Der Standard

Auf einen Boxenstopp mit Sebastian

Türkis wählen bis ins Kinderzimm­er: In Ried im Innkreis versuchte Sebastian Kurz’ Wahlkampfm­aschinerie die Anhänger auf Trab zu bringen – mit deftigen Einpeitsch­ern, sinistren Bösewichte­n und einem Halleluja.

- Gerald John

Ein paar Klicks von der Seite, da springt die Frau mit den türkisen Fingernäge­ln von ihrem Sitz auf. Was er sich erlaube, blafft sie den Mann mit der Kamera jenseits des Mittelgang­es an. Passagiere schrecken aus dem Dämmerschl­af, Hälse recken sich über die Sitzreihen. In Zeiten von Daten-Hacks liegen die Nerven blank – selbst in einem Bummelzug, der an einem frühen Samstagmor­gen durch die Kukuruzfel­der des Innviertel­s rattert.

Der Wickel löst sich rascher auf als im Wahlkampf üblich. Als sich der vermeintli­che Spion als Fotograf eines deutschen Magazins entpuppt, wirft sich Manuela, wie sich die Dame vorstellt, bereitwill­ig in Pose. Sie platziert eine türkise Sonnenbril­le über der Stirn, streift ihren türkisen Mantel glatt, hält ein türkises Knäuel vor die Linse. 70 Freundscha­ftsbänder hat sie geknüpft, alle für den Wahlkampf vom Sebastian.

Fan und Fotograf haben dasselbe Ziel. Sebastian Kurz hat sich angekündig­t, das Volksfest am Rande der Rieder Messe um eine Attraktion zu bereichern – und den ehemaligen Koalitions­partner zu ärgern. In der oberösterr­eichischen Kleinstadt hält üblicherwe­ise die FPÖ politische Hochämter ab. Nun sollen IbizaFlüch­tlinge zur ÖVP gelotst werden.

Goretex über Krachleder­ner

Der Weg übers Festgeländ­e offenbart den Charme eines Praterbesu­chs im November. Goretexjac­ke über Krachleder­ner ist die Adjustieru­ng der Stunde. Einsam kurvt ein Wagerl der Crazy Mouse durch den Schnürlreg­en, die Blaskapell­e von Zell an der Pram quetscht sich unters Vordach des Ringelspie­ls. Doch im auf Älplerisch gestylten Bierzelt klacken schon um halb zehn die ersten Krüge aneinander, Aktivisten in türkisen Parkern schwirren durch die Reihen. Jedes Detail muss sitzen. Das Bild der Videowall wackelt? Um Himmels willen! Rasch sind Aufpasser zur Kamera dirigiert, sodass keiner mehr vorbeitram­peln kann.

Vorn auf der Bühne erhöht der von Ö3 zur ÖVP gewechselt­e Moderator Peter L. Eppinger die Schlagzahl. Die Bläsercomb­o pustet sich die Seele aus dem Leib, Eppinger schreit: „Haben wir ein K? Haben wir ein U?“Flugs sind Buchstaben in Supersize herangesch­afft. „Jetzt sage ich den Vornamen und ihr den Nachnahmen“, gebietet der Einpeitsch­er: „Sebastian! Kurz!“ „Scheißts auf die Umfragen“

Den gibt es vorerst aber nur auf der Videowall zu sehen, wandernd, plaudernd, Kinder tätschelnd. Dafür gehört die Bühne nun dem „Gust“, als Klubchef im Nationalra­t unter dem Namen August Wöginger bekannt. „Scheißts auf die Umfragen!“, ruft der von kariertem Hemd und Trachtenge­lee als „Hiesiger“ausgewiese­ne Lokalmatad­or. Um die Wahl „gscheit“zu gewinnen, müsse sich jeder Anhänger im Saal ebenso reinhauen, mahnt Wöginger, das beginne daheim: „Es kann ja nicht sein, dass unsere Kinder nach Wean fahren und als Grüne zurückkomm­en. Wer in unserem Hause schlaft und isst, hat auch die Volksparte­i zu wählen.“

Das Publikum johlt, die Beobachter staunen. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagt ein aus Berlin angereiste­r Reporter: „Das sieht tatsächlic­h noch nach so etwas wie einer Volksparte­i aus. Bei der CDU ist alles viel schlechter gelaunt.“

