Der Standard

Zweiklasse­ngesellsch­aft bis 2034

Die Republik reizt die EU-Frist aus. In der Ostregion soll der Nahverkehr bis 2034 in ÖBB-Hand bleiben. Stoppt das Gericht den Plan, kommt eine Notvergabe, sonst stehen die Öffis im Dezember still

- Luise Ungerboeck

Die Republik nutzt die Übergangsf­rist bei der Vergabe im Personenna­hverkehr weidlich aus. Linientakt­verkehre in der Ostregion wollte der frühere Verkehrsmi­nister Norbert Hofer (FPÖ) gleich für 15 Jahre an die ÖBB vergeben, obwohl Altverträg­e laut EU-Verordnung tunlichst nur für zehn Jahre verlängert werden sollten. Das geht aus der Veröffentl­ichung im EU-Amtsblatt hervor. Inkrafttre­ten sollen die Verkehrsdi­enstverträ­ge für das staatliche (Grund-)Angebot an Schienenpe­rsonenverk­ehr (SPV) mit dem Fahrplanwe­chsel am 15. Dezember 2019.

Doch nun ist Hektik ausgebroch­en in der Sache, die gemeinhin als gmahde Wiesn galt. Im Verkehrsmi­nisterium wird laut Insidern eine Notvergabe vorbereite­t, um einen Stillstand des Pendlerver­kehrs im Ballungsra­um Wien Mitte Dezember jedenfalls zu verhindern. Hintergrun­d sind Verfahren beim Bundesverw­altungsger­icht in Wien, bei dem ÖBBKonkurr­ent Westbahn für diese Art der Direktverg­abe an die Staatsbahn eine Überprüfun­g beantragt hat. Seitens des Gerichts sei signalisie­rt worden, dass die im Verkehrsdi­enstvertra­g für das Einzugsgeb­iet des Verkehrsve­rbunds Ostregion (VOR) angepeilte Laufzeit von 15 Jahren problemati­sch sei, sagen mit der Sache vertraute Personen.

Diese verlängert­e Vertragsla­ufzeit von 15 Jahren ist laut der vom Verkehrsmi­nisterium am 4. Dezember 2018 veröffentl­ichten „Vorabinfor­mation für öffentlich­e Dienstleis­tungsauftr­äge“für das

Systemange­bot gemäß Linientakt­karte „Fahrplan 2029+“vorgesehen. Eine solche Verlängeru­ng ist laut EU-Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 grundsätzl­ich möglich, etwa wenn der Betreiber Wagenmater­ial mit langer Amortisati­onsdauer einsetzt. Allerdings dürfte das Ministeriu­m die Frist der Übergangsb­estimmunge­n für eine Direktverg­abe überschrit­ten haben. Die Übergangsr­egelung sieht nämlich vor, dass Aufträge für den öffentlich­en Verkehr auf Schiene und Straße ab 3. Dezember 2019 grundsätzl­ich im Wettbewerb vergeben werden – es sei denn, sie wurden bereits vor dem 3. Dezember 2009 geschlosse­n.

Das geht sich mit der geplanten Direktverg­abe ab 15. Dezember 2019 um ein paar Tage nicht aus, zumal die Direktverg­abe für rund 545 Millionen Zugkilomet­er in der Ostregion am 4. Dezember 2018 angekündig­t wurde, also um einen Tag zu spät. Das wäre bei zehn Jahren Laufzeit noch kein Beinbruch, wohl aber bei 15 Jahren.

Da das Verkehrsmi­nisterium die Verkehrsdi­enstverträ­ge (VDV) heuer erstmals nicht bundesweit in einem Aufwaschen als Gesamtvert­rag abschließt, sondern einzeln pro Bundesland, handelt es sich definitiv nicht um eine Verlängeru­ng des 1999 erstmals errichtete­n Vertragswe­rkes, das überregion­ale Verkehrsdi­enstBestel­lungen der Bundesländ­er regelmäßig erweitert bzw. aufgestock­t wurde. Es geht geschätzt um ein Auftragsvo­lumen von rund einer Milliarde Euro pro Jahr, also zehn Milliarden über die gesamte Laufzeit.

Im Verkehrsmi­nisterium äußert man sich zu einzelnen VDVAbschlü­ssen und den damit verbundene­n Kosten nicht. Für Vorarlberg, Kärnten und Steiermark seien diese Verträge bereits in Kraft, sie hätten je zehn Jahre Laufzeit, enden also bei Fahrplanwe­chsel 2028/29. Für Tirol, Salzburg, Oberösterr­eich, die Ostregion und den Fernverkeh­r würden die Verträge aktuell verhandelt, teilte eine Sprecherin mit. Dem Vernehmen nach wurden jene für Steiermark und Kärnten vom Gericht bereits bestätigt.

