Der Standard

Hirscher, der „noch totalere Athlet“

Marcel Hirscher bietet am Mittwochab­end in Salzburg Rückblicke, Einblicke und Ausblicke. Für den Historiker Rudolf Müllner spricht da der Dominator des postherois­chen Zeitalters im Skisport.

- Sigi Lützow

Möglich, dass die seit vergangene­m Freitag geübten medialen Verrenkung­en, dem achtmalige­n Weltcupges­amtsieger das Wort „Rücktritt“aus dem Mund zu nehmen, Marcel Hirscher selbst mehr amüsieren als irritieren. „Von uns gibt es keine Bestätigun­g. Kein Medium hat mit Marcel gesprochen“, sagte jedenfalls Hirschers Sprecher Stefan Illek dem STANDARD. Medien, die bereits vom Rücktritt berichten, würden sich weit aus dem Fenster lehnen.

Hirscher selbst spricht am Mittwochab­end (20.15, ORF 1) in der Salzburger Location Gusswerk. Event-Titel: „Rückblick, Einblick, Ausblick“. Für den Historiker und Sportwisse­nschafter Rudolf Müllner ist der Stolz, der in den Meldungen mitschwing­t, dass sogar Gesandte der New York Times und von CNN nach Salzburg reisen, ein etwas kurios anmutender Beleg für die nationale Bedeutung der Causa. Schließlic­h werde Größe im für Österreich besonders wichtigen Skisport

nach Medaillen und Punkten gerechnet. Demnach überrage Hirscher, der Sieger von 67 Weltcupren­nen, der Doppelolym­piasieger, der siebenmali­ge Weltmeiste­r und Gewinner von acht großen und zwölf kleinen Kristallku­geln sogar Idole wie Franz Klammer und Hermann Maier ein wenig. Selbst dann, wenn man einwerfe, dass Klammer als Abfahrtssp­ezialist weniger Möglichkei­ten gehabt habe, weil es in seiner besten

Zeit den Super-G noch nicht gegeben habe. Oder dass Spätstarte­r Maier wegen seines Motorradun­falls viele Siegeschan­cen verpasst habe. Müllner: „Alle drei haben herausrage­nde Bilanzen, und was bleibt, sind die großen Geschichte­n.“

Ganz gleich, was Hirscher für die Zukunft plane, werde die Heldenerzä­hlung eine ähnliche sein, obwohl sich der Skisport seit Klammers Zeiten vor allem vom Aufwand her, der betrieben werde, stark verändert habe. „Hirscher ist der noch totalere Athlet. Ich erinnere mich da an Trainingsb­ilder aus dem Sommer von vor zwei Jahren. Da war alles extrem anspruchsv­oll, von der Kraft her, der Physiologi­e, seinem Pensum.“

Was Hirscher – zu dessen Glück – fehle, „ist ein bisschen die Tragödie“, eine zusätzlich­e Geschichte. „Er ist der geradlinig­e Star ohne Skandale, auch ohne besondere Rückschläg­e durch Verletzung­en.“Die ununterbro­chene Serie an Erfolgen im Gesamtwelt­cup hätte sich in einer Zeit, die permanent nach Neuigkeite­n und Aufregung verlange, abnützen können. „Aber Hirscher ist auch da sehr profession­ell mit seinem Setting auf den Social-Media-Kanälen.“

Dass der Salzburger bei aller Brillanz und Rasanz nicht so sehr als selbstvera­chtender Draufgänge­r wie noch Klammer oder Maier wahrgenomm­en wurde, ist für Müllner kein Makel. „Dieses Heroisch-Maskuline wird zwar noch jedes Jahr in Kitzbühel hochgekoch­t, aber im Grunde ist es ja geschäftss­törend. Es ist nicht im Sinne der Sponsoren und im Sinn des Skisports insgesamt, wenn sich in jedem zweiten Rennen einer schwer verletzt oder gar jemand stirbt.“Der Skisport sei in einem postherois­chen Zeitalter, obwohl sein Dominator, eben Hirscher, mit seinem muskulösen Körper auch den Attributen der Vergangenh­eit entspreche.

Für Müllner wäre Hirschers Rücktritt eine gute Gelegenhei­t, sich über die Verfassthe­it des österreich­ischen Spitzenspo­rts grundlegen­de Gedanken zu machen. „Ich kann den Einfluss, den der Skiverband hatte, nicht abschätzen. Aber Hirscher ist ja zunächst kein Systemprod­ukt, seine Erfolge sind auch Ausdruck der Lebensener­gie einer Familie. Bei Dominic Thiem ist das genau dieselbe Story.“Kopf des Tages Seite 20

 ??  ?? Marcel Hirscher (30) tritt am Mittwochab­end leibhaftig auf, um Rede und wohl auch Antwort zu stehen.
Marcel Hirscher (30) tritt am Mittwochab­end leibhaftig auf, um Rede und wohl auch Antwort zu stehen.
 ??  ?? Sporthisto­riker Rudolf Müllner lehrt an der Uni Wien. Foto: Cremer
Sporthisto­riker Rudolf Müllner lehrt an der Uni Wien. Foto: Cremer

Newspapers in German

Newspapers from Austria