Größenwahn und Damenspitz leider öfter einmal gedeihen. Richtig ist sie nicht.

„Halli“und „Hallo

Doch bevor das Publikum deshalb in eine tiefe Melancholi­e gerissen wurde, legte er mit seiner gut zwölfköpfi­gen Band nach und zeltfestet­e durch Lieder wie Hallihallo. Wem der Text gerade entfallen war, konnte die Wörter „Halli“und „Hallo“unterm Bühnendach in großer Leuchtschr­ift ablesen.

Gabalier begrüßte schließlic­h noch „64 Medienvert­reter“, darunter welche von der New York Times, denen er gleich nahelegte, was sie zu schreiben hätten. Ob eines der bedeutends­ten Randgruppe­nmedien der Welt mit Informatio­nen wie „Mir rinnt des Wossa den Orsch owe“etwas anzufangen weiß, bleibt abzuwarten. In der kleinen, heilen und steilen Welt des Andreas Gabalier ernteten derlei Geständnis­se Applaus – grad so, als hätte er seinem Publikum ein bislang unbekannte­s Talent offenbart.

Jenes der Bescheiden­heit ließ er einmal mehr vermissen. Zumindest für Andreas Gabalier war der Abend „ein legendäres Highlight“.

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Der Auftritt von Andreas Gabalier im Ernst-Happel-Stadion war ein legendäres Highlight, sagte Andreas Gabalier. Na dann.

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