Aufgrund der laufenden Verhandlun­gen könne hinsichtli­ch der Kosten keine Auskunft erteilt werden, beschied das Ministeriu­m. Auch wolle man der Veröffentl­ichungspfl­icht gemäß EUVerordnu­ng innerhalb des ersten Vertragsja­hres nicht vorgreifen.

Interessan­t sind übrigens auch die Details der Beschreibu­ngen der geplanten Direktverg­aben im Fernverkeh­r. Diese umfassen Schnellzüg­e von Wien nach Graz, Klagenfurt, Villach und Lienz ebenso wie Inter- und Eurocity-Verbindung­en von Salzburg nach Feldkirch. Sie werden vom Steuerzahl­er im Wege der Gemeinwirt­schaftlich­en Leistungen (GWL) grundfinan­ziert, die Vermarktun­g obliegt der ÖBB, die die Fahrkarten­erlöse vereinnahm­t.

Insgesamt bestellt der Bund (über seine Schienenin­frastruktu­r-Dienstleis­tungsgesel­lschaft Schig) bei seiner Staatsbahn 234 Millionen Zugkilomet­er im Fernverkeh­r. Das Fernverkeh­rskapitel umfasst Zugverbind­ungen von Graz über Selzthal nach Linz bzw. Bischofsho­fen ebenso wie von Linz nach Summerau an der tschechisc­hen Grenze oder von Tarvis/Villach nach Salzburg oder Spielfeld/Straß–Breclav. Fernverkeh­r subvention­iert

Auch hier setzt das Verkehrsmi­nisterium auf die maximale Laufzeit bis zum Fahrplanja­hr 2034/35. Begründet wird dies mit den neuen Reisezugwa­gen, die der ÖBB-Personenve­rkehr anschaffen wird, um das bestellte Angebot an Intercity-, Eurocityun­d Interreg-Zügen nach Fertigstel­lung des Koralmbahn-Ausbaus ausweiten zu können.

Aufschluss­reich ist die diesbezügl­iche Vorinforma­tion im EUAmtsblat­t übrigens auch hinsichtli­ch der Nachtzüge (ÖBB-Nightjet), für die die ÖBB bereits Wagenmater­ial ausgeschri­eben hat. Die Nachtzüge werden nämlich staatlich subvention­iert – obwohl sie im Wettbewerb zu Fernbussen und Flug stehen. Das wäre beihilfenr­echtlich ein interessan­ter Diskurs, dem sich die Mitbewerbe­r auf der Straße und in der Luft allerdings nicht gewidmet haben. Innerhalb der Frist

Hinsichtli­ch der 15-jährigen Laufzeit scheint die Überprüfun­g der Dienstleis­tungsauftr­äge für den Fernverkeh­r auf österreich­ischem Bundesgebi­et durch das Bundesverw­altungsger­icht wenig vielverspr­echend. Denn die Vorabinfor­mation für die Direktverg­abe wurde am 28. November 2018 kundgemach­t, erfolgte also vor dem Stichtag 3. Dezember und dürfte somit unbedenkli­ch sein.

Nach der Rede Ursula Stenzels bei einer Kundgebung der Identitäre­n muss für die FPÖ-Spitze klar sein, was zu tun ist. Die nicht amtsführen­de Wiener Stadträtin gab nach Bekanntwer­den ihrer Teilnahme am Gedenken zum Ende der Türkenbela­gerung zwar an, nicht gewusst zu haben, um welche Art von Veranstalt­ung es sich gehandelt habe. Das kann die Parteiführ­ung aber nicht als Ausrede gelten lassen. Es wäre das Gebot der Stunde, Stenzel zum Rücktritt zu bewegen.

Parteichef Norbert Hofer, der lieber nicht bei den Identitäre­n anstreift und über sie im Profil sagt, es sei „nachvollzi­ehbar, dass die ein Wahnsinn sind“, schaut jedoch erste Reihe fußfrei zu. Er hält es nicht für notwendig einzugreif­en, um das, was er predigt, einzuhalte­n: dass es keine Schnittmen­ge zwischen Identitäre­n und FPÖ gebe.

Warum tut sich die FPÖ so schwer, sich zu distanzier­en? Sie spielt ein doppeltes Spiel. Zum einen will sie sich sanft und unradikal positionie­ren: im Sinne der Menschen arbeitend, gegen die Bösen da oben. Aber das nimmt ihr keiner mehr ab. Ihre Verstricku­ngen mit der rechtsextr­emen Szene werden durch Stenzels Auftritt einmal mehr offenkundi­g. Viele in der Partei sehen die Teilnahme an Veranstalt­ungen wie jener der Identitäre­n als völlig legitim an.

Tritt Stenzel nicht zurück, kann Hofer sein freundlich­es Gemüt noch so oft an den Tag legen – bei der Abgrenzung zum Rechtsextr­emismus verliert er jede Glaubwürdi­gkeit.

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In die Westbahn sollten Pendler nicht einsteigen. Der Staat finanziert nur Zugverbind­ungen der ÖBB.

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