Wahl in Russlands „gelenkter Demokratie“
Am Sonntag wurde in fast allen russischen Regionen gewählt. Vielerorts hat die Obrigkeit bereits im Vorfeld unliebsame Kandidaten aussortiert, um das Ergebnis abzusichern.
Vor der Moskauer Poliklinik Nummer 64, am Sonntag kurzfristig zum Wahllokal umfunktioniert, fängt eine Mitarbeiterin des Umfrage-Instituts WZIOM Wähler ab: „Für wen haben Sie gestimmt?“, fragt sie eine junge Moskauerin. „Für Magomet Jandijew“, antwortet diese. Jandijew tritt für die Duma-Partei Gerechtes Russland an, die nicht gerade als Musterbeispiel einer Oppositionspartei gilt.
Parteichef Sergej Mironow leitete unter Wladimir Putin den Föderationsrat und trat 2004 gegen den Präsidenten an, um ihn eigenen Worten nach zu unterstützen. Nach den Protesten 2011/12 warf er führende Parteimitglieder hinaus, die sich an den Demonstrationen beteiligt hatten.
Trotzdem hatte die außerparlamentarische Opposition bei der Wahl zum Stadtparlament dazu aufgerufen, im Wahlkreis 45 für Jandijew zu stimmen. Ilja Jaschin, der eigentlich selbst dort antreten wollte, aber wie viele andere Kandidaten der Opposition ausgesiebt worden war, riet dazu, da Jandijew „keinen Schaden anrichtet“und ihm die besten Chancen eingeräumt wurden, die Kandidatin der Kreml-Partei Einiges Russland zu schlagen.
„Kluges Abstimmen“nennt die Opposition die Strategie. Ihre Anhänger sollten für diejenigen Bewerber stimmen, die noch am ehesten einen der Kreml-Kandidaten schlagen konnten. Damit trug sie der größer werdenden Unzufriedenheit im Land Rechnung.
Aber auch der Kreml hatte vorgesorgt. Gefährliche Kandidaten waren im Vorfeld aus den Wahllisten gestrichen worden. Bei den Gouverneurswahlen – immerhin 16 neue Regionalchefs wurden gewählt
– wollte die Regierung nicht wieder so ein Debakel wie im vergangenen Herbst erleben.
Außerdem hatte die politische Führung versucht, die Emotionen nach den Protesten in Moskau wieder etwas zu beruhigen. Mehrere wegen „Massenunruhen“Angeklagte wurden zuletzt freigelassen. In den Medien wurden andere Themen als die Wahl in den Vordergrund gerückt, um die Aktivität möglicher Protestwähler gering zu halten.
Gefangenenaustausch
Eines der Themen war der Gefangenenaustausch mit der Ukraine. Bis zuletzt blieben Umfang und Details des politischen Deals mit Kiew umstritten. Am Ende einigten sich beide Seiten auf einen Austausch 35 zu 35. Für Russland war wichtig, Wladimir Zemach, einen möglichen Kronzeugen des Boeing-Abschusses zu bekommen. In den Vordergrund rückte aber die Freilassung des russischukrainischen Journalisten Kyrill Wyschinski, dem Kiew Hochverrat vorwirft und den Moskau als politischen Gefangenen einstuft.
Noch größer wurde das Thema allerdings in Kiew gespielt, wo Präsident Wolodymyr Selenskyj die freigelassenen Ukrainer, darunter die 24 in der Meerenge von Kertsch gefangengenommenen Seeleute und den Regisseur Oleg Senzow, persönlich am Flughafen empfing.
Selenskyj kündigte an, den Gefangenenaustausch zu erweitern. „Wir befreien alle unsere Leute“, wiederholte er sein Versprechen aus dem Wahlkampf. Noch am Abend telefonierte er zudem mit Russlands Präsident Putin, um weitere Schritte bei der Deeskalation der Lage im Donbass zu besprechen.
Luise Ungerboeck
In der Verkehrspolitik finden sich die größten Versäumnisse der türkis-blauen Regierung. Wer Weichenstellungen in Richtung der von der EU – mit Beteiligung Österreichs – beschlossenen Liberalisierung samt Wettbewerb im öffentlichen Verkehr erwartet hat, wurde enttäuscht. Die ÖVP spuckte zwar noch 2017 große Töne, forderte vom Koalitionspartner SPÖ das Aus für das ÖBBMonopol im überregionalen Personenverkehr. Zu Weihnachten überließ sie den Freiheitlichen das Verkehrsministerium und scherte sich nicht mehr darum.
Das wird sich nicht sofort rächen, aber spätestens in zehn, fünfzehn Jahren. Bis dahin darf die ÖBB im geschützten Raum herumkurven und erhält selbiges ebenso vom Staat abgegolten wie die Anschaffung von Reisezugwagen und den „angemessenen Gewinn“, der gemäß EU-Verordnung mit unrentablen Pendlerzügen einzufahren ist.
Das böse Erwachen kommt, wenn 2030 der Wettbewerb nicht mehr zu verhindern ist. Dann werden ihr in- oder ausländische Mitbewerber um die Ohren fahren – um weniger Geld, aber mit besserer Qualität. Doch Eigentümervertreter, die Eisenbahner als ihre Hausmacht sehen und denen Steuergeld locker sitzt, denken nicht so weit.
Ja, die mit Milliarden-Bauaufträgen überfrachtete Staatsbahn muss mit öffentlichen Aufträgen am Laufen gehalten werden. Aber man sollte sie zumindest in einzelnen Regionen auf gesunde Konkurrenz vorbereiten.