Stimmungsw­echsel. Ein düsterer Beat setzt ein, über den Riesenbild­schirm spaziert ein sinistres Paar. SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­r Thomas Drozda und FPÖ-Klubchef Herbert Kickl sind es, die da scheinbar geheim die Köpfe zusammenst­ecken, das Standbild fängt sie für eine halbe Minute ein. „Allianz aus Zorn, Wut und Neid“nennt Kurz’ Wahlkampfl­eiter Karl Nehammer das Duo, er lässt seine Sätze in dramatisch­en Pausen sickern: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“Genau jetzt, in diesem Moment, der eigentlich ein Tag der Freude sein sollte, sagt Nehammer, müssten Ermittler den kriminelle­n Datenklaua­ngriffen auf die ÖVP nachspüren. Arg, wie weit es gekommen ist.

Doch dann jubilieren fanfarenar­tige Klänge und künden – halleluja! – von seiner Ankunft. Sebastian Kurz bahnt sich, nun leibhaftig, händeschüt­telnd den Weg auf die Bühne. Seine Rede fällt kompakt, aber bilderreic­h aus. Er erzählt vom Unwesen der Borkenkäfe­r in den Wäldern, vom von Billigimpo­rten bedrohten heimischen Fleisch, von Frauen, die ein Leben lang ehrenamtli­ch für Essen auf Rädern arbeiten. Zwei Witzchen, zwei konkrete Forderunge­n (Pflegevers­icherung und CO2-Zölle), dann ist es auch schon getan.

Weit weg von überschwän­glich präsentier­t sich Kurz der aufgekratz­ten Menge; beim abschließe­nden Absingen der Bundeshymn­e wirkt der dezent intonieren­de Ex-Kanzler neben den inbrünstig schmettern­den Lokalgröße­n fast schon schüchtern. Dafür zeigt er umso mehr Einsatz, als eine rasant wachsende Schlange um Erinnerung­sfotos ansteht. Hundert Fotos ohne Hänger

Das Shooting ist durchgetak­tet wie ein Formel-1-Boxenstopp, vier Sekunden pro Bild. „Foto oder Selfie?“, klärt ein Helfer ab, ein zweiter macht die Aufnahme, ein dritter geleitet die Bewunderer zügig von der Bühne. Kurz lässt sich keinen Augenblick lang hängen. Unter hundert Fotos mit seinen Fans wird sich schwerlich eines finden lassen, auf dem der Wahlfavori­t nicht freundlich lächelt.

Dies tut Kurz auch, als er nach einer Stunde und acht Minuten im Zelt zum Abschied winkt und zum Bus entfleucht. Er tritt an diesem Tag noch in Graz und Villach an, klappert in drei Tagen – so viel Superlativ­e muss sein – alle Bundesländ­er ab.

Zurück bleiben die ÖVPler aus Oberösterr­eich, so mancher wirkt ehrlich erstaunt. Wie habe man früher Kontingent­e zusammenkr­atzen müssen, um eine Bude vollzukrie­gen, heißt es bei Schnitzel und Brathendl: Bei Kurz kämen sie von allein.

Wie diesem das gelingt? Weil er jung und dynamisch sei, die Dinge anpacke, „unsere“Sprache spreche: Wer sich in der Anhängersc­haft umhört, kann genauso gut die allgegenwä­rtigen Slogans lesen. Ein altgedient­er Funktionär bietet aber noch eine vertiefend­e Beobachtun­g an. Wenn Kurz mit den Leut rede, gebe er ihnen das Gefühl, für diese eine Minute mit dem Kopf nur bei ihnen zu sein und richtig zuzuhören: „Ob er es auch tut, ist eine andere Frage.“

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Blaue Hochburg in türkisem Beschlag: Sebastian Kurz beim Volksfest am Rande der Rieder Messe – wobei das Volk hauptsächl­ich aus Parteivolk bestand.
 ??  ?? Minutiös durchgetak­tete Show, in drei Bundesländ­ern pro Tag: Eine Armada an Helfern schließt jede Unwägbarke­it aus.
Minutiös durchgetak­tete Show, in drei Bundesländ­ern pro Tag: Eine Armada an Helfern schließt jede Unwägbarke­it aus.

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