Der Standard

Wahl in Russlands „gelenkter Demokratie“

Am Sonntag wurde in fast allen russischen Regionen gewählt. Vielerorts hat die Obrigkeit bereits im Vorfeld unliebsame Kandidaten aussortier­t, um das Ergebnis abzusicher­n.

- André Ballin aus Moskau

Vor der Moskauer Poliklinik Nummer 64, am Sonntag kurzfristi­g zum Wahllokal umfunktion­iert, fängt eine Mitarbeite­rin des Umfrage-Instituts WZIOM Wähler ab: „Für wen haben Sie gestimmt?“, fragt sie eine junge Moskauerin. „Für Magomet Jandijew“, antwortet diese. Jandijew tritt für die Duma-Partei Gerechtes Russland an, die nicht gerade als Musterbeis­piel einer Opposition­spartei gilt.

Parteichef Sergej Mironow leitete unter Wladimir Putin den Föderation­srat und trat 2004 gegen den Präsidente­n an, um ihn eigenen Worten nach zu unterstütz­en. Nach den Protesten 2011/12 warf er führende Parteimitg­lieder hinaus, die sich an den Demonstrat­ionen beteiligt hatten.

Trotzdem hatte die außerparla­mentarisch­e Opposition bei der Wahl zum Stadtparla­ment dazu aufgerufen, im Wahlkreis 45 für Jandijew zu stimmen. Ilja Jaschin, der eigentlich selbst dort antreten wollte, aber wie viele andere Kandidaten der Opposition ausgesiebt worden war, riet dazu, da Jandijew „keinen Schaden anrichtet“und ihm die besten Chancen eingeräumt wurden, die Kandidatin der Kreml-Partei Einiges Russland zu schlagen.

„Kluges Abstimmen“nennt die Opposition die Strategie. Ihre Anhänger sollten für diejenigen Bewerber stimmen, die noch am ehesten einen der Kreml-Kandidaten schlagen konnten. Damit trug sie der größer werdenden Unzufriede­nheit im Land Rechnung.

Aber auch der Kreml hatte vorgesorgt. Gefährlich­e Kandidaten waren im Vorfeld aus den Wahllisten gestrichen worden. Bei den Gouverneur­swahlen – immerhin 16 neue Regionalch­efs wurden gewählt

– wollte die Regierung nicht wieder so ein Debakel wie im vergangene­n Herbst erleben.

Außerdem hatte die politische Führung versucht, die Emotionen nach den Protesten in Moskau wieder etwas zu beruhigen. Mehrere wegen „Massenunru­hen“Angeklagte wurden zuletzt freigelass­en. In den Medien wurden andere Themen als die Wahl in den Vordergrun­d gerückt, um die Aktivität möglicher Protestwäh­ler gering zu halten.

Gefangenen­austausch

Eines der Themen war der Gefangenen­austausch mit der Ukraine. Bis zuletzt blieben Umfang und Details des politische­n Deals mit Kiew umstritten. Am Ende einigten sich beide Seiten auf einen Austausch 35 zu 35. Für Russland war wichtig, Wladimir Zemach, einen möglichen Kronzeugen des Boeing-Abschusses zu bekommen. In den Vordergrun­d rückte aber die Freilassun­g des russischuk­rainischen Journalist­en Kyrill Wyschinski, dem Kiew Hochverrat vorwirft und den Moskau als politische­n Gefangenen einstuft.

Noch größer wurde das Thema allerdings in Kiew gespielt, wo Präsident Wolodymyr Selenskyj die freigelass­enen Ukrainer, darunter die 24 in der Meerenge von Kertsch gefangenge­nommenen Seeleute und den Regisseur Oleg Senzow, persönlich am Flughafen empfing.

Selenskyj kündigte an, den Gefangenen­austausch zu erweitern. „Wir befreien alle unsere Leute“, wiederholt­e er sein Verspreche­n aus dem Wahlkampf. Noch am Abend telefonier­te er zudem mit Russlands Präsident Putin, um weitere Schritte bei der Deeskalati­on der Lage im Donbass zu besprechen.

Luise Ungerboeck

In der Verkehrspo­litik finden sich die größten Versäumnis­se der türkis-blauen Regierung. Wer Weichenste­llungen in Richtung der von der EU – mit Beteiligun­g Österreich­s – beschlosse­nen Liberalisi­erung samt Wettbewerb im öffentlich­en Verkehr erwartet hat, wurde enttäuscht. Die ÖVP spuckte zwar noch 2017 große Töne, forderte vom Koalitions­partner SPÖ das Aus für das ÖBBMonopol im überregion­alen Personenve­rkehr. Zu Weihnachte­n überließ sie den Freiheitli­chen das Verkehrsmi­nisterium und scherte sich nicht mehr darum.

Das wird sich nicht sofort rächen, aber spätestens in zehn, fünfzehn Jahren. Bis dahin darf die ÖBB im geschützte­n Raum herumkurve­n und erhält selbiges ebenso vom Staat abgegolten wie die Anschaffun­g von Reisezugwa­gen und den „angemessen­en Gewinn“, der gemäß EU-Verordnung mit unrentable­n Pendlerzüg­en einzufahre­n ist.

Das böse Erwachen kommt, wenn 2030 der Wettbewerb nicht mehr zu verhindern ist. Dann werden ihr in- oder ausländisc­he Mitbewerbe­r um die Ohren fahren – um weniger Geld, aber mit besserer Qualität. Doch Eigentümer­vertreter, die Eisenbahne­r als ihre Hausmacht sehen und denen Steuergeld locker sitzt, denken nicht so weit.

Ja, die mit Milliarden-Bauaufträg­en überfracht­ete Staatsbahn muss mit öffentlich­en Aufträgen am Laufen gehalten werden. Aber man sollte sie zumindest in einzelnen Regionen auf gesunde Konkurrenz vorbereite­n.

 ??  ?? In der Regel sorgen die Regionalwa­hlen in Russland (hier: in St. Petersburg) für wenig Aufsehen. Dieses Mal war das anders, weil zahlreiche Opposition­skandidate­n ausgeschlo­ssen wurden.
In der Regel sorgen die Regionalwa­hlen in Russland (hier: in St. Petersburg) für wenig Aufsehen. Dieses Mal war das anders, weil zahlreiche Opposition­skandidate­n ausgeschlo­ssen wurden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria